26.01.2021

In den letzten Jahrzehnten ist das Internet ein unverzichtbares Instrument für BürgerInnen aus aller Welt geworden. Durch die neue Technologie verbreiten sich Informationen viel schneller als früher und sie sind auch zugänglicher geworden. Wenn Menschen Hilfe und Empfehlungen brauchen oder ratlos sind, wenden sie sich oft dem Internet zu. Das ist auch bei politischen Angelegenheiten der Fall.

Man kann im Internet sehr leicht eine unbegrenzte Anzahl politischer Nachrichten, Meinungen, Analysen, Forschungen und Parteiprogrammen finden. Oft wird auch über die aktuellen politischen Themen online diskutiert und dies wird als eine neue Form der politischen Teilnahme bezeichnet. Das Internet fungiert folglich ebenfalls als Mittel für digitale bürgerschaftliche und politische Teilnahme.

So haben auch online Wahlhilfen (voting advice applications, zB: die österreichische Wahlkabine, der deutsche Wahl-O-Mat oder die schweizerische SmartVote) in der letzten Zeit weltweit viel an Bedeutung gewonnen und die Nachfrage nach ihnen wächst stetig. Jahr für Jahr gibt es mehr Nutzerinnen und Nutzer, die vor Parlaments-, Kommunal - oder Europawahlen diese neuartige, spielerische Wahlhilfe in Anspruch nehmen. Diese werden meistens von Universitäten, Medien oder verschiedenen Organisationen, die sich mit politischer Bildung beschäftigen, entwickelt und vor sämtlichen Wahlen angeboten. Außerdem dienen sie ebenfalls als ein Mittel für die politische Bildung, da sie über die aktuellen politischen Fragen und den Parteipositionen auf leicht verständliche, einfach formulierte Weise die Gesellschaft informieren und Wählerinnen und Wähler dazu ermutigen, weitere Informationen zu suchen.

Bereits in 16 europäischen Ländern (u.a. Deutschland, Österreich, Spanien, Bulgarien, Polen und Griechenland) können die Wählerinnen und Wähler online Wahlhilfen in Anspruch nehmen. Der Stemwijzer war der erste VAA in Europa, und steht den niederländischen Bürgerinnen und Bürgern bereits seit 1989 ohne Unterbrechung zur Verfügung. Ähnliche Wahlhilfsmittel erschienen innerhalb kurzer Zeit in mehreren europäischen Ländern, wie Belgien, Deutschland, Finnland oder der Schweiz. Auf Initiative des European University Institute in Florenz wurde für die Europawahlen 2009 ein europaweiter Fragebogen entwickelt, der in allen europäischen Sprachen verfügbar war.

Online Wahlhilfen sind in Ungarn auch nicht unbekannt: Eine solche Wahlhilfe, die unter dem Namen Vokskabin bekannt ist, wurde 2014 auf die Initiative von Frau Dr. Melani Barlai an der Andrássy Universität Budapest ins Leben gerufen. Seitdem konnten Interessierte insgesamt 10 Fragebögen ausfüllen. Die ungarisch-, deutsch- und englischsprachige Vokskabin ist eine interaktive Online-Wahlhilfe, die den Nutzerinnen und Nutzern nicht nur eine Übersicht über die Positionen ungarischer Parteien zu (gesellschafts-) politischen Themen anbietet, sondern ebenso aufzeigt, ob und wie die Meinung der Nutzerinnen und Nutzern mit denen der Parteien übereinstimmen.

Beim Ausfüllen des Fragebogens beantwortet man in der Regel 30-35 Fragen mit den Antwortmöglichkeiten Ja / Nein / Ich weiß nicht. Nutzerinnen und Nutzer sehen nach der Beantwortung der objektiv und überparteilich formulierten Fragen über Wirtschaft, Demokratie, Innen- und Außenpolitik und Sozialpolitik oder über spezifische Themen wie Migration oder Klimaschutz ein Diagramm, wo die Übereinstimmungen und Abweichungen von den Parteipositionen dargestellt werden. Es ist wichtig zu betonen, dass das Ergebnis nur zur Orientierung dient und keine (Wahl-) Empfehlung darstellt. Ziel des Projekts ist außerdem die Bürgerinnen und Bürger zur weiteren Informationsbeschaffung zu motivieren.

