Viktoria Weber blickt auf sieben Jahre Sepsis-Forschung im Rahmen des CD-Labors für Innovative Therapieansätze in der Sepsis. Ein Gespräch mit ihr über Ergebnisse und Zukunftsperspektiven des Forschungsgebiets.

Interview: Georg Sachs

upgrade: Sie haben im Rahmen eines CD-Labors sieben Jahre lang das molekulare Geschehen bei Sepsis untersucht. Wie kam es zu diesem Forschungsvorhaben?
Viktoria Weber: An der Donau-Universität Krems gibt es eine lange zurückreichende Beschäftigung mit Adsorptionssystemen für die therapeutische Apherese. Der 2015 verstorbene Dieter Falkenhagen brachte dieses Forschungsgebiet 1992 von der Universität Rostock nach Krems mit. Zunächst stand dabei die Entfernung von Giftstoffen bei Leberversagen im Vordergrund. Bereits früh ergab sich auf diesem Gebiet eine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Fresenius Medical Care, das auch einen Standort in Krems hat, der sich aus einem Spin-off der Donau-Universität Krems entwickelt hat. Schließlich entwickelte sich die Idee, das Prinzip auch zur Entfernung von Entzündungsmediatoren aus dem Blut, also zur unterstützenden Behandlung von Sepsis anzuwenden.

Warum ist die Sepsis so ein interessanter Untersuchungsgegenstand?
Weber: Sepsis ist eine außer Kontrolle geratene Entzündungsreaktion, von der der gesamte Organismus betroffen ist. Für die Intensivmedizin stellt dieser Zustand eine große Herausforderung dar, trotz großer Fortschritte liegt die Sterblichkeit noch immer bei bis zu 50 Prozent. Es werden daher dringend neue Behandlungsoptionen benötigt. Darum ist es aber auch wichtig, die genauen Mechanismen zu kennen, die bei Sepsis eine Rolle spielen.

Was ist das Besondere der Organisationsform eines CD-Labors?
Weber: Die Christian-Doppler-Gesellschaft finanziert gemeinsam mit dem jeweiligen Unternehmenspartner im CD-Labor eine langfristige Forschungskooperation, die von wissenschaftlicher Exzellenz getragen ist. Für den Forschungspartner ist sichergestellt, dass er ausreichend Freiraum für Grundlagenforschung erhält und Ergebnisse publizieren kann. Aufgrund der Langfristigkeit der Förderung ist es möglich, Mitarbeiter an das Labor zu binden und eine Forschungsgruppe aufzubauen.

Welche Ergebnisse konnten im Bereich der Grundlagenforschung erzielt werden?
Weber: Eine wichtige Rolle bei der Sepsis spielt das Endothel, die innerste Schicht der Blutgefäßwände. Diese bilden für gewöhnlich eine Barriere zwischen Blut und Gewebe, wirken gerinnungshemmend und verhindern das Anhaften von Zellen. Im Zuge des entzündlichen Geschehens wird das Endothel aber geschädigt und verändert seine Eigenschaften: Es wird durchlässig für Flüssigkeit, entwickelt sich zu einer adhäsiven Oberfläche und ist an pathologischen Mechanismen beteiligt. Wir wollten uns das unter physiologisch möglichst realistischen Bedingungen ansehen und haben ein Zellkulturmodell entwickelt, mit dem die Zellen unter Flussbedingungen und unter vergleichbaren Scherkräften untersucht werden können, wie sie auch in Blutgefäßen vorliegen. Mit dieser Zellkultur haben wir dann auch stimuliertes Blut in Berührung gebracht und uns angesehen, welche Faktoren eine Aktivierung der Endothelzellen bewirken. Im zweiten Schritt haben wir Plasma von Sepsis-Patienten in dem Modell untersucht und zu unserer Überraschung festgestellt, dass Proben von Patienten mit ähnlichem klinischen Bild sehr unterschiedliche Endothel-Aktivierungsmuster zeigen.

Im Zuge des CD-Labors konnten wir aber auch ein neues Forschungsgebiet an der Donau-Universität Krems etablieren: die Erforschung extrazellulärer Vesikel. Insbesondere interessiert uns die Rolle dieser Vesikel in der Gerinnungsaktivierung und ihre Interaktion mit Immunzellen im Blut. Früher hielt man diese membranumschlossenen Partikel, die von allen Zelltypen abgegeben werden, für Nebenprodukte der Zellaktivierung. Seit einiger Zeit wird jedoch immer klarer, dass sie eine wichtige Rolle bei der Übertragung biologischer Signale spielen. Wir waren eine der ersten Gruppen, die Methoden zur Charakterisierung der Vesikel direkt im Blut entwickelt haben – sowohl für frei zirkulierende Vesikel als auch für solche, die sich an der Oberfläche von Zellen befinden und mit diesen interagieren.

