07.10.2021

Der im Dezember 2020 von der Universität für Weiterbildung Krems gegründete Thinktank CACE brachte am 1. Oktober 2021 im Rahmen der Assembly Beyond Borders internationale renommierte Expert_innen zu Vorträgen und Diskussionen zusammen. Neue Studienmodelle, die digitale Transformation und Onlinelernen, die Rolle der Weiterbildung im universitären Kontext und die Fähigkeiten für die Arbeitswelt der Zukunft bildeten die thematischen Eckpfeiler.

Mag. Friedrich Faulhammer, Rektor der Universität für Weiterbildung Krems und Initiator von CACE, betonte in seiner Begrüßung die hohe Relevanz der Weiterbildung gerade im universitären Kontext. Er untermauerte diese Bedeutung auch mit Verweis auf das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Porto im Mai 2021, wo unter anderem das Ziel ausgegeben wurde, dass bis 2030 mindestens 60 Prozent der Erwachsenen jedes Jahr an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen sollen. Für die führende Universität im Bereich der Weiterbildung in Europa ist das Entwickeln von Antworten auf die Frage, wie Weiterbildung zukünftig strukturiert wird, ein zentrales Anliegen.

Weiterbildung als universitäres Zukunftsthema

In seiner Keynote ging Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Antonio Loprieno, ehemaliger Rektor der Universität Basel und Präsident des Österreichischen Wissenschaftsrates, auf die Weiterbildung als institutionellen USP ein. War Weiterbildung früher ein Randthema für Universitäten, rückte es in letzter Zeit ins Zentrum, auch aufgrund ihrer gesellschaftlichen Perspektive. Nach einem historischen Abriss der Universitätsmodelle, die sich an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert herausbildeten, ging Loprieno auf jüngste Entwicklungen ein, wie den Fokus auf Innovation, der seit 2015 auf angewandte Wissenschaft mit Wirkung auf Wirtschaft und Gesellschaft gelegt wird. 

Nähe zur Öffentlichkeit und gesellschaftliche Wirksamkeit

Gegenwärtig beschäftigten die Universitäten die Trends der Ökosysteme und globalen Herausforderungen, so Loprieno. Hier käme auch die translationale Komponente der Weiterbildung zum Tragen, etwa im Ziel unternehmerische Fähigkeiten zu vermitteln. Universitäten mit dem Schwerpunkt auf Weiterbildung können durch ihren anwendungsbasierten Ansatz bei gleichzeitiger akademischer Fundierung gerade mit ihren Studierenden, die ihrerseits berufstätig sind und somit konkrete, lebensnahe Fragestellungen in die Universitäten bringen, maßgeblich zu Innovation beitragen. Der in diesem Zusammenhang oftmals gewählte transdisziplinäre Forschungszugang, wie ihn auch die Universität für Weiterbildung Krems gewählt hat, involviere auch Stakeholder außerhalb der akademischen Sphäre, womit sich bei Herausforderungen wie dem Klimawandel neue Handlungsfelder auftäten. Mit ihrer heterogenen Studierendenschaft zeichnet sich die Weiterbildung zudem durch große Nähe zur Öffentlichkeit aus, etwa durch Science-Society-Collaborations. Neben der Involvierung größerer Kreise berge ein sehr kollaborativer Ansatz aber auch Risiken, wie am Beispiel von Wikipedia gesehen werden könne. Ohne klare Autorenschaft steige die Gefahr von Fake News oder zumindest fehlender faktischer Untermauerung. Diese Wildwüchse gelte es in die Schranken zu weisen oder sie zu „zähmen“, wie es Loprieno ausdrückt. In diesem Zusammenhang wurde die Bedeutung von Wissenschaftskommunikation unterstrichen, gleichzeitig betonte Loprieno auch, dass die Wissenschaft eben nicht immer klare Aussagen treffen könne, was sich in der Pandemie zur Kommunikationsherausforderung entwickelte.