Bei der Erstellung des Fragebogens wählt das Vokskabin-Team nicht nur Fragen aus, die in den Programmen der Parteien enthalten sind, sondern auch Fragen, in denen die Parteien unterschiedliche Positionen vertreten. Auf diese Weise können Nutzerinnen und Nutzer Informationen zu Problemen erhalten, die nicht unbedingt in den täglichen Nachrichten erscheinen. Darüber hinaus können sie für jede Frage angeben, wie wichtig das Thema oder die Problematik für sie ist: sehr, mäßig oder wenig. Diese Option steht auch den Parteien zur Verfügung. Außerdem kann man bei manchen Fragen eine kurze Erklärung finden. Diese Hilfe richtet sich hauptsächlich an Personen, die weniger über aktuelle politische Fragen informiert sind.

Nach Auswahl der Themen und der konkreten Fragen senden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Vokskabin die Fragen an die Parteien, die sich für die aktuelle Wahl aufstellen lassen. Die Parteien haben zudem die Möglichkeit, sich kurz zu den Themen zu äußern. Diese Stellungnahmen können die Nutzerinnen und Nutzer nach dem Ausfüllen des Fragebogens sehen. Die Antworten basieren jedoch nicht nur auf den Antworten der Politikerinnen und Politiker, sondern auch auf den Forschungen und Recherchen des Vokskabin-Teams, deren Grundlage öffentlich zugängliche Informationen, beispielsweise Parteiprogramme, Konferenzen, Interviews und Zeitungs- sowie Zeitschriftartikel sind.

Wenn eine Partei nicht auf die Anfrage der Redaktion reagiert, beantwortet das Team die Fragen auf der Grundlage einer Bewertung der Aussagen und offiziellen Dokumente der Parteien. Von den im Jahr 2020 registrierten Parteien konnten nur diejenigen berücksichtigt werden, die die Fragen beantwortet haben.

Das Besondere an dem Projekt ist, dass Vokskabin-Fragebögen nicht nur vor Wahlen, sondern auch zwischen Wahlperioden ausgearbeitet werden. Im Jahr 2015 konnte man seine eigene Meinung zu zwei Themen mit denen der Parteien vergleichen: Männer und Frauen in Ungarn und Roma in Ungarn. Aufgrund der damals aktuellen Migrationskrise erstellte die Redaktion 2017 einen Fragebogen zum Thema Migration und Flüchtlingen.

Immer wieder erhält die Vokskabin-Redaktion Unterstützung bei der Erstellung der Fragebögen, in der Vergangenheit etwa von Transparency International Ungarn und K-Monitor (Korruptions-Monitor). Letztes Jahr hat die Redaktion zum ersten Mal mit der Levegő Munkacsoport (“Luft Arbeitsgruppe”) zusammengearbeitet.

Obwohl letztes Jahr keine Wahlen in Ungarn stattgefunden haben, hat das Vokskabin-Team einen neuen Fragebogen erarbeitet, anhand dessen Nutzerinnen und Nutzer ihren eigenen Standpunkt zu grünen, umweltpolitischen Themen ermitteln und dies mit den Positionen der Parteien vergleichen kann. Diesmal konnte man Fragen wie „Muss die freie Nutzung der Ufergebiete unserer natürlichen Gewässer weiterhin möglich bleiben?“, „Muss Ungarn bis 2040 ein klimaneutrales Land werden?“ oder „Soll die Regierung ein eigenes Umweltministerium schaffen?“ beantworten.

