10.12.2025

Österreich- und EU-FlaggeZum Abschluss des Jubiläumsjahres, in dem sich der EU-Beitritt Österreichs zum 30. Mal jährte, luden das Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen sowie das Europäische Dokumentationszentrum Krems in Kooperation mit dem Lions Club Krems und dem Rotary Club Krems-Wachau am 2. Dezember 2025 zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung an die Universität für Weiterbildung Krems.

Rund 250 Besucher_innen folgten der Einladung in die Campus Hall. Im Zentrum stand ein Rückblick auf drei Jahrzehnte EU-Mitgliedschaft, mit einem Fokus auf Veränderungen, Widersprüche und offene Fragen der politischen Kultur in Österreich. Diskutiert wurde mit den Politikwissenschafter_innen Peter Filzmaier und Heidrun Maurer sowie dem Historiker und Juristen Oliver Rathkolb.

Nach der Eröffnung durch den ehemaligen ORF-Chefredakteur Prof. Gerhard Vogl, der auch durch den Abend moderierte, begrüßte Univ.-Prof.in Dipl.-Ing.in Dr.in Viktoria Weber, Rektorin der Universität für Weiterbildung Krems, das Publikum. Sie betonte den hohen Stellenwert europäischer Themen für die Universität seit ihrer Gründung vor ebenfalls 30 Jahren und verwies auf die strategische Bedeutung von Transdisziplinarität als Brücke zwischen unterschiedlichen Perspektiven und Ebenen der Governance.

Als Initiator der Kooperation zeigte sich Dipl.-Ing. Martin Höbarth, Präsident des Lions Club Krems, beeindruckt vom großen Interesse und richtete eine besondere Begrüßung an die anwesenden Schüler_innen und Lehrkräfte. KommR Mst. Ing. Mag. Thomas Hagmann, MSc, Präsident des Rotary Club Krems-Wachau, unterstrich in seinen Grußworten die Europäische Union als Friedensprojekt und hob die Bedeutung von Austausch und europäischer Verständigung hervor.

Wir sind EU?

Den fachlichen Auftakt bildeten die Impulsstatements von Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier, Dr.in Heidrun Maurer und Univ.-Prof. i.R. Mag. DDr. Oliver Rathkolb. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchteten sie, wie sich 30 Jahre EU-Mitgliedschaft auf Politik, Verwaltung und Gesellschaft ausgewirkt haben.

Peter Filzmaier widmete sich der öffentlichen Wahrnehmung der EU sowie der vergleichsweise niedrigen Wahlbeteiligung bei Europawahlen in Österreich. Er sprach von einer großen Gruppe an „Ignoranten“, denen das Interesse an Europa fehle. Vielen sei nicht bewusst, dass EU-Politik den Alltag unmittelbar präge – von Umwelt- und Gesundheitsstandards über Arbeitswelt und Studium bis hin zu Reisefreiheit und Roaming.

Studien würden auf Defizite in europäischer Identität und politischer Bildung hinweisen. Während Filzmaier dem schulischen Bereich eine gute Bewertung ausstellte, forderte er ausdrücklich mehr politische Bildung in der Erwachsenenbildung. Deutliche Kritik übte er an der politischen Kommunikation: die Europawahl sei 2024 weitgehend nationalisiert worden. Auch die Medien würden dieser innenpolitischen Aufladung nicht genügend entgegenwirken und EU-Themen oft nur im Kontext von Krisen und Skandalen aufgreifen.

Europäisch im Handeln, national im Erzählen

Heidrun Maurer richtete den Blick auf Verwaltung und Diplomatie. Politische Kultur entstehe nicht nur aus Einstellungen, sondern auch aus Routinen, Verfahren und Arbeitsweisen. Gerade diese hätten sich in den vergangenen 30 Jahren tiefgreifend verändert, blieben jedoch oft unsichtbar. Österreichische Diplomatinnen und Diplomaten seien in Brüssel hoch angesehen – für analytische Stärke, Verhandlungsfähigkeit und Verlässlichkeit. Auch die Umsetzung von EU-Recht funktioniere auf Bundes-, Landes- und teils Gemeindeebene professionell.

Defizite ortete Maurer hingegen in der öffentlichen Darstellung Europas: Österreich habe seit 1995 keine stabile europapolitische Erzählung entwickelt. Der Diskurs sei stark innenpolitisch geprägt und folge kurzfristigen parteipolitischen Interessen. Zudem würden EU-rechtliche Themen oft erst dann öffentlich diskutiert, wenn deren Umsetzung bereits anstehe. Vielerorts herrsche ein veraltetes politisches Denken, ausgerichtet auf die Durchsetzung von eigenen Interessen und das Erringen eines Verhandlungserfolgs. Erforderlich seien jedoch Kooperation, Ko-Kreation und ein Denken in gemeinsamen Verantwortlichkeiten.

Europäer_innen wider Willen?

Oliver Rathkolb zeichnete die historischen Linien bis in die 1950er-Jahre nach. Österreich habe den Europäischen Gemeinschaften lange distanziert gegenübergestanden. Die internationale Bühne des Kalten Krieges sei wichtiger gewesen als die europäische Integration. Auch das deutliche Ja beim EU-Beitritt 1994 sei vor allem wirtschaftlich motiviert gewesen. Eine emotionale Bindung an Europa und ein vertieftes politisches Verständnis hätten weitgehend gefehlt – eine Schwäche, die bis heute nachwirke. Zudem versuche Österreich zu selten, innerhalb der EU strategische Allianzen zu bilden, um zentrale Themen gemeinsam voranzubringen.

Kritisch äußerte sich Rathkolb auch zur Kommunikationspolitik der EU. Als historisches Gegenbeispiel nannte er den Marshallplan, dessen großer gesellschaftlicher Stellenwert – bei vergleichsweise geringem finanziellen Volumen - nicht zuletzt auf eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit zurückgehe. Die EU müsse deutlich stärker sichtbar machen, was mit europäischen Mitteln konkret finanziert und ermöglicht werde – etwa im Bereich der Landwirtschaft, die großteils nur mehr mit EU-Förderungen funktioniere.

Zukunftsfragen im offenen Dialog

In der anschließenden Podiums- und Publikumsdiskussion waren sich die Expert_innen einig: Österreich müsse sich früher und strategischer mit zentralen europäischen Zukunftsthemen befassen. Genannt wurden unter anderem die EU-Erweiterung, Künstliche Intelligenz, die Versorgung mit Seltenen Erden sowie die Rolle der Neutralität im europäischen Sicherheitssystem. Notwendig sei eine offene, sachliche und ehrliche Kommunikation – ohne Dramatisierung, aber auch ohne Beschönigung. Nicht zuletzt betonte Peter Filzmaier, dass europäische Identität angesichts der weltpolitischen Lage auch zunehmend eine Frage von Krieg und Frieden sei.

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