09.03.2022

In einer für alle Interessierten offenen online-Veranstaltung anlässlich des Weltfrauentages am 8. März rückte die Universität für Weiterbildung Krems den Geschlechterbias in der Medizin in den Fokus. Die Leiterin des Zentrums für Public Health und Vizerektorin für Lehre der Medizinischen Universität Wien, Prof.in Anita Rieder, und die Expertin für evidenzbasierte Medizin, Dr.in Jana Meixner der Universität für Weiterbildung Krems, beleuchteten die vielen Facetten der Gender Medizin mit Ergebnissen zu den Unterschieden bei Therapie, Diagnose, Prävention, Medikamentenwirkungen und den Einstellungen zum Thema Gesundheit zwischen Frauen und Männer.

Die medizinische Forschung orientiert sich nach wie vor an einer Norm, die größtenteils männlich ist. Teilnehmende an Studien zu Medikamenten etwa sind überwiegend Männer, die Reaktion auf viele Medikamente variiert jedoch stark nach Geschlecht. Den genderspezifischen Unterschieden in der medizinischen Behandlung und der Rolle der Gender Medizin widmete sich die Veranstaltung der Universität für Weiterbildung Krems anlässlich des internationalen Frauentags 2022.

„Bikini-Medizin“ versus Gender Medizin

Wie zahlreiche Studien der evidenzbasierten Medizin zeigten, so Dr.in Jana Meixner vom Department für evidenzbasierte Medizin und Evaluation in ihrem Vortrag, umfassen die geschlechtsspezifischen Unterschiede ein weites Feld, von der Verteilung der Erkrankungen, über unterschiedliche Nebenwirkungen von Medikamenten bis zum Design klinischer Studien im Zulassungsprozess von Medikamenten. Es ist bekannt, dass Frauen Medikamente anders verstoffwechseln als Männer und mit anderen Nebenwirkungen zu rechnen haben. Ein Beispiel sei das Herzmedikament Digoxin, das bei Frauen das Risiko zu versterben sogar etwas erhöht - nicht aber bei Männern. Erst seit 2014 ist es in der EU für klinische Studien verpflichtend, Frauen in die Stichproben aufzunehmen. Davor galt, so Meixner, der Mann als Prototyp des Menschen, auch wenn es um die Erprobung von Medikamenten geht, die explizit für Frauen eingesetzt werden sollen.

Die Medizin früherer Jahrzehnte sei zwar auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern eingegangen, aber nur auf jene biologischen, die durch ein Kleidungsstück verdeckt werden - daher die Bezeichnung „Bikini-Medizin“, so Meixner.

Das Team der Plattform „Medizin Transparent“ am Department für evidenzbasierte Medizin und Evaluation, darunter Jana Meixner, hat sich zum Ziel gesetzt, bei der Evidenzsynthese auch Genderaspekte zu berücksichtigen. Dass Gender Medizin auch Männern zugutekomme, zeige laut Meixner das Thema Depression: Während diese bei Männern stärker tabuisierten werden, würden Frauen offener damit umgehen. Erkenntnisse, die erst gendermedizinische Untersuchungen zum Umgang von Frauen und Männer mit Gesundheit ans Tageslicht brachten.

Gender Medizin aus der Public Health Perspektive

Die Vizerektorin der MedUni Wien, Univ.-Prof.in Dr.in med.univ. Anita Rieder, Leiterin des Zentrums für Public Health, machte die rund 120 Teilnehmer_innen der Veranstaltung mit der Geschichte der Gender Medizin aus der Perspektive der öffentlichen Gesundheitsmedizin vertraut und stellte die Ergebnisse der gendermedizinischen Forschung an der MedUni Wien vor. Dort ist eine Professur für Gender Medizin eingerichtet.

