Die langjährige Verbindung zwischen Wissenschaft und Diplomatie in Richtung Kultur auszuweiten, war Ziel der Konferenz „Science Diplomacy and Heritage: On the Politics of Fragments, the Role of Science, and the Perception of Lacunas’ “, die am 4. Dezember 2025 im Palazzo Grassi, Venedig stattgefunden hat. Träger war die von der Universität für Weiterbildung Krems und EUTOPIA geleitete Sektion Science Diplomacy and Culture als Teil der European Union Science Diplomacy Alliance. Rund neunzig hochrangige Vertreter_innen aus Diplomatie, internationalen Organisationen, Recht, Universitäten und Museen vertieften dabei Beziehungen und entwickelten neue Perspektiven. Der international gefragte Künstler Ali Cherri öffnete mit seiner Performance „The Book of Mud“ neue Horizonte.
„Schnittstellen zu identifizieren, den Umgang mit kulturellem Erbe aus der Dreiecksperspektive Diplomatie, Wissenschaft und Kultur zu diskutieren und den Beitrag der künstlerischen Praxis zur Erweiterung des Horizonts des Denkens über den Umgang mit Kultur hervorzuheben, war Ziel der Konferenz“, skizziert Christina Hainzl, Leiterin des Research Lab Democracy and Society in Transition an der Universität Krems die Intention hinter der Konferenz. Sie bildete den Auftakt einer Konferenzreihe der Sektion Science Diplomacy and Culture unter dem Dach der European Union Science Diplomacy Alliance. Durch die Zusammenführung der drei Bereiche Diplomatie, Wissenschaft und Kultur öffnete die Konferenz neue Perspektiven und thematisierte die Lücken und Defizite in sozialen und kulturellen Narrativen zum Kulturerbe als zentralen Gegenstand der Diskussion.
Staying with the Fragments
Als Brennpunkt der Beziehungen zwischen den drei Sphären, stand der Umgang mit dem Monument als Zeugnis kulturellen Erbes sowie ferner die Restitution von Kulturgütern im Fokus der Keynote „Staying with the Fragments“ von Dan Hicks. Der Professor für Archäologie an der Universität Oxford sowie Kurator am Pitts River Museum wurde mit seinem 2020 erschienen Buch „The Brutish Museums“ bekannt. Er zeichnete in seiner Keynote die Genealogie einer bislang unbenannten kulturpolitischen Bewegung nach, die sich zwischen 1870 und 1920 herausbildete und Museen, Monumente, Architektur und Erinnerungskulturen prägte. Hicks bezeichnet sie als „militarist realism“ – ein ästhetisch-politisches System, das koloniale Herrschaft durch Bilder, Objekte und wissenschaftliche Kategorien verankerte.
Hicks zeigte, wie gegenwärtige Bewegungen – Restitution, Dekolonisierung von Wissensbeständen – diese historische Struktur bloßlegen. Die Entfernung der Colston-Statue etwa in Bristol sei kein isoliertes Ereignis, sondern „Teil eines langen gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses“, der auf die Umgestaltung öffentlicher Erinnerung zielt. Edward Colston war britischer Politiker und Sklavenhändler im 17. Jahrhundert.
Hicks, der seine Arbeit im Spannungsfeld Archäologie, Anthropology, Art, Architecture und Material Culture ansiedelt, kritisierte den Versuch mancher Institutionen, solche Konflikte zu neutralisieren, etwa indem gestürzte Monumente konservatorisch stabilisiert und erneut ausgestellt werden. Damit werde die Wirkung kolonialer Narrative fortgeführt. Stattdessen, so Hicks, brauche es neue Formen des Umgangs mit Leerräumen: „Das Offenhalten der Lücke schafft Raum für andere Erinnerungen.“
Auch der Umgang mit human remains in Museen müsse dringend reformiert werden. Fehlende Transparenz über Herkunft und Aufbewahrung sei ein zentrales Hindernis für Vertrauen und wissenschaftliche Integrität.
