27.02.2023
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Jorghi Poll

Wer sie einmal persönlich erlebt hatte, konnte sie nicht vergessen: eine starke Persönlichkeit mit großem Herz, zugleich empathisch und streitbar, klar in ihren Standpunkten und dennoch offen und neugierig. Ilse Tielsch stand nie in der ersten Reihe literarischer Aufmerksamkeit, dafür war ihr Schreiben in jeder Phase zu unzeitgemäß, und dennoch blieb sie eine der unverwechselbaren Stimmen der österreichischen Literatur der Nachkriegszeit. Sie debütierte 1964 beim legendären Bergland Verlag mit einem Lyrikband und blieb dieser Form lebenslang treu. Bekanntheit erlangte sie später als Verfasserin von Romanen und Erzählungen, in denen sie sich mit ihrer Herkunft aus einer sudetendeutschen Familie auseinandersetzte. Vor allem in den monumentalen Romanen Die Ahnenpyramide (1980) und Heimat suchen (1982) leistete sie eine differenzierte Darstellung dieses zeitgeschichtlich sensiblen Kontextes. Ihre Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Würdigungspreis für Literatur des Landes Niederösterreich (1971), der Anton-Wildgans-Preis (1989) sowie der Franz-Theodor-Csokor-Preis für ihr Lebenswerk (2017).

Aufgewachsen im südmährischen Auspitz/Hustopeče, musste sie mit ihrer Familie als Halbwüchsige 1945 nach Österreich fliehen. Zunächst lebte sie im oberösterreichischen Schlierbach, ging in Linz zur Schule und maturierte 1948 in Wien. Dort nahm sie das Studium der Zeitungswissenschaften und Germanistik auf und promovierte 1953. Anschließend arbeitete sie als Journalistin für verschiedene Tages- und Wochenzeitungen und unterrichtete von 1955 bis 1964 an einer kaufmännischen Berufsschule. Nach Beendigung dieses Dienstverhältnisses konzentrierte sie sich auf ihre literarische Arbeit, dessen öffentliche Wahrnehmung mit der Publikation ihres ersten Lyrikbandes In meinem Orangengarten (1964) einsetzte. Ihr literarisches Potenzial blieb nicht unbemerkt, sie wurde von bekannten Kolleginnen und Kollegen wie Jeannie Ebner, Rudolf Felmayer und Hans Weigel gefördert. Ein produktives Umfeld fand sie schließlich in jener losen Gruppe von Autorinnen und Autoren, die im Dezember 1970 im Schloss Neulengbach den Literaturkreis Podium gründeten. 1971 folgte die Publikation der ersten Ausgabe der gleichnamigen Zeitschrift, die als Periodikum seit diesem Zeitpunkt ohne Unterbrechung erscheint. Wichtige Mitstreiter der Gründungszeit waren Alois Vogel, Alfred Gesswein und Doris Mühringer, mit denen Tielsch neben der künstlerischen Zusammenarbeit lebenslange Freundschaften pflegte.

Der im Archiv der Zeitgenossen aufbewahrte Vorlass von Ilse Tielsch dokumentiert neben ihrer umfangreichen literarischen Arbeit nicht zuletzt die über Jahrzehnte währende, weit verzweigte Rezeption ihrer Romane, Erzählungen und Essays. Ilse Tielsch war eine höchst eigensinnige literarische Stimme auf dem Feld kollektiver Erinnerungsarbeit, und nicht nur deswegen wird sie schmerzlich fehlen.

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