Für diejenigen, die ganz nach oben wollen, sind Netzwerke und das unverkrampfte Verhalten im Zielmilieu entscheidend. Soziale Aufsteiger sind da im seltensten Fall geschmeidig genug.

Von Cathren Landsgesell

Der aktuelle Vorstandsvorsitzende des deutschen Automobilkonzerns VW ist Maschinenbauer, 59 Jahre alt, männlich und österreichischer Staatsbürger: Herbert Diess fügt sich mit diesem Profil nahtlos in die Reihe der VW-Vorstandsvorsitzenden vor ihm ein. Der Informatiker Matthias Müller, sein unmittelbarer Vorgänger, war 62 als er diesen Posten übernahm; Martin Winterkorn, Diess‘ Vorvorgänger, stammt aus Bayern, hat ebenfalls einen Doktortitel (Metallforschung) und wurde mit 60 Jahren Vorstandsvorsitzender. Alle drei waren bereits vor ihrem Top-Job Mitglieder des Vorstands von VW und haben ihre Karrieren in der Automobilbranche begonnen – Diess und Winterkorn bei Bosch, Müller bei Audi.

Um in Deutschland oder Österreich ganz nach oben zu kommen, muss man also etwas Naturwissenschaftliches studiert haben, männlich, deutschsprachig und um die 60 sein. Stimmt das? Und wenn ja, warum ist das so?

„Die Personen, die in Führungspositionen sitzen, suchen Personen, die ihnen ähnlich sind“, sagt Michael Hartmann. Der Soziologe erforscht seit vielen Jahrzehnten die Rekrutierungsmechanismen von wirtschaftlichen und politischen Eliten. „In den relevanten Führungspositionen sitzen seit Generationen zu 95 Prozent Männer aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung.“ Was diese Nachkommen der oberen vier Prozent so geeignet macht für ihren Job sind nicht ihre Kenntnisse oder ihre Leistung, wie Hartmann analysiert hat, sondern die schlichte Tatsache, dass sie so sind wie alle anderen, die je in dieser Art Position waren oder sind: „Sie sind allesamt der Meinung, dass sie die richtigen Männer am richtigen Platz sind. Und wenn sie Nachfolger suchen, gibt es für sie keinen erkennbaren Grund, von ihrem Modus abzuweichen“, so der Soziologe.

Vorstandsetagen männlich besetzt

Das Ergebnis: Mehr als dreiviertel (76 Prozent) der 160 größten börsennotierten deutschen Unternehmen hatten im Jahr 2016 kein einziges weibliches Vorstandsmitglied. Das geht aus einer Erhebung der Böckler-Stiftung in Deutschland hervor, die die Entwicklung im Zeitraum von 2008 bis 2016 betrachtete. In diesen acht Jahren haben sich die Vorstandsetagen nur ein ganz klein wenig für Frauen geöffnet, obwohl seit 2015 alle börsennotierten Unternehmen in Deutschland gesetzlich zu einer Erhöhung des Frauenanteils verpflichtet sind.

Das dem Cloning ähnliche Rekrutierungsprinzip geht so weit, dass zumindest in deutschen Vorstandsetagen de facto nur Männer ab einer bestimmten Körpergröße akzeptiert werden: „Wer in den Vorstand will, sollte nicht kleiner sein als 1,80 oder am besten 1,90“, so Hartmann. „Wenn jemand kommt mit 1,74 – das irritiert.“

Grafik_geschmeidig bleiben

Verhältnisse selbstverständlich

Allen scheinen die bestehenden Verhältnisse selbstverständlich. Das macht sie so stabil und dauerhaft. Nicht zuletzt sind sie für denjenigen selbstverständlich, die davon am meisten profitieren: „Empirische Forschung hat gezeigt, dass Männer die oftmals durch und durch männlichen Netzwerke, in denen sie sich bewegen und von denen sie profitieren, gar nicht zwingend als jene ‚homosozialen‘ Gemeinschaften begreifen, die sie sind: Vielmehr herrscht hier mitunter ein fester Glaube daran, dass die Tür für alle offen steht, deren Arbeit gut genug ist und die ausreichend Einsatz zeigen“, sagt die an der Donau-Universität Krems tätige Psychologin Claudia Höfner. „Der Leistungsmythos schreibt den Erfolg nicht etwa der Präsenz in Netzwerken, sondern der Qualität der eigenen Arbeit und außerdem einem Quäntchen Glück oder dem Zufall zu: Man ist gut in dem, was man tut, und den eigenen Erfolg verdankt man zudem dem mysteriösen Umstand, ‚zur richtigen Zeit am richtigen Ort‘ gewesen zu sein“, so die Psychologin und Psychotherapeutin.

Netzwerke seien in einem bestimmten professionellen Umfeld ein wichtiger Faktor für den Verlauf von Karrieren, sagt auch Wolfgang Mayrhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien, wo er das Institut für Verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management leitet. „Je höher die Hierarchieebene, um die es geht, desto relevanter werden Netzwerke. Auch wenn sie nicht der allein ausschlaggebende Faktor sind“, sagt der Betriebswissenschaftler. „Auf der Ebene der CEOs wird zwar formal ausgeschrieben, aber es ist klar, wen du nicht kennst, der wird nicht rekrutiert. Kein HR-Verantwortlicher oder Headhunter schaut einmal unverbindlich, was der Markt gerade so hergibt.“

Die sozial gesteuerte Rekrutierung bringt auf diese Weise einen Selbstschutzmechanismus hervor: Risikoaversion. Unverbindlich zu schauen „was der Markt hergibt“, wäre in diesem Biotop zu riskant. „Headhunter und Führungskräfte sind nicht besonders risikofreundlich. Wenn sie einen bestimmten Typus haben, von dem sie sagen können, er funktioniert, setzten sie sich selbst dem Risiko des Scheiterns aus, wenn sie entgegen dieses Typus eine Stelle besetzen, und es geht schief. Dann werden alle fragen: ‚Warum haben Sie nicht den deutschen Ingenieur von 1,90 genommen, sondern den kleinen Mann oder gar eine Frau?‘ Klappt es aus irgendeinem Grund mit dem deutschen Ingenieur nicht, wird das eher akzeptiert“, so Michael Hartmann.

