13.11.2025

Wenn Kulturgüter zerstört, geraubt oder illegal gehandelt werden, steht mehr als nur materielles Erbe auf dem Spiel – es geht um die Grundlagen des Völkerrechts selbst. Unter dem Titel „Kulturgutverletzungen und die Erosion des Völkerrechts – Das Recht des Stärkeren?“ widmete sich ein Symposium des Jiří Toman Zentrums für kulturelles Erbe und humanitäre Normen an der Universität für Weiterbildung Krems am 5. November der Frage, wie effektiv das internationale Recht den Schutz von Kulturgütern noch gewährleisten kann – und welche Verantwortung Staaten, Organisationen und Gesellschaften dabei tragen.

Nach der Begrüßung durch Mag.a Dr.in Eva Maria Stöckler, MA, Dekanin der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur, eröffnete Univ.-Prof. DDr. Peter Strasser, LL.M. das Symposium mit einer Würdigung des Namensgebers des Zentrums. Sein Vortrag „Jiří Toman – vom Flüchtling zum Universitätsprofessor: Sein Wirken für Humanität und Kulturerbe“ zeichnete das eindrucksvolle Leben des tschechischen Juristen nach, der selbst Flucht und Exil erfahren hatte und sich später als einer der führenden Köpfe im internationalen Kulturgüterschutz etablierte.

Toman war Mitgestalter des zweiten Protokolls zum Haager Abkommens von 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten – eines der bis heute zentralen Regelwerke im humanitären Völkerrecht. Strasser erinnerte daran, dass Toman „nicht nur ein Jurist, sondern ein Humanist im tiefsten Sinne“ war, der stets danach strebte, „Recht als Schutzschild der Menschlichkeit“ zu begreifen.

In einem emotionalen Grußwort, vorgetragen von Lara Friedel, brachte Jaroslava Toman Charbonnet, die Tochter des Geehrten, die Haltung ihres Vaters auf den Punkt: „Freundlichkeit und Höflichkeit prägten jede deiner Beziehungen. Du hast jedem mit Rat und Tat zur Seite gestanden und durch deine vielen internationalen Freundschaften Brücken zwischen Menschen gebaut.“

Kultur als Aufgabe der Völkerrechtsgemeinschaft

Im Anschluss zeigte Univ.-Ass. Mag. Dr. Sebastian M. Spitra, LL.M., Universität Wien, in seinem Vortrag „Kultur als Aufgabe der Völkerrechtsgemeinschaft“, wie eng das moderne Völkerrecht mit der Idee des kulturellen Erbes verwoben ist. Spitra führte die Entwicklung dieser Idee von den frühen Initiativen des Völkerbunds mit seinem Internationalen Museumsbüro bis zur Gründung der UNESCO nach dem Zweiten Weltkrieg.

Er verwies auf Schlüsselwerke wie das UNESCO-Übereinkommen von 1970 zur Verhinderung des illegalen Handels mit Kulturgütern, das UNIDROIT-Übereinkommen von 1995 zur Rückgabe gestohlener Kulturgüter und die Welterbekonvention von 1972. Diese Dokumente, so Spitra, „schaffen ein dichtes Netz internationaler Verpflichtungen, das aber immer wieder durch Machtpolitik und ökonomische Interessen zerrissen wird“.

Ein Schwerpunkt seines Beitrags lag auf der Restitution kolonialer Objekte. Hier plädierte er für neue rechtliche Zugänge, die auch das normative Wissen der Herkunftsgesellschaften berücksichtigen: „Das Völkerrecht ist keine exklusive Sprache des Westens – es muss Raum für plurale Rechtsverständnisse bieten.“

Kulturelle Diplomatie am Ende des Kalten Krieges

Wie kulturelle Zusammenarbeit als Brückenbau in politisch gespaltenen Zeiten funktionieren kann, zeigte PD MMag.a Dr.in Andrea Brait von der Universität für Weiterbildung Krems in ihrem Beitrag „Kulturelle Zusammenarbeit als KSZE-Verhandlungsgegenstand Ende der 1980er-Jahre“.
Anhand von Archivmaterialien und Zeitzeugeninterviews rekonstruierte sie, wie die Kulturpolitik innerhalb der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) – etwa beim Wiener Folgetreffen 1986–1989 – zu einem wichtigen politischen Instrument wurde.
„Österreich vertrat stets die Auffassung, dass kulturelle Kooperation helfen kann, Blockbildungen entgegenzuwirken und Vertrauen zwischen den Staaten aufzubauen“, so Brait.

