12.11.2019

Auch auf niederösterreichischem Gebiet befinden sich viele „unsichtbare Lager“: Orte zur Unterbringung von Menschen, meist aus der Zeit des Ersten oder Zweiten Weltkrieges bzw. der Nachkriegszeit, deren Spuren verwischt und deren Überreste kaum noch vorhanden sind. Die Veranstaltung „Unsichtbare Lager in Niederösterreich“, vom 20. bis 21. November in St. Pölten, beschäftigt sich mit der Frage, wie diese Orte beforscht, dokumentiert und zugänglich gemacht werden können. Denn authentische Orte sind ein wichtiger Bestandteil von Geschichtsvermittlung und Erinnerungskultur. Das Programm umfasst Tagung, Aktionsnachmittag und einen Filmabend.

Die großteils provisorische Unterbringung von Menschen in Lagern ist eng mit den Kriegen und totalitären Diktaturen verknüpft, aber auch mit Flüchtlings- und Migrationsbewegungen. Der Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman (1925-2017) bezeichnete das 20. Jahrhundert als „Jahrhundert der Lager“ und auch im 21. Jahrhundert bleiben Lager allgegenwärtig. In Österreich wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts vielerorts aus ganz unterschiedlichen Gründen temporäre Lager errichtet. Nachdem sich diese wieder geleert hatten, blieb die Lagerinfrastruktur manchmal noch jahrelang bestehen, oder wurde wieder entfernt bzw. anderen Funktionen zugeführt. Oftmals gerieten die ehemaligen Lagerorte in Vergessenheit, manchmal verweisen nur noch Straßenbezeichnungen wie „Lagergasse“ oder der Flurname „Lagerfeld“ auf die ursprüngliche Widmung dieser Orte.

 

Zahlreiche Lager auf niederösterreichischem Gebiet

Auch auf niederösterreichischem Gebiet befinden sich solche „unsichtbaren“, transformierten Orte. Im Waldviertel wurden bereits im Ersten Weltkrieg mehrere Lager für Kriegsgefangene, zivile Kriegsflüchtlinge und Internierungslager für „feindliche Ausländer“ errichtet. So waren etwa im Lager Gmünd zwischen 1914 und 1918 rund 200.000 Flüchtlinge – vorwiegend aus Galizien, der Bukowina und Istrien – untergebracht, ein Zehntel überlebte die prekären Bedingungen nicht. In der Zwischenkriegszeit errichtete das austrofaschistische Regime in Wöllersdorf ein „Anhaltelager“ für RegimegegnerInnen, insbesondere NationalsozialistInnen und SozialdemokratInnen.

Während des Zweiten Weltkrieges sind Lager in Niederösterreich (damals „Niederdonau“) „Schreckensorte“, die der Ausbeutung durch Zwangsarbeit und der Internierung von Kriegsgefangenen dienten. In Niederösterreich befanden sich mehrere Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen, so etwa in Melk, St. Aegyd/Neuwalde, St. Valentin oder Wr. Neustadt. In Melk etwa wurden innerhalb eines Jahres rund 14.400 KZ-Häftlinge zur Zwangsarbeit für die Steyr-Daimler-Puch AG herangezogen. Im Stalag XVII B Krems-Gneixendorf waren zeitweise mehr als 60.000 Kriegsgefangene festgehalten.

In anderen Lagern wurden als jüdisch kategorisierte Verschleppte, Roma und Sinti oder politische Gefangene zur Zwangsarbeit in Rüstungsbetrieben, in der Landwirtschaft oder zum Bau der Reichsautobahn eingesetzt. Viele Menschen überlebten die Strapazen der Zwangsarbeit nicht. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges kam es zu zahlreichen Massakern, vor allem an ungarischen Jüdinnen und Juden, etwa in Hofamt Priel, Göstling, Gresten und Randegg, sowie gegen KZ-Häftlinge im Zuge von Evakuierungsmärschen aus den KZ-Außenlagern in Richtung Mauthausen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Lager reaktiviert, etwa zur vorübergehenden Unterbringung von deutschsprachigen Flüchtlingen und Vertriebenen sowie von Flüchtlingen aus Ungarn ab 1956. Während des Kalten Krieges reisten sowjetische Jüdinnen und Juden dann über das Transitlager Schönau nach Israel weiter.