Starke diplomatische Kraft Kultur
Das erste Panel, moderiert von Christina Hainzl und Eric Piaget von der Universitätenallianz EUTOPIA, beleuchtete, wie eng politische Beziehungen mit der Behandlung von Kulturerbe verknüpft sind. Diskutant_innen waren Regina Rusz, Botschafterin, Österreichisches Außenministerium, Generaldirektorin für kulturelle Angelegenheiten, Alessandro Garbellini, Italienisches Außenministerium, Direktor für multilaterale Zusammenarbeit, Volker Erhard, Auswärtiges Amt, Deutschland, Leiter der Abteilung Kulturerbe, Katalin Andreides, Rechtsanwältin, Rom, Ivor Agyeman Duah, Manhiya Palace Museum, Ghana, Samuel Partey, UNESCO Venedig und Muhammad Adeel, Botschaft Pakistans bei der Europäischen Union, Belgien und Luxemburg. Einigkeit bestand darin, dass Kultur- und Wissenschaftsdiplomatie heute nicht mehr als Instrumente asymmetrischer Einflussnahme verstanden werden dürfen.
Regina Rusz, sprach von der „Kraft der Beziehungen“, die klassische Soft-Power-Begriffe ablösen müsse. Diplomatie solle Empathie und Dialog ermöglichen statt Deutungshoheit zu behaupten. Volker Erhardt, deutsches Außenamt, betonte, dass autoritäre Regime weiterhin auf „subordinierende Soft Power“ setzten, während europäische Staaten zunehmend Partnerschaftsmodelle anstrebten.
Aus afrikanischer Perspektive verwies Ivor Agyeman-Duah, Direktor des Manhiya-Palace Museums, Ghana und einer der Verhandler der Restitution des Asante-Schatzes, auf die historische Verstrickung wissenschaftlicher Praktiken mit kolonialen Eingriffen. Wissenschaftliche Erkenntnisse hätten Fortschritt ermöglicht, aber auch „kulturelle Schmerzen“ verursacht – etwa durch Ressourcenausbeutung und zerstörerische Umweltpraktiken.
UNESCO-Vertreter Samuel Partey erläuterte, wie wissenschaftliche Risikomodelle – etwa zu Überschwemmungen oder Erosion – heute diplomatische Prozesse im Kulturerbeschutz unterstützen: „Wissenschaft schafft gemeinsame Argumente für den Erhalt von Stätten.“
Juristin Katalin Andreides hob hervor, dass der globale Umgang mit Provenienzforschung und Restitution sich stark wandelt. Inklusivere Kooperationen seien notwendig, damit Wissen und kulturelle Ausdrucksformen nicht länger primär im Globalen Norden verankert bleiben.
Weisheit und Innovation verbinden
Der Nachmittag der Konferenz wurde mit der Keynote „Science diplomacy and heritage: bridging wisdom and innovation“ von Peggy Oti-Boateng, bis vor kurzem Generalsekretärin der Afrikanische Akademie der Wissenschaften, Nairobi, begonnen. Anhang mehrerer Beispiele afrikanischer Ländern skizzierte Oti-Boateng, wie Kulturen durch gemeinsamen wissenschaftlichen Fortschritt verbunden werden können und welche Rolle dabei die traditionelle afrikanische Philosophie des Ubuntu spielt, die auf dem Prinzip des 'I am because we are' beruht.
Das Kulturerbe in der Ära der Ungewissheit
Im zweiten Panel des Nachmittags, moderiert von Eric Piaget und Benjamin Dehry, wurden zentrale Herausforderungen für den Schutz kulturellen Erbes unter globalen Krisenbedingungen diskutiert. Teilnehmer_innen waren Martina Schubert, stellvertretende Direktorin Diplomatische Akademie Österreich, Abdelrazek Elnaggar, EUTOPIA, Nadia von Maltzahn, Orient-Institut Beirut, Francesca Tarocco, Centre for Environmental Humanities NICHE, Ca’ Foscari Venedig, Cengiz Günay, Direktor Österreichisches Institut für Internationale Politik.
Die Beiträge betonten, dass Wissenschaftsdiplomatie nur wirksam sein kann, wenn sie als langfristige, institutionell verankerte Zusammenarbeit gedacht wird. Die Panel-Vertreter_innen aus der Diplomatie, der Forschung und den Heritage Studies hoben hervor, dass Nachhaltigkeit ein Prozess sei, der wissenschaftliche Evidenz, soziale Bedürfnisse und historische Sensibilitäten verbinden müsse. Besonders betont wurde die Bedeutung von Vertrauen, gerechter Wissensverteilung und frühzeitig aufgebauten Dialogkanälen, die in Krisen als stabile Infrastruktur dienen können.