Zitate aus diplomatischen Protokollen, etwa die Erklärung des österreichischen Botschafters Rudolf Torovsky von 1986, verdeutlichen den Geist dieser Zeit: „Wir akzeptieren keine geographischen Trennungslinien – Zeichen des gemeinsamen kulturellen Erbes der KSZE-Staaten reichen von Wladiwostok bis Hawaii.“

Internationale Organisationen im Spannungsfeld von Schutz und Souveränität

Im ersten Zeitzeugengespräch sprach Peter Strasser mit Mag. Dr. Christoph Bazil, Präsident des Bundesdenkmalamts, und Prof. Dr. Bernd von Droste zu Hülshoff, Gründungsdirektor des UNESCO-Welterbezentrums, über die Rolle internationaler Organisationen beim Schutz des kulturellen Erbes.
Anhand der UNESCO-Mission in Dubrovnik (1979–1998) wurde die Herausforderung deutlich, Kulturgut in Krisenregionen zu sichern und zugleich nationale Souveränität zu respektieren.

Bernd von Droste erinnerte daran, dass „Wiederaufbau immer auch Wiederherstellung des Selbstverständnisses einer Gesellschaft bedeutet“ – eine Aufgabe, die rechtlich wie psychologisch gleichermaßen komplex sei.

Die Waffen des Völkerrechts

Im zweiten Symposiumsblock analysierte Assoz. Prof. Mag. Dr. Gabriel M. Lentner, Universität Krems, unter dem Titel „Die Waffen des Völkerrechts: Das internationale Sanktionsregime und die Erhaltung des Kulturgutes“ die Wirksamkeit von Sanktionen als Mittel gegen Kulturgutverletzungen.
Er stellte dar, wie völkerrechtliche Instrumente – von Artikel 41 der UN-Charta über die UN-Sicherheitsratsresolutionen 1483 (Irak) und 2199 (Syrien) bis zur EU-Verordnung 2019/880 über Einfuhrkontrollen von Kulturgütern – zum Schutz eingesetzt werden können.

Anhand von Fallstudien aus Syrien, Mali, der Ukraine und dem Westbalkan zeigte Lentner, dass Sanktionen dann Wirkung entfalten, wenn sie in nationale Rechtsordnungen eingebettet und rechtsstaatlich kontrolliert werden. „Zerstörung von Kulturgut ist kein Nebenschauplatz des Krieges, sondern ein gezielter Angriff auf die Identität von Gesellschaften“, betonte er. „Das Völkerrecht muss darauf mit Entschlossenheit reagieren – aber auch mit Legitimität.“

Kulturgutschutz in der Praxis

Einen Blick auf die nationale Umsetzung gab HRin Sylvia Preinsperger vom österreichischen Bundesdenkmalamt mit ihrem Vortrag „Unerlaubter Transfer von Kulturgut und die Sanktionspraxis des Bundesdenkmalamtes – Anspruch und Wirklichkeit“.

Sie erläuterte die Verzahnung nationaler Gesetze – wie das Denkmalschutzgesetz und das Kulturgüterrückgabegesetz – mit den europäischen Richtlinien und internationalen Konventionen.
Dabei schilderte sie konkrete Fälle: von der Rückgabe einer im Ausland entdeckten mittelalterlichen Statue bis zur Restitution von NS-Raubkunst nach dem Kunstrückgabegesetz von 1998.

Preinsperger machte deutlich, dass der Kulturgüterschutz nicht allein eine juristische, sondern auch eine moralische Aufgabe ist: „Jede Entscheidung über Rückgabe oder Bewilligung ist zugleich ein Stück Geschichtsaufarbeitung.“

Kulturerbe im Postkonflikt

Im abschließenden Zeitzeugengespräch diskutierten Dr. Friedhelm Frischenschlager, Bundesminister a.D. und DDr. Gerhard Sladek, Miliz-Brigadier und Kulturgüterschutzoffizier mit Strasser über „Kulturerbe im Postkonflikt – zwischen Schutz und Wiederaufbau“.

An Beispielen aus dem Kosovo zeigten sie, wie zerstörte Bauwerke nicht nur materielle, sondern auch symbolische Wunden hinterlassen. Sladek treffend: „Kulturerbe ist im Krieg oft das erste Opfer – und im Frieden das schwierigste Gut, das wiederhergestellt werden muss.“ Beide betonten, dass militärische, zivile und NGO-Akteure beim Wiederaufbau zusammenwirken müssen, um nachhaltige Lösungen zu schaffen.

Prüfstein internationalen Rechts

Zum Abschluss hob Peter Strasser hervor, dass der Kulturgüterschutz zum Prüfstein des internationalen Rechts geworden sei. „Wo Kultur zerstört wird, zeigt sich, wie fragil die humanitären Normen sind, auf denen das Völkerrecht ruht. Der Schutz des kulturellen Erbes ist damit kein Luxus, sondern ein Lackmustest unserer Zivilisation.“

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