(Weiter)Bildungswege der Zukunft

Den Versprechungen des Online-Lernens widmete sich Dr. Betty Vandenbosch, MBA BSc in ihrer Keynote. Sie ist Chief Content Officer bei Coursera, ein Unternehmen, das auf die Bereitstellung von Online-Weiterbildungskursen spezialisiert ist. Als bedingt durch COVID-19 weltweit Notfall-Online-Unterricht plötzlich an der Tagesordnung stand, waren viele erstmals mit diesem Modus konfrontiert. Es zeigte sich rasch, dass Online-Lernen ein Trend ist, der auch nach der Pandemie bleiben werde, immerhin zeigten 85 Prozent der befragten Studierenden Interesse an Videovorträgen. Vandenbosch machte vier Trends im Besonderen aus: Blended Learning, also die Verschränkung von synchroner und asynchroner Lehre, Fokus auf berufliche Einsetzbarkeit, gerechten Zugang zu Inhalten und die verstärkte Zusammenarbeit der Institutionen.

Die Flexibilität, die durch Onlinelehre und Blended Learning erreicht werde, versetze mehr Menschen in die Lage, ein Studium mit ihren familiären und beruflichen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Dies zeige sich dort in steigenden Studierendenzahlen, wo vermehrt diese neuen Möglichkeiten angeboten würden, so Vandenbosch. Als Beispiel nannte sie die Universität der Wissenschaften Szeged, bei der die Onlinelehre nach Studierenden die viertgrößte Fakultät gebildet hätte. Die Prognose, dass bis 2025 85 Millionen Arbeitsplätze durch die Digitalisierung verschwinden würden, belege für Vandenbosch die Notwendigkeit sich digitale Fertigkeiten anzueignen. Diese grundlegenden Fähigkeiten ließen sich online, selbst über ein Smartphone, weitergeben. Ein typischer Weiterbildungsweg der Zukunft könnte beispielsweise mit einem Google IT-Support-Zertifikat beginnen, das Zugang zu Einstiegsjobs gewährt, dem ein akademischer Titel berufsbegleitend folgen kann. Eine große Chance sieht Vandenbosch im Thema Bildungsgerechtigkeit, bilden doch Onlinekurse Lernwilligen auf der ganzen Welt Zugang zu qualitativ hochwertigen Inhalten. Dabei verwies sie etwa auf eine Auswirkung von COVID-19: Die Arbeitsplätze von Frauen seien 1,8-mal so stark gefährdet wie jene von Männern.

Berufsrelevante Fähigkeiten in die Curricula bringen

Das Thema des sich wandelnden Arbeitsmarkts verbunden mit der Frage, welche Fähigkeiten tatsächlich relevant und wichtig seien, führte direkt zu Dr. Jörg Schuberts Ausführungen, Partner bei McKinsey Dubai. Mit der Feststellung, dass bereits mit den heute verfügbaren Technologien die Hälfte der Arbeiten automatisierbar wären, schlug er in die gleiche Kerbe wie Vandenbosch. Laut OECD benötigten 35 Prozent der Menschen eine neue Beschäftigung. Hier bestünden in den Sektoren natürlich Unterschiede, wie Schubert ausführte. Auffallend sei, dass die Berufe sich in ihrer Natur verändern würden. Seine Untersuchungen zeigten, dass Early Adopters, jene, die früh auf die neuen Trends reagierten, überproportional stark profitierten, was für Firmen wie Staaten gleichermaßen gelte. Diesem „Winner takes it all“-Prinzip folgend sind die Nachteile für späte Umsteiger umso gravierender. Ein markanter Trend lasse sich darin erkennen, mit welcher Art von Fertigkeit die Menschen heute und in der Zukunft beruflich die meiste Zeit aufbringen: Dominieren heute mit fast der Hälfte der Zeit (45 Prozent) höhere kognitive Fähigkeiten, werden wir künftig für technologische Fähigkeiten gut vier Fünftel der Arbeitszeit aufwenden.

