03.02.2017

Gibt es eigentlich die eine europäische Kultur? Hat es einen gemeinsamen Wertekanon? Und wohin geht Europa? Fragen, die die Blue Hour des Alumni-Club der Donau-Universität Krems am 1. Februar im Wiener Leopold Museum den drei PolitikwissenschafterInnen Ulrike Guérot, Irene Etzersdorfer und Vedran Džihić stellte.

Irene Etzersdorfer Bluehour
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Walter Skokanitsch

Kriege und Kultur seien nach Umberto Eco die beiden Erfahrungen, die Europa verbinden, so Irene Etzersdorfer. Jede Kultur, auch eine europäische, werde durch Werte vermittelt, gemeinsame Werte seien dabei das Produkt eines jahrhundertelangen Kampfes. Aus Europa kommen dabei jene der Aufklärung: ein universalistisches Menschenbild und Gleichheit. Dieses Wertfundament Europas sei jedoch brüchig, die Werte nicht verinnerlicht, folglich konnte sich keine Identität bilden sowie Moral, Recht und Politik in Einklang gebracht werden. Europa, so Etzersdorfers Kernthese, befände sich daher noch auch dem Weg nach Europa. Von einer ethischen Res Publica, um Kant zu zitieren, sei Europa weit entfernt, so die Politikwissenschafterin. Wenn es um die Freiheit als Wert gehe, sei die amerikanische Revolution im 18. Jahrhundert erfolgreicher gewesen als die französische, denn während diese im Terror endete, schafften es die USA, Freiheit in der Verfassung sowie Institutionen einzuschweißen.


Ulrike Guerot Bluehour
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Walter Skokanitsch

Liberté, Egalité, Fraternité: In der Wertefrage Europas sei, so Ulrike Guérot, das Erbe der französischen Revolution und damit des europäischen Humanismus eine Ausgangsbasis. Die heute viel zitierte Sicherheit als Wert komme da nicht vor, sie sei im Gegenteil eigentlich Verrat am europäischen Humanismus. Die Gleichheit als Wert ließe sich in Europa aber nur durch eine europäische Republik erreichen. Die Frage nach einer europäischen Kultur sei falsch, denn Kultur könne nicht vereinheitlicht werden, sie sei vielfältig, einen müsse uns die Gleichheit vor dem Recht. Nur eine europäische Republik als nach Kant Auflösung von Herrschen und Beherrschtsein könne das garantieren. Gegründet werden müsste sie von den BürgerInnen als dem eigentlichen Souverän, nicht von Nationalstaaten, die keine Souveränität hätten. Es brauche die Bürgerunion, wie vom Maastricht-Vertrag eigentlich vorgesehen. Wichtig sei dabei auch eine europäische Verfassung, denn ohne Verfassung sei alles nichts. Der zentrale Wert Europas aber ist für Guérot Rechtstaatlichkeit. Sie stehe im Zentrum der Republik, im Ursprungssinn „gemeines Wohl“. Rechtsstaatlichkeit sei die Essenz des Erbes der französischen Revolution, doch sie werde derzeit vom Populismus in vielen Ländern wie Ungarn oder neuerdings den USA ausgehöhlt.


Vedran Dzihic Bluehour
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Walter Skokanitsch

Neben der Rechtsstaatlichkeit als zentralem Wert Europas, so Vedran Džihić, seien auch die Grund- und Menschenrechte zu benennen. Sie seien der Lackmustest für illiberale Regime, vor dem Hintergrund ihrer Ausbreitung er einen dramatischen Moment für Europa und seine Zukunft sieht. Die Philosophin Hannah Ahrendt zitierend, konstatiert der Politikwissenschafter eine Verachtung für das Bestehende. Viele in Europa, so seine Beobachtung, glaubten, die Lösung liege in der Beherrschung anderer. Autoritäres Gedankengut wachse. Das Problem: Nach der Euphorie der Beitrittswellen zur EU in den 1990er und frühen 2000er Jahren sei der europäische Denkraum nicht mitgewachsen, es gebe eine Ungleichzeitigkeit in den 28 EU-Staaten und eine starke Gegnerschaft zu einem liberalem Modell Europas, so zum Beispiel in Ungarn. Es gebe in Europa außerdem eine wachsende Sehnsucht nach dem Feind und eine Politik der Angst. So werde der Pluralismus ruiniert. Derzeit, so Džihić, sei Europa ein Unfriedenskontinent.
In der Frage der Menschenrechte sieht Guérot die Aufgabe für Europa, diese in Einklang mit den Bürgerrechten zu bringen. Etzersdorfer verweist in dieser Frage auf die wichtige Einschreibung der Menschenrechte in internationale Regelwerke, denn sonst seien diese inexistent für jene, die aus dem Staat und damit nationalen Rechtssystemen hinausgedrängt werden.

Populismus als wachsende Gefahr

Alle drei erkannten im wachsenden Populismus die zentrale Gefahr für Europa. Europa sollte, so Guérot, vor allem Jungen nicht nur „Gesellschaft“ und damit die Tendenz zur Individualisierung anbieten, sondern „Gemeinschaft“ vermitteln. Genau dies würden Rechtsparteien gezielt für sich nützen, um Globalisierungsverlierer und vor allem die Jugend anzusprechen. Alarmierend hier: In kurzer Zeit habe sich die Zahl der Jugendlichen verdreifacht, die Demokratie nicht als die wertvollste Staatsform sehen. Leider könne die politische Klasse in Europa nicht zugeben, dass Europa nicht für alle gut war, denn viele fielen durch den Rost der Globalisierung und Liberalisierung. Aufgefangen werden müsste dies durch internationale, und nicht bloß nationale soziale Maßnahmen. Um dem Nationalismus jedoch den Nährboden zu entziehen, so Guérot, müsse das politische Feld restrukturiert und gezeigt werden, dass die überwiegende Mehrheit der Europäer nationalistische Tendenzen eigentlich nicht wollten. Darüber hinaus, so Džihić, brauche es differenzierte Erzählungen und eine optimistische Grundhaltung, um der gegenwärtigen Spirale der Angst entgegen zu treten. Einig waren sich Guérot, Etzersdorfer und Džihić, dass die Freiheit in Europa verteidigt werden müsse und Passivität keine Option ist.

 

Die nächste Blue Hour zum Thema "LehrerInnen der Zukunft - SchülerInnen der Zukunft. Ideen und Konzepte für optimales Lehren und Lernen" findet am 5. April im Leopold Museum Wien statt.

Auf dem Podium diskutieren:

  • Univ.-Prof. Dr. habil. Peter Baumgartner; Universitätsprofessor für Technologieunterstütztes Lernen und Multimedia/Leiter des Departments für Interaktive Medien und Bildungstechnologien an der Donau-Universität Krems
  • Niki Glattauer; Autor ("Der engagierte Lehrer und seine Feinde", "Die PISA-Lüge", "Mitteilungsheft: Leider hat Lukas..."), Journalist und Lehrer
  • Viktoria Schlager; Schülerin der Höheren Lehranstalt für Tourismus in Krems
  • Mag. Heidrun Strohmeyer: Gruppenleiterin Informationstechnologie, Bundesministerium für Bildung

Impressionen

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