16.02.2022

Der erste Lockdown verzögerte die Botulinumtoxin-Therapie bei einer krankhaft erhöhten Muskelaktivität um rund zehn Wochen. Diese Verzögerung schränkte die Patient_innen in ihrer Mobilität, Partizipation und Lebensqualität ein. Weiters führte die verspätete Behandlung zu Muskelkrämpfen und -zuckungen sowie zu vermehrten Schmerzen. Die Ergebnisse legen nahe, dass in Zukunft die Therapie trotz Lockdowns, unter den erforderlichen Sicherheitskonzepten, gewährleistet werden sollte.

Spastizität und Dystonie sind krankhafte Erhöhungen der unwillkürlichen Muskelaktivität. Die überaktive Muskulatur führt zu dauerhaften Verhärtungen und Versteifungen, so genannten spastischen Lähmungen bzw. zu unwillentlichen Muskelzuckungen. Diese sind mit Einschränkungen der Beweglichkeit und der Lebensqualität verbunden. Ursachen können Schädigungen des zentralen Nervensystems etwa durch einen Schlaganfall, Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma oder Rückenmarksverletzungen, Multiple Sklerose, frühkindliche Hirnschädigungen, Hirnentzündungen oder ein Hirntumor sein.

Behandelt werden die Symptome unter anderem mit Botulinumtoxin-A-Injektionen. Durch die Botulinumtoxin-Therapie werden die krankhaft überaktiven Muskeln gezielt ruhiggestellt. Die Wirkungsdauer einer einmaligen Injektion ist individuell unterschiedlich, beträgt jedoch im Durchschnitt drei Monate. Die Behandlung wird in regelmäßigen individuell angepassten Abständen wiederholt.

Lockdowns verzögerten Behandlung

Durch den ersten COVID-19-Lockdown verzögerte sich die Behandlung mit Botulinumtoxin-A-Injektionen bei Patient_innen mit Dystonie und Spastizität im Durchschnitt um zehn Wochen. Wissenschafter_innen der Universität für Weiterbildung Krems untersuchten mittels einer Umfrage die Auswirkungen einer Verzögerung um mindestens zwei Wochen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich dies negativ auf die Bewegungsfunktionen aller Befragten auswirkte und Effekte auf die Mobilität, die Partizipation und die Lebensqualität hatte.

„Die Umfrage zeigt, dass sich die Symptome der Patient_innen verstärkten und die Lebensqualität beeinträchtigt wurde. Daher appellieren wir, dass in Zukunft die Versorgung mit Botulinumtoxin-Therapie trotz Lockdowns mit adäquaten Sicherheitskonzepten gewährleistet wird“, so die Projektleiterin Univ.-Prof. Dr. Michaela M. Pinter, MAS vom Department für Klinische Neurowissenschaften und Präventionsmedizin und Leiterin der Botulinumtoxin Ambulanz am Landesklinikum Horn/Allentsteig.  

Ergebnisse im Detail

Insgesamt wurden 32 Patient_innen im Zeitraum vom April bis Juli 2021 befragt. Alle Patient_innen erhielten seit mehr als zwölf Monaten eine Behandlung in der Botulinumambulanz des LKH Allentsteig-Horn. Die Verzögerung bewirkte eine Verstärkung der jeweiligen Symptome: Bei 95 Prozent der Patient_innen mit Spastik traten Muskelkrämpfe und bei 60 Prozent vermehrt Schmerzen auf. Bei jenen mit Dystonie traten bei 91 Prozent verstärkte Muskelzuckungen auf. Dies wirkte sich bei 75 Prozent aller Befragten auch negativ auf die Muskelfunktion aus. So wurde z. B. das Gehen erschwert oder durch das vermehrte Zucken der Augenlider eine funktionelle Blindheit bewirkt. Insgesamt gaben die Befragten an, dass die verzögerte Injektion ihre Lebensqualität im Mittel um 63 Prozent beeinträchtigt hatte. Dementsprechend empfanden 81 Prozent ihre Patient_innenrechte nicht respektiert, 78 Prozent empfanden den Lockdown als nicht gerechtfertigt und für 75 Prozent war auch die Sicherung einer langfristigen Botulinumtoxin-Behandlung sehr wichtig.

 

Publikation: Teuschl Y, Bancher C, Brainin M, Dachenhausen A, Matz K, Pinter MM. COVID-19-related delays of botulinum toxin injections have a negative impact on the quality of life of patients with dystonia and spasticity: a single-center ambulatory care study. J Neural Transm. 2021:1–5.

Botulinumtoxin-Ambulanz während COVID-19 – Klinisch-therapeutische Auswirkungen auf neurologische Patient_innen

Projektzeitraum: 2021

Fördergeber: eigenfinanziert

ProjektverantwortlichUniv.-Prof. Dr. Michaela M. Pinter, MAS

Beteiligte wiss. Mitarbeiterin: Ass.-Prof. Dr. Yvonne Teuschl

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