09.12.2022

Ausgrabungen nahe Asparn/Schletz brachten Überreste von mehr als 100 Menschen aus dem Frühneolithikum zum Vorschein. Woher sie kamen und was genau sich vor mehr als 7000 Jahren in dieser Region des Weinviertels zutrug, wollen Archäolog_innen gemeinsam mit Forschenden anderer Disziplinen und mit Hilfe von Citizen Scientists und Schüler_innen der NMS Asparn lösen. Geleitet vom Zentrum für Museale Sammlungswissen­schaften der Universität für Weiterbildung Krems arbeiten Wissenschafter_innen der Montanuniversität Leoben, der Universität für Bodenkultur Wien, des Naturhistorischen Museum Wien und der Landessammlungen Niederösterreich im Projekt „United by crisis?“ zusammen.

Wie wirken sich Krisen auf Gesellschaften aus? Aktuell kommen uns COVID-19, der Klimawandel oder Krieg in den Sinn, aber Krisen begleiten die Menschheit seit jeher. Das Forschungsprojekt „United by crisis?“, gefördert durch die Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich (GFF) im Rahmen der FTI-Strategie Niederösterreich 2027, geht der Wirkungen von Krisen an einem sehr frühen Beispiel nach. Langjährige Ausgrabungen in Asparn/Schletz zwischen 1983 und 2005 lieferten Hinweise auf eine gewalttätige Auseinandersetzung vor über 7000 Jahren, bei der mehr als 100 Menschen den Tod gefunden hatten. In jahrelanger Feinarbeit wurden die teilweise verstreuten Überreste der Opfer geborgen und mit forensischen Methoden untersucht. Die menschlichen Überreste wiesen eine Vielzahl an Verletzungen auf, die von Steinbeilen, Keulen und Pfeilen stammen könnten. Die Körper wurden nicht bestattet, sondern blieben unbeerdigt in der Siedlungsanlage liegen. Auch das weitgehende Fehlen von Frauen im gebärfähigen Alter ist auffallend. Wurden die Frauen von den Angreifern verschleppt?

Fragen zum jungsteinzeitlichen Weinviertel

Die Siedlung kann in die sogenannte „Linearbandkeramische Kultur“, die älteste bäuerliche Kultur der Jungsteinzeit Mitteleuropas, datiert werden. Woher kamen die Menschen, die in dieser Siedlung auf so ungewöhnliche Weise zu Tode kamen und denen der für diese Zeit typische Bestattungsritus verwehrt worden war? Handelt es sich um die Bewohner_innen der Siedlung oder stammten sie aus der Umgebung? Sind gar Angreifer_innen darunter? Um diese Forschungsfragen beantworten zu können, muss auch die Siedlungsstruktur der Region um Asparn/Schletz in der frühen Jungsteinzeit und die Entwicklung über mehrere Jahrhunderte verstanden werden. Die Größe der Siedlung und die Befestigungsanlage sprechen dafür, dass Asparn/Schletz das Zentrum eines Siedlungsclusters im oberen Zayatal war. Die Forschungshypothese, dass in der Zeit der späten Bandkeramikkultur in der Region um Schletz eine länger andauernde Krisensituation bestand, soll geprüft werden. Vielleicht wurde die Befestigung der Siedlung aufgrund dieser Krisensituation ausgebaut, was zum Wachstum der Siedlung beigetragen haben könnte. Nach dieser Hypothese wären die Menschen aufgrund der Bedrohungssituation enger zusammengerückt – eben united by crisis.

Transdisziplinärer Forschungszugang

Besonders innovativ am Projekt „United by crisis?“ ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Forschungsmethoden und Fachdisziplinen. Neben der Auswertung vorhandener Daten in Museumsdepots und Archiven sind das Kernstück des Projekts systematische Feldbegehungen mit Beteiligung von Citizen Scientists, bei denen die Äcker nach Fundmaterial wie Tonscherben und Steingeräten abgesucht werden. Die Funde werden sorgfältig eingemessen und protokolliert, um Daten über die Ausdehnung und Form der steinzeitlichen Siedlungslandschaft zu erhalten. Durchgeführt werden auch chemische Analysen: Aus Wasser und Nahrung nehmen Lebewesen natürliche Strontiumisotopen zu sich. Durch den Vergleich des Isotopenverhältnisses von menschlichen Zahnproben mit Bodenproben aus der Region kann auf eine lokale oder nicht-lokale Herkunft, d.h. einen Residenzwechsel (Migration), geschlossen werden.

Nutzen für Forschung und Citizen Scientists

Die Arbeit mit Citizen Scientists schafft für Projektleiter Mag. Jakob Maurer vom Zentrum für Museale Sammlungswissenschaften eine Win-Win-Situation: „Interessierte können hier, in einer der in der internationalen Forschung bekanntesten Fundstellen aus Niederösterreich, Archäologie hautnah erleben und an der Feldforschung sowie der Interpretation von Ergebnissen mitwirken. Ohne die Unterstützung durch Freiwillige wäre dieses Projekt nicht möglich, zudem erhoffen wir uns von ihnen ergänzende, auch ungewöhnliche Ideen „out of the box“. Die Einbeziehung von Schüler_innen in der Probenahme und -analyse soll früh Begeisterung für Forschung und Naturwissenschaften wecken.“ Auf www.united-by-crisis.at finden Interessierte weitere Informationen zum Projekt und wie sie mitarbeiten können.

 

United by Crisis?
„Durch die Krise vereint? Eine transdisziplinäre Untersuchung frühneolithischer Gemeinschaften der Siedlungskammer von Schletz“

Projektzeitraum: 2022–2025
Fördergeber: Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich (GFF) im Rahmen der FTI-Strategie Niederösterreich 2027
Projektverantwortlich: Mag. Jakob Maurer
Wissenschaftliche Mitarbeiter_innen: Julia Längauer, MA und Cornelia Hascher, BA
Koordination: Universität für Weiterbildung Krems, Department für Kunst- und Kulturwissenschaften – Zentrum für Museale Sammlungswissenschaften

Partner:
Montanuniversität Leoben
Universität für Bodenkultur Wien

Naturhistorisches Museum Wien
Landessammlungen Niederösterreich

Weitere Kooperationspartner:
Schulzentrum Asparn
MAMUZ (Schloss Asparn & Museum Mistelbach)

Citizen Scientists

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