09.11.2020

Die Verbreitung von COVID-19 zeichnet sich durch Superspreader-Ereignisse aus, wo hohe Infektionszahlen auf wenige Einzelne zurückzuführen sind. Welche biologischen und sozialen Faktoren sich auf das Superspreading-Verhalten auswirken und wie wir mit den entstandenen Unsicherheiten umgehen können, analysieren Lukas Zenk und Gerald Steiner vom Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement mit KollegInnen in einem Paper.

Österreich befindet sich mitten in der 2. Welle von COVID-19. Die ganze Welt ist aufgerufen, potenzielle systemische Risiken der Pandemie zu verstehen und in den Griff zu bekommen. Eine besondere Herausforderung stellt die rasche und unvorhersehbare Ausbreitung von SARS-CoV-2 dar. Eine Möglichkeit die Ausbreitung zu messen ist der bekannt gewordene Reproduktionsfaktor, der die durchschnittliche Anzahl an Ansteckungen pro Person angibt. Im Falle des Corona-Virus ist diese Anzahl aber ungleichmäßig verteilt. Aktuell wird geschätzt, dass weniger als 20 Prozent der infektiösen Personen für etwa 80 Prozent der weiteren Infektionen verantwortlich sind. Die restlichen 80 Prozent der infektiösen Personen geben den Virus an nur etwa 20 Prozent der Infizierten weiter. Dieser Umstand wird mit dem sogenannten Dispersionsparameter K gemessen. Ein hoher Wert, wie beispielsweise bei dem Influenza-Virus, bedeutet, dass infizierte Personen in etwa gleich viele andere Personen anstecken. Ein niedriger Wert, wie beim Corona-Virus, resultiert in dem Phänomen des Superspreadings – einige wenige Personen stecken sehr viele anderen Personen an.

Verteilungsphänomen Superspreading

Einerseits kann Superspreading den Sachverhalt zum Beispiel beim Contact Tracing vereinfachen, da sich viele Infektionen auf einen einzelnen Ursprung – den „Superspreader“ – zurückführen lassen. Andererseits birgt es auch Gefahren: Selbst, wenn es den Anschein hat, dass ein Infektionsgeschehen unter Kontrolle ist (wie es zum Beispiel für die COVID-19-Pandemie über den Sommer in Österreich und weiten Teilen Europas der Fall war), so kann das Phänomen Superspreading zu einem sehr raschen Wiederaufflackern des Infektionsgeschehens beitragen. Wenige Superspreader bzw. Superspreader-Ereignisse führen potenziell in kurzer Zeit zu weiteren großen Clustern.

Vorbereiten für das Unplanbare

Superspreading ist aus heutiger Sicht schwer vorhersehbar und kann schnell zu medizinischen Engpässen und sozioökonomischen Notfällen führen. Unter solch unsicheren und schwer vorhersehbaren Umständen sind Organisationen und Gesellschaften weltweit aufgerufen, geeignete Strategien und Interventionsportfolios zu entwickeln, um die Ausbreitung des Virus entsprechend einzudämmen. Diese Strategien können zum Beispiel verbesserte Teststrategien sowie breitflächige Informationen der Bevölkerung umfassen. Die Sensibilisierung für das Phänomen Superspreading kann Verständnis wecken, warum auch bei relativ niedrigen Infektionszahlen ein plötzlicher COVID-19-Ausbruch jederzeit möglich ist. Da prädikative Aussagen in diesem Zusammenhang schwerfallen, ist ein rasches und gegebenenfalls improvisiertes Handeln erforderlich.

Begünstigende Faktoren verstehen

Ass.-Prof. Mag. Dr. Lukas Zenk, MSc. und Dekan Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerald Steiner, beide vom Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement der Donau-Universität Krems, sowie Univ.-Prof. Mag. DDr. Eva Schernhammer, Channing Division of Network Medicine, Harvard Medical School, Boston, und Kollegen beleuchten in ihrer Arbeit die unterschiedlichsten Facetten des Superspreadings. Anhand einfacher Beispiele erklären sie, welche biologischen und sozialen Faktoren Superspreading begünstigen.

Biologische Faktoren inkludieren unter anderem eine inhärent höhere Virenbelastung und eine feuchtere Aussprache, die zur sogenannten „Corona Cloud“ um eine Person führt. Aber auch Faktoren des eigenen sozialen Kontaktnetzwerks sind für die Verbreitung ausschlaggebend. Ähnlich wie bei einem niedrigen Dispersionsfaktor ist auch die Anzahl der Kontakte zwischen Menschen ungleichmäßig verteilt. Einige wenige Menschen haben mit vielen Menschen Kontakt, viele Menschen treffen sich eher mit wenig anderen Menschen. Das liegt einerseits an sozialen Dynamiken – Personen mit vielen Kontakten erhalten noch mehr Kontakte – und andererseits an der Profession, wie beispielsweise bei Gesundheitsberufen. Personen, die sowohl entsprechende biologische als auch soziale Faktoren aufweisen, können zu einem Superspreader werden. Nehmen diese ohne entsprechende Schutzmaßnahmen bei größeren Zusammenkünften teil, resultieren daraus potenzielle Superspreading-Events.

Präventionsmaßnahmen gegen das Superspreading

Weiters behandelt das Paper Maßnahmen, wie Superspreading minimiert werden kann. Da Personen von sich selbst nicht wissen, ob sie vermehrt Viren verbreiten, müssen generelle Vorkehrungen getroffen werden. Das Vermeiden von lautem Sprechen und Singen in schlecht gelüfteten Räumen sowie die bekannten Abstandsregeln und geeigneter Mund-Nasen-Schutz zeigen dabei schon Wirkung. Auch die Reduktion von Alkoholkonsum in Gruppen stellt eine wirksame Verhaltensanpassung dar, weil Alkohol bei manchen Menschen zu feuchterer Aussprache verbunden mit einer physischen Distanzlosigkeit führt.

Superspreadings werden die ganze Welt bis zur Eindämmung der Pandemie weiter begleiten. Durch die unvorhersehbaren Ereignisse müssen Menschen, aber auch Organisationen und Länder, lernen, sich auch kurzfristig an neue Gegebenheiten anzupassen. Neben langfristigen Plänen und Strategien wird die Rolle der Improvisation in dem Paper hervorgehoben, um aktuell verfügbare Ressourcen bestmöglich zu nutzen und im Moment abseits von Routinen handlungsfähig zu bleiben. Das Erlernen dieser Fähigkeiten ist nicht nur für die aktuelle Pandemie notwendig, sondern auch hilfreich für mögliche zukünftige Ereignisse.

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