Noch vergleichsweise jung, so Rieder, sei das Gender-Thema im Feld der Public Health, also der Gesundheitspolitik. Erst um 2005 sorgte der Europarat für die Integration des Gender Mainstreamings in Public Health-Aktivitäten. Zahlreiche Pionierinnen der Gleichstellung von Frauen wie Simone de Beauvoir oder Rosa Mayreder und der in der akademischen Debatte in den 1960er Jahren aufkommende Unterschied zwischen den Begriffen Sex und Gender seien Wegbereiter dieses Umdenkens in der Gesundheitspolitik gewesen. Frühe Beispiele einer auf die Bedürfnisse von Frauen abgestimmten Politik seien auch bereits in den 1970er Jahren zu finden, wie etwa der damals in Österreich eingeführte Mutter-Kind-Pass, der einen massiven Rückgang der Mütter- und Säuglingssterblichkeit mit sich brachte. Einen ersten Frauengesundheitsbericht gab es hierzulande jedoch erst 1995, jenen für Männer legte die Stadt Wien vier Jahre später vor, damals eine Weltneuheit.

Rieder unterstützte das Ankommen der Gender Medizin in der Ärzt_innenausbildung und im klinischen Alltag mit dem 2004 erstmals aufgelegten Textbook Gender Medizin, das nachgewiesene geschlechtsspezifische Unterschiede festhielt und Empfehlungen ableitete. Heute wisse man, so Rieder, dass es viele Unterschiede in der Häufigkeit von Krankheiten gebe. Bezogen auf die aktuelle Covid19-Pandemie ist bekannt, dass deutlich mehr Männer schwer erkrankten als Frauen, letztere aber öfter unter Long-Covid litten. Eine wichtige Erkenntnis für die Gesundheitspolitik sei auch der unterschiedliche Umgang von Frauen und Männer mit Krankheit und Schmerz. Mit diesem Wissen ließen sich Therapien und die Prävention besser justieren.

Universitäten als Taktgeber der Gleichstellung

In seiner Begrüßung betonte Mag. Friedrich Faulhammer, Rektor der Universität für Weiterbildung Krems, die klare Rolle der Universitäten als Vorbildfunktion und Taktgeberinnen der Gleichstellung der Geschlechter. Während Gleichstellung in der Wirtschaft eine teils rückläufige Entwicklung nehme, sei diese an den Universitäten im Universitätsgesetz verankert. Faulhammer verwies auf die Vielzahl an bedarfsgerechten Maßnahmen an der Universität für Weiterbildung Krems, die das Thema auch in ihren strategischen Dokumenten, wie dem Gleichstellungsplan und in der Leistungsvereinbarung festhält. Besonders hob der Rektor die Anstrengungen hervor, durch eine aktive Personalsuche den Anteil an Professorinnen an der Universität zu erhöhen. Wichtig sei, dass das Thema im Alltag der Universität ankomme, wofür Maßnahmen wie Mentoring-Programme oder das online-Modul für die Lehre zu Gender- und Diversitätskompetenz einen wichtigen Beitrag leisteten.

Für den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der Universität für Weiterbildung Krems begrüßte dessen Vorsitzende, Mag.a Jutta Pirker-Kerschbaumer.  Sie betonte die Wichtigkeit und Legitimation des Weltfrauentages, auch in den schwierigen Zeiten der Pandemie und kriegerischer Auseinandersetzungen. Waren es zum Zeitpunkt der Einführung des Weltfrauentages 1910 Anliegen wie das Frauenwahlrecht und mehr Gerechtigkeit unter den Geschlechtern, so sind Frauenthemen danach nicht verschwunden, sondern hätten sich weiterentwickelt und umfassen heute zB Themen wie Gender Pay Gap, die niedrigen Frauenpensionen oder ausreichende Kinderbetreuungsplätze um der Teilzeitfalle zu entgehen. Vieles wurde erreicht, aber Vieles bleibt noch zu tun, daher seien Frauenthemen kein Luxusproblem, gerade um den, sich in vielen Bereichen abzeichnenden Rückschritt in der Gleichstellung, umzukehren. Zum Abschluss der Veranstaltung verwies die Co-Leiterin der Stabsstelle für Gleichstellung, Gender und Diversität, Dr.in Doris Czepa auf die Wichtigkeit der Integration der Gender-Perspektive in die Forschung insgesamt.

Die online-Veranstaltung anlässlich des internationalen Weltfrauentags wurde vom Rektorat der Universität für Weiterbildung Krems gemeinsam mit der Stabsstelle für Gleichstellung, Gender und Diversität, dem Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen und der ÖH der Universität für Weiterbildung Krems organisiert. Durch die Veranstaltung führte die bekannte Journalistin Hannelore Veit.

Zum Anfang der Seite