Die Hoffnung auf ein schmerzfreies Leben rückt dank modernen interdisziplinären Ansätzen zur Gewebsregeneration und Implantologie immer näher. Noch muss die Forschung einige Hürden nehmen.

Von Michaela Endemann

Zu den weltweit häufigsten Gelenkserkrankungen zählt die Arthrose, sie nimmt im Alter zu, kann aber auch in jungen Jahren nach Verletzungen auftreten. Im Frühstadium verliert der Knorpel an Regenerationsfähigkeit, im Spätstadium kommt es zum Abbau. Heilung gibt es keine. Arthrose zu verlangsamen und Sportverletzungen schneller zu heilen, ist daher Ziel zahlreicher innovativer regenerativer Therapieansätze rund um Biomaterialen. Die Tribologie, die Lehre von Reibung und Verschleiß, hilft dabei, die Eigenschaften neuartiger biogener Produkte zu testen, aber auch dann, wenn ein Gelenksersatz unvermeidbar ist.

Bevor ein Gelenksersatz nötig ist, versucht die Medizin in der Regel, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und den noch vorhandenen Knorpel zur Regeneration anzuregen, beispielsweise mit plättchenreichem Plasma. Plasma ist der flüssige Anteil des Vollbluts der durch Zentrifugation gewonnen wird. Es enthält gelöste Substanzen wie Wachstumsfaktoren und ist Ausgangspunkt vieler Blutprodukte wie Gerinnungssubstanzen bei Hämophilie oder dem Fibrinkleber für Operationen ohne Naht. Bei der PRP-Therapie – PRP steht für plättchenreiches Plasma –  wird patient_inneneigenes Blut aufbereitet und als Injektion in das Gelenk ambulant verabreicht. Das Verständnis der Wirkmechanismen von PRP ist allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Zudem gibt es vielfältige Herstellungsverfahren und Produkte am Markt.

Alexander Otahal ist Wissenschaftler am Zentrum für Regenerative Medizin an der Universität für Weiterbildung Krems: „Wir versuchen, zelluläre Veränderungen von Knorpelzellen zu erforschen, um Behandlungsstrategien zu entwickeln, aber auch den Einfluss des Gewebes rund um die Gelenke. Dort gibt es möglicherweise Faktoren, die die Regeneration von geschädigtem Knorpel positiv beeinflussen könnten“, so Otahal. Die Forschung zu Wirkmechanismen von Arthrosebehandlungen auf Basis von Eigenblutprodukten wie PRP hat sich in der Vergangenheit auf Wachstumsfaktoren fokussiert. „Doch es scheinen extrazelluläre Vesikel (EV), die als Signalshuttles für eine Reihe bioaktiver Moleküle dienen können, wesentlich an therapeutischen Effekten beteiligt zu sein“. „EV“ ist ein Sammelbegriff für biogene Membranpartikel mit etwa 30–1.000 Nanometer Größe. Otahal und sein Team extrahieren diese EV aus Blutprodukten und aus mesenchymalen Stammzellen, die aus dem Fettgewebe unterhalb der Patellasehne entnommen werden. „Im In-vitro-Modell wurde ein Co-Kultursystem entwickelt, um ein Gelenk zu modellieren, bei dem die Auswirkungen von EV auf die gewebsregulierenden Funktionen beobachtet werden können.“ Ein Vorteil gegenüber kurzlebigen Wachstumsfaktoren könnte die langanhaltende Wirkung von EV-assoziierten microRNAs sein.

Heterogenitäten

Laura de Girolamo ist Biologin und Leiterin des Labors für Biotechnologie in der Orthopädie und des RE.GA.IN (Regeneratives Galeazzi-Institut) am IRCCS Galeazzi Hospital - Sant’Ambrogio in Italien. „Ich arbeite schon seit über 15 Jahren mit PRP, um biologische Lösungen zur Förderung der Knorpel-, Sehnen- und Knochenregeneration, insbesondere bei Sportverletzungen und Arthrose zu finden“. Hauptaugenmerk legt sie auf die Analyse der am Markt angebotenen Verfahren zur Gewinnung und Anwendung von PRPs. „Die Ergebnisse dieser Behandlungen sind nicht vergleichbar,“ so de Girolamo. Das zu ändern hat sie sich gemeinsam mit der Europäischen Gesellschaft für Sporttraumatologie, Kniechirurgie und Arthroskopie (ESSKA) zur Aufgabe gemacht. Mit dem „ESSKA ORBIT Consensus“ setzt sich die Wissenschaftliche Community dafür ein, die Herstellungsverfahren zu standardisieren. Dies sei im Sinne eines guten Versorgungsstandards längst überfällig. „Unsere Guidelines sollen jetzt schon als Hilfestellung für Orthopäden dienen, sich im Dschungel der Anbieter zurechtzufinden“, so de Girolamo.

Alexander Otahal

„Wir versuchen, zelluläre Veränderungen von Knorpelzellen zu erforschen, aber auch den Einfluss des Gewebes rund um die Gelenke. Dort gibt es möglicherweise Faktoren, die die Regeneration von geschädigtem Knorpel positiv beeinflussen könnten.“

Alexander Otahal

Real World Data

Etwa 20–30 Prozent der Patient_innen bleiben Non-Responder, sprechen also nicht auf die Therapie an. „Eindeutige Biomarker und das Wissen um Faktoren, die die Wirksamkeit beeinflussen, fehlen“, so Otahal. Zudem ist die evidenzbasierte Betrachtung der Anwendung von Blutderivaten kontrovers, Studienergebnisse widersprechen sich häufig. Das liege teils an der natürlichen Heterogenität der Patient_innen, andererseits aber auch an der hohen Variabilität des Krankheitsverlaufs per se und an der Placebowirksamkeit. Otahal, wie auch de Girolamo vermissen die Miteinbeziehung patient_innenspezifischer Faktoren wie Arthrosegrad, BMI, Lebensgewohnheiten, Ernährung, Sport, Belastungs- und Schmerzanamnese und Krankheitsdauer in diesen Studien. Laura de Girolamo ist für die Koordinierung klinischer Versuche zuständig und hat die Möglichkeit, Real-World-Daten zu sammeln: „In Zukunft sollen datenbasierte Modelle auch Vorhersagen zulassen, welche Therapien bei welchen Patient_innen wirken“, so ihre Vision.