 

Kaum Spuren, wenig Wissen

Allen ehemaligen Lagerorten in Niederösterreich ist gemein, dass heute nur noch wenige oder gar keine materiellen Spuren mehr zu sehen sind. Die Holzbaracken wurden meist abgetragen oder anderwärtig genutzt. Lager aus dem Ersten Weltkrieg wurden beispielsweise in Sommerfrische-Siedlungen umgewandelt, wie das Kriegsgefangenenlager in Purgstall, oder im Falle des Internierungslagers Steinklamm zeitweilig als Kinderheim genutzt. In Bruck an der Leitha sind ehemalige Baracken auch heute noch bewohnt, es fehlt jedoch das Wissen um die Geschichte. In St. Aegyd befindet sich heute am Standort des KZ-Außenlagers eine Siedlung mit Einfamilienhäusern.

Im Bereich des ehemaligen Stalags XVII B Krems-Gneixendorf sind einige Fundamentreste sichtbar, teils finden sich vergrabene Gebrauchsgegenstände. Außer einer künstlerischen Intervention in Form von Erinnerungstafeln deutet im Wäldchen und auf den Äckern nichts auf die historische Dimension hin. Auch in Krems selbst ist kaum etwas über das Kriegsgefangenenlager bekannt. Internationale Familienangehörige der Internierten, die sich immer wieder auf Spurensuche begeben, haben Mühe den Ort zu finden.

An anderen ehemaligen Lagerorten sind ebenfalls manchmal Gedenktafeln zu finden, lokale Initiativen kümmern sich um die Aufrechterhaltung der Erinnerung. Neuerdings kann in Gmünd die Geschichte des Lagers in einem kleinen Museum erkundet werden.

 

Erinnerungsorte in der Vermittlungs- und Bildungsarbeit

Gerade weil es bald keine ZeitzeugInnen der NS-Zeit mehr geben wird, sind Erinnerungsorte ein wichtiger Bestandteil von Erinnerungskultur für die Vermittlungs- und Bildungsarbeit. Denn dem ‚authentischen‘ Ort wird Zeugenschaft und somit Wahrhaftigkeit zugeschrieben. Offen ist die Frage der Erinnerungsmöglichkeit an Lagerorten ohne materielle Spuren oder erkennbarer historischer Dimension sowie erfolgter Transformation.

 

Tagung, Aktionsnachmittag und Film

Die international besetzte wissenschaftliche Tagung „Unsichtbare Lager in Niederösterreich“ verschafft einen Überblick über heute nicht oder kaum mehr erhaltene Lager des 20. Jahrhunderts mit Schwerpunkt auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs bzw. der Nachkriegszeit in Niederösterreich. Im Anschluss widmet sich die Tagung der Klärung, wie diese Orte entlang der Dimension des „Nicht-mehr-Sichtbaren“ beforscht, dokumentiert und zugänglich gemacht werden können.

Der „Aktionsnachmittag“ richtet sich an KulturvermittlerInnen, SchülerInnen und LehrerInnen und zeigt auf, wie eigene Projekte im Bereich der Lokalgeschichte umgesetzt werden können.

Der Dokumentarfilm „Zustand und Gelände“ (D 2019, Regie: Ute Adamczewski) zeigt am Beispiel von „wilden Konzentrationslagern“ in Sachsen, wie sich unterschiedliche politische Erinnerungskulturen in Orte eingeschrieben haben.

 

Tagung „Unsichtbare Lager in Niederösterreich: Beforschen, dokumentieren und zugänglich machen“.

Veranstaltet vom Forschungsnetzwerk Interdisziplinäre Regionalstudien (first), Stabsbereich Digital Memory Studies (Donau-Universität Krems), Zeithistorisches Zentrum Melk in Kooperation mit dem Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich und der NÖ Landesbibliothek.

Datum: Mittwoch, 20. bis Donnerstag, 21. November 2019

Beginn: 09:00 Uhr

Ort:  20. November: NÖ Landesbibliothek

21. November: Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich, Kulturbezirk, St. Pölten

 

 

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