19.05.2020

Der Österreichische Biodiversitätsrat, dem mehr als 20 ExpertInnen aus den Bereichen Biodiversität, Landschaftsgestaltung und Naturschutz angehören, mahnte anlässlich eines Pressegesprächs am 19. Mai die österreichische Bundesregierung bei der Bewältigung der Corona-Krise, andere wichtige gesellschaftliche Herausforderungen nicht aus dem Blick zu verlieren. Vielmehr sei es Gebot der Stunde und zugleich große Chance, diese in ein nachhaltiges Krisenmanagement einzubeziehen.

Die aktuelle österreichische Bundesregierung übernimmt, so die VertreterInnen des Biodiversitätsrats anlässlich eines Pressegesprächs, in ihrem Regierungsprogramm explizit Verantwortung für die Biodiversität und plant erste wichtige Maßnahmen für den Erhalt der Biodiversität in Österreich. Diese Maßnahmen müssten nun jedoch zum Wohle der Zukunft Österreichs auch unter der Corona-bedingten Budgetsituation ambitioniert umgesetzt werden.

Der Österreichische Biodiversitätsrat fordert die Politik daher auf, die Bekämpfung der Corona-Krise zum Anlass zu nehmen, eine ökologische und gesellschaftliche Transformation einzuleiten. Dafür müssen neue Maßstäbe gesetzt werden und neue politische Perspektiven insbesondere in folgenden Bereichen entwickelt werden:

  • Eine neue Perspektive auf Landverbrauch und -nutzung: Die Landnutzung in Österreich muss Biodiversität nachweislich sichern und fördern, anstatt sie zu vernichten. Eine flächendeckende ökologische Infrastruktur mit mindestens 10 % Vorrangflächen für die Natur muss strategisch geplant und zügig ausgebaut werden.
  • Eine neue Perspektive auf unser Wirtschafts- und Steuersystem: Rasche und umfassende Umsetzung einer sozial-ökologischen Steuerreform mit dem Ziel, Klima- und Biodiversitätsschutz gemeinsam und gleichrangig zu fördern. Die Auswirkungen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität müssen kontinuierlich abgebildet und überprüft werden. Dotierung des nationalen Biodiversitätsfonds mit 1 Milliarde Euro.
  • Eine neue Perspektive auf Bildung: Das Lehrangebot an österreichischen Schulen und Universitäten für ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen Ökologie und Wirtschaft steigern. Die Biodiversitätsforschung und diesbezügliche Forschungseinrichtungen und Fachhochschulen ausbauen und fördern.
  • Eine neue Perspektive auf den Wert der Natur an sich und für uns Menschen: Der ökologische Wert der Natur muss auch ökonomisch bewertet und in gesellschaftlichen Abwägungsentscheidungen berücksichtigt werden, damit die Folgen aus der Förderung der Biodiversität und von nachhaltigem Handeln besser sichtbar werden. Darüber hinaus hat die Biodiversität einen intrinsischen Wert, der die Umsetzung von Umweltpolitik anleiten sollte.

Laut Politikwissenschafterin Alice Vadrot, ERC-Grant-Trägerin an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrats anerkenne der Österreichische Biodiversitätsrat die COVID-19 Pandemie als „eine der größten Herausforderungen der letzten Dekaden. Sie erfordert von allen Bürgerinnen und Bürgern Einschränkungen in großem Ausmaß, gefährdet Existenzen und fördert Leid. Zurecht steht und stand das Wohl der Menschen in diesem Land im Vordergrund“.

Doch die Pandemie könne trotzdem nicht als isoliertes Problem gesehen werden: „Die sich weiterhin zuspitzende Umweltkrise aus Biodiversitätsverlust und Klimawandel wird sich auf längere Sicht zur größten Bedrohung unserer Lebensgrundlagen auswachsen und langfristige Verschlechterungen für die Menschen und den Standort Österreich bringen. Es ist daher notwendig, entschlossen eine gesellschaftliche Weiterentwicklung einzuleiten, die beiden Herausforderungen gerecht wird“, fordert Franz Essl, Biodiversitätsforscher an der Universität Wien und Mitglied des Leitungsteams des Biodiversitätsrates.

Die Natur und die von ihr erbrachten Leistungen sind die Grundlage für eine dauerhaft gute Lebensqualität aller Menschen. „Die Fähigkeit unserer Ökosysteme, diese Leistungen zukünftig zu erbringen, reduziert sich jedoch stetig. Ökosysteme sind als Fließgleichgewicht nur dann stabil, sofern sich relevante Parameter innerhalb bestimmter Grenzen halten, den so genannten tipping points“, erklärt Christian Sturmbauer (Karl-Franzens-Universität Graz), ebenfalls Mitglied des Leitungsteams. Werden diese überschritten, besteht die Gefahr einer raschen katastrophalen Veränderung, die Systeme und Artengemeinschaften als Ganzes betrifft.

Ein Alarmzeichen für die österreichische Umweltkrise, so der Biodiversitätsrat, ist der sich ungebremst verschlechternde Zustand der biologischen Vielfalt. Auf kurz oder lang führe der Artenrückgang zu massiven Risiken für unser Wohlergehen und unsere Gesundheit.

Der Österreichische Biodiversitätsrat Österreich

Der 22-köpfige unabhängige Biodiversitätsrat wurde 2019 aus dem Netzwerk Biodiversität Österreich heraus gegründet. Das Netzwerk Biodiversität Österreich versteht sich als Open Community, interdisziplinär für die unterschiedlichsten Fachdisziplinen und transdisziplinär für Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft, NGOs und Zivilgesellschaft. Gemeinsames Ziel ist die Stärkung der Biodiversität und deren Ökosystemleistungen in Österreich.

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