05.11.2019

Hochrangige LändervertreterInnen sowie ExpertInnen aus Wissenschaft und Kultur diskutierten am 31. Oktober bei der vom Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Zusammenarbeit mit der Donau-Universität Krems organisierten Donau-Konferenz im Haus der Europäischen Union Wien über aktuelle globale und geopolitische Entwicklungen und deren Auswirkungen auf den Donauraum.

DI Jozef Vasak (Berater für wirtschaftspolitische Koordinierung und Europäisches Semester, Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich) verwies in seiner Begrüßung zur Donau-Konferenz auf die vielfältigen Herausforderungen, denen der Donauraum derzeit begegnet und für die es Lösungsstrategien benötigt: von Klimawandel über Digitalisierung und Protektionismus, weiters über ein Aushöhlen von Demokratie und Rechtsstaat bis hin zum Brexit. Letzterer sei im Bestfall ein Nullsummenspiel, anderes schaffe dagegen win-win-Situationen. Nur ein starkes, geeintes Europa könne somit diesen Herausforderungen erfolgreich begegnen.

Mag. Lukas Mandl (Abgeordneter im Europäischen Parlament und Vorstandsmitglied des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien) warnte vor einer Schwächung und Spaltung der Europäischen Union durch den Brexit. Denn für die Zukunft der EU sei das Zusammenwachsen von West-, Mittel- und Osteuropa genauso wichtig wie die volle Integration des Westbalkans. Außerdem verwies Mandl auf einen weiteren, nämlich die Bedeutung von Bildung als Schlüssel zu Wohlstand innerhalb Europas sowie zu Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext.

Laut Dr. Martin Eichtinger (Landesrat für Wohnbau, Arbeit und internationale Beziehungen, in Vertretung von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, Land Niederösterreich) zeige der Brexit „schwere Kommunikationsdefizite“ bezogen auf die Errungenschaften der EU. Das Land Niederösterreich sei in dieser Situation ein Brückenbauer, so Eichtinger, da es wichtig sei, dem durch Informationsmangel verursachten Imageschaden der EU innerhalb der Bevölkerung entgegenzuwirken.

Mag. Friedrich Faulhammer (Rektor der Donau-Universität Krems) wies auf die Bedeutung des Veranstaltungsortes der diesmaligen Donau-Konferenz direkt im Haus der Europäischen Union hin und betonte den Zusammenhang mit der Relevanz des Themas. Dabei hob er die Rolle von Wissenschaften und Universitäten für die Entwicklung des Donauraums generell hervor und führte aus, dass sich die Donau-Universität Krems, als eines der 64 Mitglieder der Donaurektorenkonferenz (DRC), den aktuellen Herausforderungen des Donauraums widmet.

 

Schlankere Strukturen empfohlen

Prof. Dr. Péter Balázs (Direktor des Center for European Neighborhood Studies (CENS), Professor für Internationale Beziehungen und Europastudien an der Central European University (CEU), ehemaliger ungarischer Außenminister und erstes ungarisches Mitglied der Europäischen Kommission für Regionalpolitik, Budapest) skizzierte in seinem Keynote-Vortrag verschiedene Möglichkeiten für Europa, an Charme zurückzugewinnen. Balázs erinnerte an die historisch prägende Rolle Europas für die Entwicklung der Moderne, aufbauend auf dem Glauben an den Markt und den Parlamentarismus, aber auch an den Kolonialismus. Europa habe seine Lektionen aus den beiden Weltkriegen durch eine friedliche Zusammenarbeit und die Gründung der Europäischen Union gelernt. Seit 2008 sei diese Entwicklung aber durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verbunden mit einer zunehmenden Skepsis gegenüber der laufenden EU-Integration und -Erweiterung sowie gegenüber den sich ändernden wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in Bedrängnis geraten. Weitere Herausforderungen seien die strukturelle Komplexität der EU-Entscheidungsmechanismen, insbesondere im Zusammenhang mit der aktuell unklaren Budgetsituation. Um Vertrauen in die EU zurückzugewinnen, sollte diese hinsichtlich ihrer Struktur laut Balázs zur Diskussion einer gemeinsamen europäischen Verfassung zurückkehren. Das Budget sollte die großen gesellschaftlichen Herausforderungen stärker reflektieren, KandidatInnen zum EU-Parlament sollten direkter gewählt und die Kommission verkleinert werden.

 

Herausforderungen: Klimawandel, Infrastruktur und Gesundheitsversorgung

Die Diskussionen des ersten Panels fokussierten anschließend auf Herausforderungen und Lösungen für Außenbeziehungen, Infrastruktur, Handel, Arbeitsmarkt und Umweltpolitik. Als zentral erwies sich der adäquate Umgang mit dem Klimawandel in seiner Auswirkung auf die Landwirtschaft und die Donau als Verkehrsweg und Ökosystem. Eine stärkere Kooperation von Wirtschaft und Ökologie sei hier erforderlich. Den Ausbau und Erhalt des Gesundheitssystems nannten die ExpertInnen als weitere wichtige Herausforderung.