Eine Online-Umfrage unter 18000 Teilnehmer_innen aus 15 Ländern diente als Grundlage, Distinct Elements of Talent, kurz DELTA, zu erfassen, worunter keine klassischen Fähigkeiten oder Qualifikationen verstanden werden. So kristallisierten sich 56 Attribute heraus, die eine erhöhte Chance auf eine Anstellung brächten, die auch mit einem höheren Einkommen korrelierten. Zufriedenheit im Beruf spiegelte sich etwa in hohen Werten bei den DELTAs Selbstmotivation und Umgang mit Ungewissheiten wider. Die Analyse verdeutliche, dass viele DELTAs nicht direkt mit Bildung verbunden seien. Wie können diese Fähigkeiten wie Kreativität oder Selbstbewusstsein Eingang in universitäre Curricula finden?

Umfassendes Verständnis der digitalen Transformation

Susan Grajek, Ph.D. ist Vize-Präsidentin für Partnerschaften, Gemeinschaften und Forschung bei EDUCAUSE, einer us-amerikanischen, gemeinnützigen Vereinigung mit der Mission, die Hochschulbildung durch den Einsatz von Informationstechnologien voranzutreiben. Sie ging in ihrer Keynote auf die Besonderheiten der digitalen Transformation ein, die weit mehr sei als bloße Digitalisierung von Daten oder Prozessen. Es handle sich dabei grundlegende Veränderung etwa im Geschäftsmodell und der Strategie. Sie beobachtete in der letzten Zeit, dass das Engagement im Bereich Onlinelehre, selbstredend auch aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen, zugenommen habe. Dies sei bei der Hochschulbildung keine Selbstverständlichkeit, da diese mit rechtlichen Hindernissen wie etwas Fragen des Datenschutzes ebenso umgehen müsste wie mit schwindenden finanziellen Spielräumen. Gleichzeitig sehe sie, wie ihre Vorredner_innen, den breiteren Zugang in den Hochschulbereich als Chance. Durch einen umfassenden Transformationsprozess könnten sowohl Sicherheit als auch Datenschutz erhöht werden.

Große Potenziale der digitalen Transformation sehe Grajek in vier Bereichen: der Verbesserung der Bildung, Fortschritten in der Forschung, der Straffung der Verwaltung und der Diversifikation, eben durch den verbesserten Zugang für größere Teile der Gesellschaft. Wenig überraschend führe die Pandemie dazu, dass Prozesse der digitalen Transformation schneller umgesetzt wurden. Wie stark dieser Effekt sei, zeigten Umfragen von EDUCAUSE vor der Pandemie und aus dem Jahr 2021: Gaben davor nur 13 Prozent der Institutionen an, Prozesse der digitalen Transformation durchzuführen, stieg dieser Anteil auf 44 Prozent. 

Studienkonzepte neu denken

Hochschulbildung ganz außerhalb ausgetretener Pfade gedacht und umgesetzt, präsentierte Univ.-Prof. Dr. George Iwama, President und Vice-Chancellor der Quest Universität Kanada. Er führte einen innovativen Zugang zu Bildung am Beispiel der Quest Universität aus, Kanadas ersten privaten, nicht profit-orientierten weltliche Universität für freie Künste und Wissenschaften.