Die Vokskabin-Redaktion legt außerdem großen Wert auf die politische Bildung und auf die Analyse der Daten der Nutzerinnen und Nutzer. Aus diesem Grund wurde ein Fragebogen mit dem Titel „Was denken Sie über Vokskabin?“ erstellt, in dem Benutzerinnen und Benutzer ihre Meinungen und Erfahrungen mitteilen können. Die Meinungsumfrage beinhaltet etwa 20 verschiedene Fragen. Zuerst wird nach den persönlichen Daten der BenutzerInnen wie Geschlecht, Alter, Ausbildung, Wohnsitz und Beruf gefragt. Dann werden die Einstellungen und Meinungen bezüglich des Vokskabin-Projekts erfasst, sowie die möglichen Auswirkungen auf die Parteipräferenzen oder Wertvorstellungen bei den anstehenden Wahlen. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass die Vokskabin-Fragebögen hauptsächlich von Interessierten der jüngeren Generation ausgefüllt werden.

Eine länderübergreifende Studie von Stefan Marschall aus 2014, die vor allem deutsche, estnische, italienische und schweizerische Daten heranzieht, zeigt ebenso, dass die VAA-NutzerInnen relativ jung sind. In Bezug auf das Geschlecht gibt es nur in Estland einen höheren Anteil weiblicher Befragten, während in anderen Ländern der Anteil der männlichen Nutzer signifikant höher liegt. Die Messung des Bildungsniveaus der Nutzerinnen und Nutzer ist insofern problematisch, dass die Bildungssysteme der untersuchten Länder nicht vergleichbar sind. Die verfügbaren Daten zeigen jedoch, dass drei Fünftel der italienischen Befragten mindestens ein Abitur haben, während in Deutschland nur 40% der NutzerInnen über ein Abitur oder einen Hochschulabschluss verfügen. Überrepräsentiert sind also die mehr ausgebildeten Personen. Was das politische Interesse betrifft kann grundsätzlich festgehalten werden, dass rund 60% der deutschen und italienischen Befragten sowie 80% der befragten Schweizerinnen und Schweizer politisch interessiert waren. Das deutet darauf hin, dass Wahlhilfen von solchen Nutzerinnen und Nutzern genutzt werden, die an der Politik großes Interesse haben. Aus diesen Daten kann abgeleitet werden, dass der Durchschnittsnutzer jung, männlich, ausgebildet und politisch interessiert ist.

Wie der ungarische Durchschnittsnutzer ist, wird anhand der, von den Benutzerinnen und Benutzern ausgefüllten Survey-Monkey-Meinungsumfrage gewonnenen Daten festgestellt, welche freiwillig nach der Beantwortung der Fragen von Vokskabin ausgefüllt werden konnte.

 

 Abbildung 1: Was ist Ihr Geschlecht?

 

Anhand dieser Daten zeigt sich, dass fast drei Viertel der Nutzerinnen und Nutzer männlich waren.

 

Abbildung 2: Wie alt sind Sie?

 

Bei der Frage nach dem Alter wurden die Antwortmöglichkeiten wie üblich in Altersgruppen aufgeteilt. Die am stärksten vertretene Altersgruppe war die der 25 bis 34-Jährigen und die der 45 bis 54-Jährigen. Die Gruppe der 18 bis 24-Jährigen hatte auch großes Interesse an dem Klimafragebogen.

 

Abbildung 3: Was ist Ihr höchster Bildungsabschluss?

 

Die Frage nach der Ausbildung kann nur mit Kenntnissen über das ungarische Bildungssystem verstanden werden, welches mit dem österreichischen, schweizerischen oder deutschen Schulsystem nicht vollkommen zu vergleichen ist. Trotzdem lässt sich über den Ausbildungsgrad der Nutzerinnen und Nutzer sagen, dass circa zwei Drittel der Befragten über einen Hochschul- oder Universitätsabschluss verfügen.

 

Abbildung 4: Wie stark interessieren Sie sich für Politik?