Für die Integration von Kandidatenländern wie Serbien erwies sich der Ausbau von Verkehrskorridoren als entscheidend. Zentral sei vor allem, nach der Finanzierung von Flaggschiffprojekten für den Donauraum frisches Geld für neue Initiativen zur Verfügung zu stellen und den EU-Aktionsplan für den Donauraum mit dem Ziel einer stärkeren Mitwirkung der Nicht-EU-Mitgliedsstaaten zu adaptieren. Es brauche Maßnahmen, jungen Menschen den Verbleib und das Leben in Südosteuropa schmackhaft zu machen, anderenfalls würden diese weiterhin und verstärkt nach Mitteleuropa emigrieren. Unerlässlich seien hier, so die TeilnehmerInnen des ersten Panels, ein stärkerer politischer Handlungswille auf EU-Ebene und klarere Kompetenzen für die relevanten Fragestellungen des Donauraums.

Unter der Moderation von Christoph Schlemmer (Austria Presse Agentur, APA) diskutierten im ersten Panel Stella Arneri (Stellvertretende Ministerin für regionale Angelegenheiten und Fonds der Europäischen Union, Kroatien, Zagreb), Gheorghe Constantin (Koordinator der EUSDR Priority Area 5: Environmental Risks beim rumänischen Ministerium für Gewässer und Wälder, Bukarest), Univ.-Prof. DI Dr. Helmut Habersack (Leiter des Instituts für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung, Universität für Bodenkultur (BOKU), Wien) sowie Aleksandra Radinović, MA (Leiterin der Abteilung für Planung und Programmerstellung von EU-Mitteln und Entwicklungshilfe in den Bereichen Wirtschaft, Infrastruktur und regionale Entwicklung am Ministerium für europäische Integration der Regierung der Republik Serbien, Belgrad).

 

Klare Visionen anstelle diffuser „Retropien“

Das zweite Panel thematisierte aktuelle Herausforderungen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur und Zivilgesellschaft und deren Bedeutung beim gemeinsamen Gestalten der Vielfalt sowohl im Donauraum als auch in Europa insgesamt. Essentiell dafür sei ein bewusster Narrativwechsel, so die ReferentInnen: Anstatt die Menschen mit apokalyptischen Untergangsszenarien zu lähmen, müsste auf die positive Kraft von gesellschaftlicher Vielfalt und Hoffnung auf eine gemeinsame europäische Zukunft gesetzt werden. Dazu braucht es eine verlässliche Beitrittsperspektive für die Westbalkan-Staaten, eine Verhinderung von Brain Drain durch attraktive Bildungssysteme und einen soliden Arbeitsmarkt in allen europäischen Staaten sowie ein neues, europäisches Identifikationsangebot an die heutige Jugend, die größtenteils in globalen Maßstäben denkt und die monokulturelle Weltbilder weitestgehend abgelegt hat.

Die Diskussion zeigte auf, dass „Retropien“ – Sehnsüchte nach einer vermeintlich heilen Vergangenheit, die in Realität so jedoch nie existiert hatten – eine Sackgasse sind. Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass es jungen Menschen innerhalb und außerhalb der EU durch die extreme Individualisierung an Zugehörigkeitsempfinden, Orientierungshilfe und Vorbildern mangele, während größtenteils Unklarheit darüber bestehe, welche Einflussfaktoren auf Jugendliche einwirkten. Verbesserungen im Bildungswesen und Arbeitsmarkt seien schließlich unabdingbar, um die Abwanderung (Hoch-)Qualifizierter zu verhindern und die lokalen Gesellschaften zu unterstützen. Zur Stärkung peripherer Regionen sei daher nicht nur an internationale Mobilität, sondern auch an die Förderung intra-regionaler Mobilität zu denken. Der EU müsse es wieder gelingen, mit attraktiven Angeboten zu überzeugen: durch verlässlich eingehaltene Beitrittszusagen, durch den Ausbau des Bildungswesens, durch die Förderung strukturschwacher Regionen und durch zusätzliche Investitionen und damit die Aussicht auf Arbeitsplätze, funktionierende Sozialsysteme und faire Lebensbedingungen in allen europäischen Regionen.

In dem von Adelheid Wölfl (Südosteuropakorrespondentin der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“, Wien/Sarajevo) moderierten zweiten Panel diskutierten Ass.-Prof. Dr. Bekim Baliqi (Institut für Politikwissenschaft der Universität Pristina, Kosovo), Haris Pašović (Theaterdirektor und Intellektueller, Sarajevo, Bosnien und Herzegowina), Stanislava Tasheva (Projekt- & Eventmanagerin, Plovdiv – Europäische Kulturhauptstadt 2019, Plovdiv, Bulgarien) und Manfred Zentner (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department Migration und Globalisierung der Donau-Universität Krems).

Die Konferenz wurde vom Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Zusammenarbeit mit der Donau-Universität Krems organisiert. Kooperationspartner waren die Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien, die IMC Fachhochschule Krems sowie das Europa-Forum Wachau. Die Tagung stand unter Patronanz der ARGE Donauländer und wurde vom Land Niederösterreich unterstützt.

 

 

Die Donau-Konferenz im Haus der Europäischen Union Wien

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