Anlässlich des Internationalen Tages der Artenvielfalt am 22. Mai 2022 weist der Österreichische Biodiversitätsrat auf die schwerwiegenden Folgen agrarischer Nutzung von Brachflächen in Österreich hin. Hintergrund ist die Freigabe der Brachen durch Ex-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger. Längerfristig könnte diese Entscheidung die globale Ernährungskrise verschärfen, anstatt sie zu bekämpfen.
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist Auslöser dafür, dass die Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) eine Verschärfung der weltweiten Ernährungskrise prognostiziert. Insbesondere Bewohner_innen des globalen Südens werden davon verstärkt betroffen sein. Mit der Verordnung 158/2022 (ausgegeben am 15. April 2022) änderte Ex-Bundesministerin Köstinger nach Freigabe durch die Europäische Kommission die Direktzahlungs-Verordnung 2015 und gab für das Jahr 2022 jene Brachflächen zur uneingeschränkten landwirtschaftlichen Produktion frei, die bislang vorrangig ökologischen Zielen dienten. Die damit angestrebte Ausweitung der Agrarproduktion sollte zur globalen Ernährungssicherheit beitragen – ein anscheinend naheliegendes Ziel, das aber aus Sicht namhafter Umweltwissenschafter_innen sehr kritisch hinterfragt wird.
Erhalt der Biodiversität ist Voraussetzung für Ernährungssicherheit
Ein sorgfältiger und maßvoller Umgang mit den natürlichen Ressourcen ist Kernelement von Strategien, die der Überwindung der globalen Herausforderungen, allen voran Biodiversitätsverlust und Klimawandel, dienen sollen. Daher werden weltweit, vor allem aber in Europa im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), Anreize für naturverträgliche Landwirtschaft gesetzt. „Bis vor kurzem wurde deshalb auch die Stilllegung von Flächen als Brachen unterstützt. Denn erst die langfristige Existenz von Brachflächen wirkt sich positiv auf die Bodenqualität (Bodenstruktur), die im Boden gebundene CO2-Menge, den Wasserhaushalt und den Erhalt der Biodiversität aus,“ so Dipl.-Ing Nina Weber, M. Sc., selbständige Landschaftsplanerin in Klagenfurt und Mitglied im Österreichischen Biodiversitätsrat. „Diese Faktoren tragen maßgeblich zu einer nachhaltigen Landwirtschaft bei und sind somit auch Voraussetzung für die langfristige Ertragssicherheit einer Landschaft.“
Potenzielle Erträge einer Brachennutzung in Österreich gering
Die Verordnung betrifft in Österreich Brachflächen von insgesamt ca. 9.000 ha. Diese Flächen sind nun zur Produktion aller landwirtschaftlichen Kulturen im Rahmen der gesetzlichen Standards – ohne weitere Einschränkungen – freigegeben worden. Dabei ist auch der Pflanzenschutz mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen und die Düngung mit mineralischen Düngemitteln erlaubt. Ob Österreichs Landwirtinnen die Möglichkeit zur Bewirtschaftung von Brachflächen wahrnehmen werden, darf bezweifelt werden, denn diese liegen häufig auf Grenzertragsstandorten. Das bedeutet, sie sind Flächen mit benachteiligter Feldstruktur oder größerer Entfernung zum Hof.
Kurzfristig ließen sich die Brachen auch nur für Sommerungen (Sommerfrüchte), wie Sommergetreidearten, Körnermais oder Sojabohne kultivieren oder als Grünland für Tiernahrung nutzen. Sollten, in einer eher optimistischen Annahme, zwei Drittel der 9.000 ha Brachflächen in Getreidekulturen umgewandelt werden, würde sich damit die derzeit bestehende Anbaufläche für Getreide in Österreich im Ausmaß von 737.000 ha (Schätzung der AMA für 2022 inkl. Mais) um nur 0,81 % vergrößern. Der erhoffte Beitrag zur Ernährungssicherheit wird daher minimal ausfallen.
Empfehlungen des Biodiversitätsrats: Besser Bauland statt Brachen reduzieren!
Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Pilze und auch die Agrarflächen verknappen sich in Österreich seit Jahrzehnten kontinuierlich. Ein großer Teil der Flächeninanspruchnahme dient anderen Zwecken. „Im langjährigen Durchschnitt verliert Österreich jährlich 5.500 ha produktiver Böden durch Bautätigkeit. Dieser jährliche Flächenverlust entspricht genau den 0,81 % an Flächengewinn, den man sich durch die Brachenfreigabe erhofft,“ betont Mag. Simon Vitecek, PhD, Ökologe am WasserCluster Lunz und ebenfalls Biodiversitätsrat. „Warum reduzieren wir nicht hier? Eine Einschränkung der Verbauung und Zersiedelung von potenziell landwirtschaftlich nutzbaren Flächen würde mit deutlich größerer Wirkung zur Ernährungssicherheit im Land beitragen.“
Verwertung von Getreide für Tiernahrung und Industrie minimieren!
Auch Dr. Thomas Wrbka, Professor für Botanik und Landschaftsökologe an der Universität Wien und Mitglied im Leitungsteam des Österreichischen Biodiversitätsrates, sieht taugliche Alternativen zur erwähnten Verordnung: „Wenn wir von Ernährungssicherheit für die Menschen sprechen, müssen wir auch die Nutzung des derzeitigen Bestandes betrachten. Laut einer Einschätzung der AMA fließen derzeit fast 80 % der heimischen Getreideernte in Tiernahrung und Industrie (beispielsweise für Bioethanol). Nur 19 % werden direkt für die menschliche Ernährung genutzt. Genau hier müssen wir ansetzen, und nicht bei einer kurzsichtigen Abkehr von Ökologisierungsmaßnahmen!“
Warum gerade Biodiversität in Brachen so wichtig und erhaltenswert ist
Brachen sind Lebensräume mit hoher Biodiversität in Agrarlandschaften. Sie bieten Tieren und Pflanzen Schutz und sind wichtige Habitate für Vögel und Kleinsäuger, Wildbienen und andere Bestäuber sowie für seltene Pflanzen- und Pilzarten. Das eindrücklichste Beispiel liefern Insekten wie etwa Wildbienen, die mit ihrer essentiellen Ökosystemleistung der Bestäubung zahlreicher Obstarten und anderer Nutzpflanzen zur Ertragssicherung landwirtschaftlicher Kulturen beitragen. Neben geschützten oder gefährdeten Arten kommen in den Brachen auch viele typische Begleiter des Ackerbaus vor, die in ihren Beständen (noch) nicht gefährdet sind. Sie sind nützliche Bindeglieder im Nahrungsnetz von Agrarökosystemen, die auch Schädlingspopulationen kontrollieren können (Bsp. die Wachtel) oder die Nahrungsgrundlage (Insektenarten wie bspw. der Heidegrashüpfer) für andere geschützte oder gefährdete Arten darstellen. Neben ihrer direkten Wirkung auf die lokale Biodiversität erfüllen Brachen auch Pufferfunktionen, die den Bodenverlust oder den Eintrag von Betriebsmitteln (wie Dünger und Schutzstoffe) in angrenzende Gebiete oder Fließgewässer reduzieren können.
Vor dem Hintergrund langfristig rückläufiger, bzw. auf sehr niedrigem Niveau stagnierender Indikatoren für Biodiversität in Agrarökosystemen (z.B. Farmland Bird Index, extensives Grünland, High Nature Value Farmland) sowie der langfristigen Ernährungssicherheit ist die Umwandlung von Brachflächen in konventionelle Ackerbauflächen aus Sicht des Österreichischen Biodiversitätsrates der falsche Schritt.
Über den Biodiversitätsrat
Der Österreichische Biodiversitätsrat ist die unabhängige Stimme für Biodiversität in Österreich und übernimmt dabei die Vertretung des Netzwerks Biodiversität Österreich (300 teilnehmende Personen und Organisationen). Der Rat besteht aus 27 Forscher_innen und Expert_innen der Bereiche Biodiversität, Ökologie, Landschaftsplanung, Naturschutz, ökologische Ökonomik, Agrarökonomie und Politikwissenschaften. Im Mittelpunkt der Arbeit des ÖBDR stehen die 5 Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität in Österreich.
Rückfragen
Univ.-Ass. Mag. Simon Vitecek, Ph.D.
Österreichischer Biodiversitätsrat
Ass.-Prof. Dr. Thomas Wrbka
Österreichischer Biodiversitätsrat
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