Anfang Juli übernimmt Österreich den Vorsitz des EU-Rates. Welche Chancen damit für Österreich einhergehen und mit welchen Erwartungen Österreich konfrontiert wird, diskutierten Gerda Füricht-Fiegl, Othmar Karas, Thomas Karabaczek und Regina Kothmayr in der Blue Hour des Alumni-Clubs der Donau-Universität Krems am 8. Mai – einem Tag vor dem Europatag der Europäischen Union.
Den Vorsitz der Ratspräsidentschaft Österreichs spüre Österreich, so Gerda Füricht-Fiegl, stellvertretende Leiterin des Departments für Wissens- und Kommunikationsmanagement an der Donau-Universität Krems, im Alltag durch steigende Nächtigungszahlen sowie Straßensperren und Staus. Bei Betrachtung auf einer anderen Flughöhe fragt sich Füricht-Fiegl, ob die EU-Ratspräsidentschaft das Image der EU bei den ÖsterreicherInnen heben könne. Derzeit ist ein Drittel der BürgerInnen positiv der EU gegenüber eingestellt; ein anderes Drittel hingegen eher kritisch. Studien zeigen aber auch, dass sich zwei Drittel der Bevölkerung Österreichs der EU zugehörig fühlen. Füricht-Fiegl betont, dass sich eine Kluftfeststellen ließe, zwischen jenen Themen, die die Bevölkerung interessieren und jenen, durch die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich betroffen seien. Bezüglich der Rolle der Medien könnte die Ratspräsidentschaft Österreichs eine Chance darstellen, um EU-relevante Themen in den Medien aufzubereiten um damit eine Diskussion über die EU in der Bevölkerung anzuregen. Für Füricht-Fiegl sei es bereits ein Erfolg, wenn sich BürgerInnen durch die EU-Ratspräsidentschaft stärker mit den Themen der EU auseinander setzen.
Medienbilanz im Kontrast zur Agenda
Für die letzten zwei österreichischen Präsidentschaften sei auffallend gewesen, dass immer Budgetverhandlungen auf der Agenda standen wie jetzt zum dritten Mal, so Thomas Karabaczek, Ressortleiter Wirtschaft der Austria Presse Agentur (APA). Eine Einigung beim Finanzrahmen schließe er jedoch aus, da es unmöglich sei, einen Kompromiss zu finden, der erst im Jahr 2021 für die Mitgliedsstaaten wirksam werden. Die Fülle an Themen und Dossiers, die während der österreichischen Ratspräsidentschaft weiter bearbeitet werden stehen in Kontrast zu dem, was am Ende in den Medien und von der Politik bilanziert wird. In den Medien würden in erster Linie Migration und illegale Einwanderung als Hauptthemen aufgegriffen werden, da diese Themen emotionalisieren und für großes Interesse sorgen. Karabaczek sehe die Gefahr, dass die Ratspräsidentschaft eher als Show zu Gunsten einer nationalen Selbstdarstellung genutzt werde, als europäische Interessen zu verfolgen.
Effekt für Europawahl
Regina Kothmayr, Leitung der Task Force EU-Vorsitz im Bundeskanzleramt, bezeichnet die Ratspräsidentschaft als die Fülle an Großveranstaltungen und informellen Treffen sowie als Knochenarbeit. Im Prinzip stelle die Ratspräsidentschaft eine Dienstleistung eines Landes dar, um ein halbes Jahr lang für die Organisation der Sitzungen und Veranstaltungen zuständig zu sein. Der Druck auf den österreichischen Vorsitz sei sehr hoch und teilweise unrealistisch. Jetzt gehe es darum, Erwartungsmanagement zu betreiben und realistisch einzuschätzen, was in den effektiv 4,5 Monaten – sechs Monate abzüglich verspäteten Sitzungsbeginns durch die Sommerferien und verfrühtes Ende durch Weihnachtsfeiertage - geschafft werden könne. Wünschenswert wäre, dass die Dynamik, die mit der österreichischen Ratspräsidentschaft einhergehe, zu einer höhere Wahlbeteiligung bei der anstehenden Europawahl im April 2019 führe.
Rolle des Konsensbildners
Othmar Karas, Leiter der ÖVP-Delegation im EU-Parlament, betont die verschiedenen Rollen eines Vorsitzes der Ratspräsidentschaft. Es gehe bei der österreichischen Ratspräsidentschaft nicht um die Durchsetzung österreichischer Interessen, sondern unter anderem um die Rolle des Dienstleisters, um die Ziele und Vorhaben der EU weiter zu bringen. Als Gastgeber könne sich Österreich gewiss als Land profilieren und die Kultur sowie freundliche Mentalität in den Vordergrund stellen. Wichtig sei, dass Österreich die Rolle eines Konsensbildners innerhalb der Mitgliedsstaaten darstelle, da sonst keine Verhandlungen möglich seien. Österreich solle, so Karas, die Rolle des Antreibers wahrnehmen, um wichtige Themen in Angriff zu nehmen. Ein alles überlagerndes Thema sei der Brexit-Austrittsvertrag, welcher den Ablauf des Austritts Großbritanniens aus der EU festlegt. Karas plädiert dafür, die Ratspräsidentschaft kommunikativ zu nützen, um darzustellen, dass Österreich jederzeit und somit auch unabhängig vom Vorsitz für Entscheidungen innerhalb der EU mitverantwortlich sei.
EU bürgernäher machen
Zukünftig solle der Nutzen der Europäischen Union für die BürgerInnen stärker hervorgehoben werden. Die rotierende Ratspräsidentschaft sei eine Möglichkeit, Bewusstsein innerhalb des jeweiligen Landes zu schaffen, so Füricht-Fiegl. Das Problem: Trotz einiger Initiativen seitens der EU-Kommission (Bürgerdialoge) fehlen nach Kothmayr derzeit ideale oder passendere Kommunikationsstrategien und -formate, um stärker auf BürgerInnen zuzugehen und diese besser einzubeziehen. Gleichzeitig sei es für Medien schwer darstellbar, alle Prozesse, Themen und Entwicklungen innerhalb der EU darzustellen; was übrig bleibt, sei, laut Karabaczek, oft der Showeffekt. Medien sollen die Show zukünftig durch Ernsthaftigkeit ersetzen. Karas plädiert dafür, Verantwortung zu übernehmen statt Schuld zuzuweisen, da wir Teil der Europäischen Union sind. Zusätzlich sollten zukünftig vielmehr die positiven Aspekte, die die Europäische Union für BürgerInnen nach sich zieht, aufgezeigt werden. Angefangen werden müsste bereits im Rahmen der politischen Bildung in Schulen, wie beispielsweise anhand einer „Europareise“ als Pendant zur „Landschulwoche“. Aufgrund des fehlenden politischen Willens, die EU stärker in den (nationalen) Vordergrund zu rücken, wie durch einen EU-weiten Feiertag am 9. Mai, würde die Kommunikation der Themen und Leistungen der Europäischen Union erschwert werden. Einig waren sich alle DiskutantInnen, dass die Ratspräsidentschaft nicht wie ein Muttertag, ein jährlich wiederkehrendes „Pflichtereignis“, behandelt werden dürfte, sondern dauerhaft und in Dialog mit den BürgerInnen kommuniziert werden sollte.
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