Der erste Unterschied zur typischen Studienorganisation liege im Blocksystem: Statt mehrerer Kurse, die parallel laufen, fokussierten sich die Studierenden immer ausschließlich auf einen Kurs, der geblockt über dreieinhalb Wochen in Kleingruppen laufe. Das Studium wird geteilt in das Fundierungsprogramm in den ersten beiden Jahren und dem Konzentrationsprogramm in den beiden letzten Jahren. In allen Studien würden übertragbare Fähigkeiten erworben, so sei für alle Studierenden im Fundierungsprogramm ein Rhetorikkurs verpflichtend. Am Ende dieser beiden Jahre stehe die Entwicklung einer Forschungsfrage, die in der zweiten Studienhälfte wissenschaftlich behandelt werde. Dafür werden die Kurse im zweiten Studienteil individuell zusammengestellt, die zur Vorbereitung des Keystone-Projekts dienen. Als Beispiel nannte Iwama die Ausgangsfrage „Was ist die Natur von Olivenöl?“, der in Kursen der Soziologie ebenso nachgegangen wurde wie in wirtschafts- und ernährungswissenschaftlichen Lehrgängen, in Biochemie sowie internationalem Handel. Dieser stark interdisziplinäre Zugang spiegelt sich auch in der Organisationsstruktur wider, die ohne klassische Departmentstruktur auskomme. Weiters werde dem Credo „die Welt als Lernumgebung“ dadurch Rechnung getragen, dass alle Studierenden mindestens an einem Block „Erfahrungslernen“ teilnehmen müssen, in dem praktisches Lernen ihren Kursplan ergänzt und ihre akademischen Interessen und ihre Fragen widerspiegelt. Dies sei auch im Rahmen des Study Abroad-Programms möglich.

Onlinelehre mit Chancen und Herausforderungen

In der anschließenden Diskussion wurden die Fragen der Teilnehmer_innen von den Vortragenden aufgegriffen. So wurde die Thematik des gerechten Zugangs zu Wissen gerade mit Blick auf weniger privilegierte Gesellschaftsschichten und ärmere Länder angesprochen. In diesem Kontext verwies Jörg Schubert darauf, dass dem DELTA-Konzept hier besondere Relevanz zukäme, da durch die Automatisierung der Wettbewerbsvorteil billiger Arbeitskräfte schwinden werde. Auch die neue Herausforderung der „digitalen Ermüdung“, die durch ausgedehnte Online-Sitzungen verursacht werde, wurde angesprochen. Hier wurde darauf verwiesen, dass ein Wechsel des Kanals – Telefonat statt Videoanruf – ebenso helfe wie ein hoher Grad an Interaktion, auf den Betty Vandenbosch hinwies. Beim Thema Drop-out-Rate verwies sie auf die hohe intrinsische Motivation der Online-Lernenden. Gerade für den Einstieg seien auch technisch niederschwellige Kursangebote wichtig, damit nicht noch fehlende digitale Kompetenzen von Lernwilligen zum Hindernis würden. Im Bereich der Zusammenarbeit von Universitäten mit Firmen zeigten sich nach wie vor Unterschiede in der Organisationsstruktur: Universitäten als in der Regel historisch gewachsene Institutionen legten tendenziell ihren Fokus auf eine langfristige Perspektive, während Firmen eher auf schnelle Umsetzungen drängten.

Neue Bildungswege dank UG-Novelle

In seinen abschließenden Worten griff Gastgeber Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek, MAS MSc, Vizerektor für Lehre/Wissenschaftliche Weiterbildung und digitale Transformation (CDO) der Universität für Weiterbildung Krems, das Thema Kooperation auf, wobei er daran erinnerte, dass Universitäten oftmals noch geschlossene Systeme seien, was in der Forschung bereits weniger der Fall sei als in der Lehre. Die Gestaltung neuer (Weiter)Bildungswege sehe er als wichtige aktuelle Herausforderung, wo es darum gehe, den Wechsel und die Anrechenbarkeit von außeruniversitären Qualifikationen, Grund- und Weiterbildungsstudien zu gewährleisten, etwa durch den „Bachelor of Continuing Education“. In diesem Punkt öffne die aktuelle Novelle des Universitätsgesetzes (UG) in Österreich neue Handlungsräume. Neue, flexible Strukturen würden ihren Beitrag dazu leisten, ein Studium neben Beruf und Familie zu ermöglichen.

Mit rund 200 Anmeldungen aus den verschiedensten Teilen der Welt, angefangen mit Österreich und Europa – darunter die Universität Oxford – bis hin zu Interessierten aus Singapur, China, Indien, Kasachstan und den USA, erfreute sich die Veranstaltung großer Resonanz.

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