Aber woran erkennen die oberen vier Prozent ihresgleichen? Entscheidend ist etwas schwer In-Worte-zu-Fassendes. „Persönliche Souveränität“ nennt Michael Hartmann den Komplex von Verhaltensweisen, der nur eines stetig kommuniziert, nämlich: „Ich gehöre dazu; ich gehöre hier hin“. „Die Leute bewegen sich mit einer Selbstverständlichkeit und Souveränität als würden sie dahin gehören, und das ist das, was sie aus Sicht der Entscheider für diese Position so geeignet macht.“ Das Problem dabei: Diese Selbstverständlichkeit prägt sich am besten über die familiären Erfahrungen ein. Wer keinen bürgerlichen Hintergrund hat, wird in bestimmten Situationen fast immer angespannt, unsicher oder verkrampft agieren – allesamt Indikatoren, dass man eben doch nicht dazugehört.

„Netzwerken ist in vielen Bereichen des Lebens und der Arbeit ein Muss, ist an sich aber noch lange kein Garant für Erfolg. “

Claudia Höfner

Die Integrative Therapie, wie Höfner sie vertritt, geht von der sozialen Genese psychischer Strukturen und damit der individuellen Identität aus. „Das Integrative Identitätskonzept fokussiert auf die Schnittstelle zwischen Individuum, Gesellschaft und Zeit“, erläutert Höfner. Ob jemandem eine Karriere gelingt oder nicht, ist aus ihrer Sicht daher weniger eine Frage der individuellen Eignung oder Leistung. Zu schwer ist das Gewicht sozialer Strukturen: „Psychologische und soziale Faktoren können hier gar nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Es geht nicht so sehr um ein ‚Nicht-zulassen-Wollen‘ – das unterstellt als Quelle von Inklusion und Exklusion eine bewusste Reflexion oder gar eine Strategie, Frauen oder auch Männer, die nicht dem hegemonialen Bild von Männlichkeit entsprechen, auszuschließen. Im individuellen Fall mag es solche Strategien natürlich geben. Erhellender ist es, wenn man Zugehörigkeit und Ausschluss als Ergebnis von Kräfteverhältnissen und Routinen begreift, die sich in unserem Alltag ständig reproduzieren – mal durch unser bewusstes, aber oft und entscheidend durch unser beiläufiges, nicht notwendig bewusstes oder gewolltes Zutun.“

In Zukunft offener

Höfner glaubt aber, dass sich die Männerwelten von Wirtschaft und Politik – zumindest gegenüber Frauen – aufgrund des sozialen wirtschaftlichen und technologischen Wandels in Zukunft mehr öffnen werden. „Die Männergemeinschaften geraten immer stärker unter einen gesellschaftlichen Legitimationsdruck. Sie sind jetzt dafür zuständig, all’ jene Unsicherheiten, die durch den gegenwärtigen Wandel entstehen, aufzufangen und auszugleichen. Sie sind Orte, an denen Männer einander der Normalität der eigenen Weltsicht vergewissern. Daher fühlen sich viele Männer dort, wo sie in geschlossenen Gruppen unter sich sind, ‚wohler‘ – obgleich es eben in diesen Formen der Vergemeinschaftung um weit mehr geht als um ein geteiltes Wohlgefühl: Es geht um Statuswahrung. Frauen wissen demgegenüber zunehmend um die Notwendigkeit, selbst alternative, konkurrenzfähige Netzwerke auszubilden, um sich dieser Kultur gegenüber zu behaupten. Die Frage, ob Frauen netzwerken sollten, um erfolgreicher zu sein, erübrigt sich damit: Sie tun es bereits, und sie tun es durchaus bewusst. Ob das wiederum den entscheidenden Vorteil im Kampf um knappe Positionen bringt, steht auf einem anderen Blatt: Netzwerken ist in vielen Bereichen des Lebens und der Arbeit ein Muss, ist an sich aber noch lange kein Garant für Erfolg.“


Claudia Höfner
Univ.-Prof. Mag. Dr. Claudia Höfner, MSc ist Psychologin und Psychotherapeutin. Sie ist Professorin für Integrative Therapie und Psychosoziale Interventionen an der Donau-Universität Krems sowie Leiterin des dortigen Zentrums für Psychotherapie.

Michael Hartman
Prof. Dr. Michael Hartmann war bis Herbst 2014 Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Sein Schwerpunkt ist Elitenforschung. Hartmanns zentrale These: Herkunft entscheidet über Erfolg. Nach „Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende“ (2016) erschien von ihm 2018 „Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden“.

Wolfgang Mayrhofer
Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Mayrhofer ist seit 1997 Ordinarius der Interdisziplinären Abteilung für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien und leitet das dortige Interdisziplinäre Institut für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes Management IVM.

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