Die Diskussionen machten deutlich, dass der Erhalt stark frequentierter Kulturerbestätten – exemplarisch Venedig – ohne eine Verbindung von Wissenschaft, Politik und lokaler Erfahrung nicht zu bewältigen ist. Die Redner_innen verwiesen auf die Grenzen rein technokratischer Lösungen und plädierten für breitere, bio-kulturelle Ansätze, die Mensch und Umwelt gemeinsam in den Blick nehmen. Zugleich wurde auf Defizite politischer Steuerung und gesellschaftlicher Trägheit hingewiesen: Obwohl wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, fehle es häufig an konsequenter Umsetzung. Im Umgang mit Massentourismus und Klimarisiken wurde daher die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit und nachhaltiger Governance-Strukturen betont.
Was Objekte erzählen dürfen
Im abschließenden Artist Talk loteten Bruno Racine, Direktor und CEO des Palazzo Grassi-Punta della Dogana und der international anerkannte Künstler Ali Cherri aus, wie Kunst institutionelle Wissensordnungen herausfordern kann.
Racine schilderte anhand der Digitalisierung der Bestände der Französischen Nationalbibliothek, der er von 2007 bis 2013 als Leiter vorstand, die immense Bedeutung technologischer Innovation für Diplomatie und den Zugang zu Kulturerbe. Digitalisierte Zeitungen, Manuskripte und Bildbestände könnten als „Werkzeug des Wissensaustauschs“ eingesetzt werden – etwa wenn Kulturerbe in Krisenregionen zerstört wurde und digitale Kopien zum Wiederaufbau beitragen. Er berichtete von diplomatischen Erfahrungen mit China und Korea, in denen historische Objekte zu sensiblen Gesprächsanlässen wurden. Während China auf hochwertige Digitalisierung setzte, bestand Korea auf symbolischer Rückgabe – ein Beispiel dafür, wie technisch-wissenschaftliche Lösungen allein kulturelle Bedürfnisse nicht immer erfüllen.
Ali Cherri nahm diese Punkte auf und kritisierte die „Gatekeeper-Strukturen“ vieler Museen: Konservator_innen, Historiker_innen und Institutionen bestimmten oft rigide, welche Geschichten Objekte erzählen dürfen. Aus seiner Sicht zeigten viele Museen heute vor allem ihre Systeme der Wissensproduktion, nicht die Objekte selbst. Die Einladung zeitgenössischer Künstler sei häufig ein Symptom institutioneller Verunsicherung, wenn problematische Sammlungen ihre Legitimation verlieren.
Cherri plädierte dafür, Objekten andere Beziehungen zu ermöglichen, jenseits kuratorisch erzeugter Erzählungen: „Museen sollten Bedingungen schaffen, in denen neue Geschichten entstehen, nicht nur die eigene Geschichte erzählen.“
The Book of Mud
Den Abschluss und Höhepunkt der Konferenz bildete die Performance „The Book of Mud“ von Ali Cherri im Atrium des Palazzo Grassi mit den Künstler_innen Charbel Haber, Jamika Ajalon und Souhaib Ayoub.
Die Performance „The Book of Mud“ greift Schlamm auf als Ausgangspunkt für eine Reise durch verschiedene Erzählungen, die sich mit Sümpfen, stehenden Gewässern und Tiefland befassen. Diese symbolische Wahl ermöglicht die Erforschung der vielfältigen Dimensionen von Erde und Wasser, sowohl physisch als auch metaphorisch, und zeigt, wie diese Elemente zusammenwirken, um unser Verständnis der Welt und unserer, des Menschen eigenen Existenz zu prägen.
Die Konferenz wurde dank der Unterstützung einer Reihe renommierter Institutionen ermöglicht: allen voran Palazzo Grassi-Punta della Dogana für die Bereitstellung der Räumlichkeiten und Infrastruktur sowie für die Ausrichtung der Konferenz, weiters die European Union Science Diplomacy Alliance, das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa und das UNESCO-Regionalbüro für Wissenschaft und Kultur in Europa mit Sitz in Venedig.
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