„Sepsis ist eine außer Kontrolle geratene Entzündungsreaktion, von der der gesamte Organismus betroffen ist.“

Viktoria Weber

Welche Impacts haben sich aus diesem neuen Forschungsfeld ergeben?
Weber: Die Zeit ist uns bei diesem Thema zu Hilfe gekommen. Die Erforschung von extrazellulären Vesikeln ist heute ein äußerst dynamisches Thema, vor allem in Hinblick auf mögliche diagnostische und therapeutische Anwendungen. Gemeinsam mit Prof. Andreas Spittler von der Medizinischen Universität Wien haben wir die Austrian Society for Extracellular Vesicles gegründet, haben nationale und internationale Meetings organisiert und mitorganisiert und waren an der Erarbeitung von Guidelines für die internationale Forschungsgemeinschaft beteiligt. Aus dem Thema haben sich interessante neue Forschungskooperationen ergeben, etwa mit Gruppen an der Universität für Bodenkultur Wien oder an der Medizinischen Universität Innsbruck.

Welche Unternehmen haben in Ihrem CD-Labor als Industriepartner fungiert?
Weber: Wir haben mit zwei Partnern begonnen, Fresenius Medical Care und Anagnostics, einem kleinen österreichischen Diagnostik-Unternehmen. Dieses wurde in der Zwischenzeit als CubeDx neu gegründet, und wir konnten die Zusammenarbeit dann außerhalb des CD-Labors fortsetzen.

Die Diagnostik blieb also dennoch ein Schwerpunkt der Forschungsarbeiten?
Weber: Ja, dabei ging es vor allem darum, festzustellen, welche Pathogene die Entzündung ausgelöst haben. Viele molekulardiagnostische Verfahren sind auf Vollblut schwierig anzuwenden, weil die Probe auch Inhibitoren enthält, die das Ergebnis verfälschen. Zudem kommt es zu Fehlern bei der Anreicherung der Bakterien, wenn dem Patienten zuvor schon Antibiotika verabreicht wurden und die Zellwand der Bakterien dadurch geschädigt wurde. Gemeinsam mit CubeDx konnten wir am Horizon-2020-Projekt SmartDiagnos teilnehmen und dabei ein stark verbessertes diagnostisches System entwickeln. Über dieses Forschungsfeld sind wir auch mit dem jungen Unternehmen Ares Genetics in Kontakt gekommen, das sich der Analyse von Pathogenen mittels „Next Generation Sequencing“ widmet. Mit diesem Partner gibt es nun ein Folgeprojekt gemeinsam mit der Medizinischen Universität Innsbruck, die unter anderem Proben von septischen Patienten für das Projekt zur Verfügung stellen wird.

Welche Interessen hatte Fresenius Medical Care?
Weber: Fresenius hat uns einen größeren Spielraum in der Grundlagenforschung überlassen, als das sonst bei CD-Labors üblich ist, was das Interesse des Unternehmens an den zugrundeliegenden Zusammenhängen zeigt. Im anwendungsorientierten Teil ging es unter anderem darum, verschiedene im Einsatz befindliche Systeme – auch solche, die nicht von Fresenius hergestellt werden – anhand unseres Endothelzell-Modells in ihrer Wirkung zu charakterisieren. Darunter waren verschiedene Adsorber zur Bindung von Zytokinen oder C-reaktivem Protein, aber auch ein Adsorptionssystem, das Bakterien und deren Fragmente eliminieren soll.

Welches von den Ergebnissen des CD-Labors konnte bereits in die Klinik übertragen werden?
Weber: Wir haben während der gesamten Laufzeit sehr gut mit der Sepsis-Unit des Universitätsklinikums St. Pölten und Primarius Christoph Hörmann zusammengearbeitet und hatten auf diese Weise laufend Zugang zu einem klinischen Umfeld und zu Probenmaterial. Dort ist auch eine Folgestudie mit dem genannten Zytokin-Adsorber geplant. Das mit CubeDX entwickelte Diagnostik-System wird in Kliniken in Österreich und Schweden getestet.


Univ.-Prof. Dr. Viktoria Weber ist Leiterin des Departments für Biomedizinische Forschung und Vizerektorin für Forschung an der Donau-Universität Krems. Sie studierte Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur und habilitierte sich 2008 in Biochemie. Seit 2013 leitete sie das CD-Labor für Innovative Therapieansätze in der Sepsis. Sie forscht u. a. zu extrakorporaler Blutreinigung und der Rolle extrazellulärer Vesikel. Weber ist president elect der European Society for Artificial Organs ESAO und zweite Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie.

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