 

Es lässt sich aus den angegebenen Antworten erkennen, dass sich deutlich mehr als die Hälfte der Befragten „sehr“ oder „eher ja“ für Politik interessieren. Weniger als ein Drittel haben „mäßiges Interesse“ an Politik, während der Rest „nicht wirklich oder überhaupt nicht politisch interessiert“ sind.

Eine repräsentative Studie über die ungarische Gesellschaft zeigt, dass 12% der ungarischen Bevölkerung an Politik sehr interessiert sowie 21% eher interessiert sind. Ferner gaben 45% an, dass sie an politischen Angelegenheiten nicht interessiert und 25% nur mäßig interessiert sind. Aus diesen Daten kann man deutlich erkennen, dass sich die Vokskabin-Nutzerinnen und Nutzer überdurchschnittlich für Politik interessieren.

Aus den hier vorgestellten Daten kann abgeleitet werden, dass der Durchschnittsnutzer von Vokskabin ebenso männlich, jung, ausgebildet und politisch interessiert ist. Somit kann man erkennen, dass sich dieser Trend ebenso in Ungarn widerspiegelt.

Mehr über das Projekt, das ungarische Wahlsystem und die ungarischen politischen Parteien erfahren Sie unter:


http://www.vokskabin.hu

Autor

Dorottya Víg

Andrássy Universität Budapest

  • Die Autorin hat Internationale Beziehungen M.A. an der Andrássy Universität Budapest studiert. Während ihres Studiums hat sie als studentische Hilfskraft beim Vokskabin-Projekt mitgewirkt: vor den Europawahlen 2019 und vor den ungarischen Kommunalwahlen ebenso 2019. Seit Januar 2020 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei netPOL, wo sie für die Erstellung der Vokskabin-Fragebögen zuständig ist.

Quellen

Bundeszentrale für politische Bildung (2020): 2002 – 2019: Die Geschichte des Wahl-O-Mat® | bpb., URL: https://www.bpb.de/politik/wahlen/wahl-o-mat/294712/die-geschichte-des-wahl-o-mat (Zugriff: 19.01.2021)

Fivaz, Jan; Nadig, Giorgio (2010): Impact of Voting Advice Applications (VAAs) on Voter Turnout and Their Potential Use for Civic Education. In: Policy & Internet, Band 2, Ausgabe 4, 22.1.2010, S. 162–195, URL: http://doi.wiley.com/10.2202/1944-2866.1025  (Zugriff: 19.01.2021)

Ladner, Andreas; Fivaz, Jan; Pianzola, Joëlle (2012): Voting advice applications and party choice: evidence from smartvote users in Switzerland. In: International Journal of Electronic Governance, Band 5, Ausgabe 3/4, 2012, S. 367, URL: http://www.inderscience.com/link.php?id=51303  (Zugriff: 19.01.2021)

Marschall, Stefan (2014): Profiling Users. Matching voters with parties and candidates: voting advice applications in comparative perspective. Colchester: ECPR Press (Zugriff: 16.01.2021)

Sander, Wolfgang (2006): Politische Bildung in der Demokratie - Herausforderungen im europäischen Kontext. In: Politische Bildung in der Demokratie, Band Demokratie-Bildung in Europa, 2006, S. 10, URL: http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/sander_polbildung.pdf (15.01.2021)

Szabó, Andrea (2019): A magyar egyetemisták és főiskolások politikai integrációja 2019-ben. Heinrich Böll Stiftung, URL: http://www.aktivfiatalok.hu/public/files/documents/magyar_egyetemistak_2019.pdf  (Zugriff: 20.01.2021)

Szabó, Andrea; Oross, Dániel (2018): A politikai érdeklődésre ható tényezők európai perspektívában – a magyar eset. In: socio.hu, Ausgabe 2, 2018, S. 72–94, URL: https://socio.hu/uploads/files/2018_2ess/28_szabo_oross.pdf (Zugriff: 20.01.2021)

Vassil, Kristjan (2012): Voting Smarter? The impact of voting advice applications on political behavior.2012, URL: http://rgdoi.net/10.13140/RG.2.1.1283.3523 (15.01.2021)

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