15.05.2020

In Zeiten von COVID-19 übernehmen die meisten Krankenkassen in Österreich erstmals auch Kosten für Psychotherapien via Telefon und Internet. Chancen, die diese neuartige Situation mit sich bringt, zeigen die Ergebnisse einer Online-Umfrage unter den österreichischen PsychotherapeutInnen: Die Behandlungszahlen via Telefon stiegen um 979 Prozent und via Internet um 1.561 Prozent.

Aufgrund von COVID-19 können Psychotherapien in persönlicher Anwesenheit nur eingeschränkt mit entsprechenden Schutzmaßnahmen abgehalten werden. Um die Veränderungen der Psychotherapie-Angebote zu erfassen, wurden die Antworten der über 1.500 PsychotherapeutInnen ausgewertet, die sich an der Online-Umfrage von Univ.-Prof. Dr. Thomas Probst der Donau-Universität Krems und dem österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) beteiligten.

Die Online-Umfrage zeigt, dass während der ersten Wochen der COVID-19- Ausgangsbeschränkungen durchschnittlich 979 Prozent mehr PatientInnen per Telefon im Vergleich zu den Monaten vor COVID-19 behandelt wurden (Durchschnitt pro Woche vorher: 0,42 vs. Durchschnitt pro Woche in COVID-19: 4,53). Bei Psychotherapien via Internet war der Anstieg sogar noch deutlicher mit 1.561 Prozent (Durchschnitt pro Woche vorher: 0,18 vs. Durchschnitt pro Woche in COVID-19: 2,99).

Trotz der hohen Prozentzahlen entspricht der Anstieg noch nicht den Erwartungen, um die in der Studie festgestellte Reduktion an Psychotherapien in persönlicher Anwesenheit aufzufangen. „Ein weiterer Anstieg an Psychotherapien per Telefon bzw. via Internet wird nötig sein, um die erhöhten psychischen Belastungen in der österreichischen Bevölkerung in Zeiten von COVID-19 so schnell wie möglich versorgen zu können“, so Univ. Prof. Dr. Thomas Probst. „Die Berufsgruppe der PsychotherapeutInnen ist in ausreichendem Maß vorbereitet und aufgestellt, um zukünftige Anforderungen und Bedarfssteigerungen gut erfüllen zu können“, sagt der Präsident des ÖBVP Dr. Peter Stippl.

Psychotherapien per Internet oder Telefon gleich effektiv

„Viele PatientInnen sowie PsychotherapeutInnen standen Psychotherapie per Telefon oder via Internet kritisch gegenüber. Forschungsergebnisse vieler anderer Studien und auch die Erfahrungen der letzten Monate sprechen allerdings dafür, dass Psychotherapien über das Internet oder Telefon gleich effektiv wie in persönlicher Anwesenheit gehaltene sein können. Aufgrund von COVID-19 sind Psychotherapien in persönlicher Anwesenheit für unbestimmte Zeit weiter nur unter besonderen Auflagen möglich. Daher sollten diese neuen positiven Erfahrungen mit Telefon und Internet in der Psychotherapie auch für die Zukunft gewinnbringend genutzt werden, um den steigenden Bedarf an Psychotherapie auch längerfristig von den Krankenkassen finanziert decken zu können“, so der Experte für Psychotherapieforschung Thomas Probst.

Neue Chance ergreifen

Peter Stippl, Präsident des ÖBVP, interpretiert die Ergebnisse so: „Die große psychische Belastungsreaktion kommt erst, wenn den Menschen klar wird und sie es erleben, dass die zukünftige Realität anders als vor der Pandemie sein wird. Es werden viele Neuerungen und Herausforderungen lange bestehen bleiben. Trotz der belastenden Folgen dürfen aber auch die Chancen nicht außer Acht gelassen werden. Neben bereits bekannten für die Umwelt kann die Situation auch Chancen für die Weiterentwicklung der Psychotherapie mit sich bringen. Wenn über die COVID-19-Krise hinaus Psychotherapien per Telefon oder via Internet kassenfinanziert bleiben, hätte das für viele PatientInnen erhebliche Vorteile. Beispiele sind PatientInnen, deren Anreise zu den PsychotherapeutInnen durch weite Entfernung oder schwierige Verkehrsbedingungen erschwert ist, aber auch PatientInnen mit körperlichen Beschwerden, für die das Erreichen der Psychotherapiepraxis eine Belastung darstellen kann.“

Zur Studie

Insgesamt haben 1.547 PsychotherapeutInnen die Online-Umfrage ausgefüllt. Das durchschnittliche Alter der TeilnehmerInnen betrug 51,67 Jahre. 75,7 Prozent der PsychotherapeutInnen waren weiblich. Die Studienautoren sind Univ.-Prof. Dr. Probst, Universitätsprofessor für Psychotherapiewissenschaften, Univ.-Prof. Dr. Christoph Pieh, Leiter des Departments für Psychotherapie, und Dr. Peter Stippl, Präsident des österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP).

Rückfragen

Univ.-Prof. Dr. Thomas Probst

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