Wenn Ersatz nötig ist

Zu den häufigsten Sportverletzungen zählen Meniskusschäden oder Kreuzbandrisse. Da ist dann oft nur mehr der Ersatz möglich. An der Universität für Weiterbildung Krems wird daher an einem Meniskus aus dem 3D-Drucker geforscht. Dabei wird Seide als Scaffold, also als Gerüst, verwendet, das die Knorpelzellen in die gewünschte Form bringt und Halt bieten soll. Seide wird aus den Fäden der Seidenspinnerraupen gewonnen und hat Eigenschaften, wie hohe Festigkeit und Elastizität. Heinz Redl, der frühere Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Traumatologie, forscht am Rohstoff Seide. Sie besteht aus zwei Komponenten, Fibroin und Sericin. „Wir haben eine Methode entwickelt, bei der Rohseide als Naturfaser in Textilmaschinen verarbeitet wird und erst danach das Sericin entfernt wird. Das ist neu und anders als herkömmliche Methoden. Dadurch erhalten wir die gewünschten mechanischen Eigenschaften.“ In einem Spin-off-Unternehmen wird nun das erste Produkt für einen Kreuzbandersatz und Kreuzbandunterstützung an Großtieren getestet.

Orthopädie trifft auf Tribologie

Auch von der Tribologie erhofft sich die Orthopädie Fortschritte. Friedrich Franek, Professor für Maschinenbau: „Die Tribologie untersucht Materialeigenschaften und deren Wechselwirkung zwischen Oberflächen unter gegenseitiger Kraftentwicklung.“ Der Weg zur Orthopädie und damit zur „Biotribologie“ ist nicht weit. „Auch in den Gelenken passiert durch Bewegung Reibung und Verschleiß. Insbesondere bei Implantaten kann die Tribologie die Wechselwirkung zwischen Metall, Polymeren und Keramik aufzeigen und so zur weiteren Entwicklung von Implantaten beitragen.“ In eigens entwickelten „Tribosystemen“ können die Umgebungsbedingungen eines Gelenks simuliert werden. „Metallische Gelenke, aber auch Kombinationen mit Polymeren führen zu Biotribokorrosion, da die Stoffe nicht inert sind und der Fremdkörper Implantat vom Körper angegriffen wird.“ Ein bekanntes Phänomen dabei: das Lockerwerden eines Implantats. „Treiber der Zusammenarbeit waren die Chirurgen, die Ursachenforschung betreiben mussten, wenn ein Austausch des Implantats notwendig wurde. Diese sehr stabile Kooperation mit der Universität Krems über bisher geschätzte acht Projekte hat unsere Arbeitsgebiete im AC2T research nachhaltig erweitert“, so Franek. Ein aktuelles Projekt ist das CeraKnee, 3D-gedruckte Teilimplantate auf Keramikbasis. „Nebeneffekte“ der Tests: „Die tribologischen Tests zeigen Problemstellen und Gefahrenpotenziale auf, die vorher nicht bekannt waren.“ So seien die Unterschiede von 3D-gedruckten Implantaten zu herkömmlich industriell gefrästen Implantaten erkennbar. Dies könne langfristig zur Verbesserung von Produkten führen.

Tribologie auch für Biomaterialien

Biochemiker Heinz Redl kann der Tribologie einiges abgewinnen. „Das Biophysikalische ist unser zweiter großer Schwerpunkt“. So fließen in zahlreichen Forschungsprojekten Festigkeitstests und andere mechanische Eigenschaften beim Kreuzbandersatz mit ein. „Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass es Potenzial gibt, Weichteilgewebe, wie Faszien, die ja für das Gleiten im Körper zuständig sind und z. B. Nervenstränge umgeben, aus tribologischer Sicht zu analysieren. Was passiert bei Verklebung usw.?“

Dass derart ausgefeilte Forschung nur gemeinsam geht, darüber sind sich die Wissenschaftler_innen einig. „Im Cluster für Geweberegeneration sind inzwischen 32 Gruppen aus ganz Österreich, elf Universitäten und sogar aus Cluster-Zusammenarbeit heraus gegründete Unternehmen vertreten“, so Redl. Ziel ist, ein besseres Verständnis der Regeneration von Weichteilen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Knochen und Nerven und damit verbesserte Behandlungsmethoden zu entwickeln. So sollen beispielsweise Biomaterialien mit ihrem biologischen Original auch in der Funktion, Festigkeit und anderen Eigenschaften durch tribologische Testverfahren vergleichbar werden.


LAURA DE GIROLAMO

Dr.in Laura de Girolamo, studierte Biologie und ist derzeit Leiterin des Labors für Biotechnologie in der Orthopädie und des RE.GA.IN (Regeneratives Galeazzi-Institut) am IRCCS Galeazzi Hospital - Sant’Ambrogio. Ihr Interesse gilt der regenerativen Medizin für Gewebe des Bewegungsapparats.

HEINZ REDL

Univ.- Prof. Dr. Heinz Redl hat technische Biochemie an der Technischen Universität Wien studiert. Er leitete das Ludwig Boltzmann Institut für experimentelle und klinische Traumatologie (LBI Trauma) im AUVA Forschungszentrum seit 1998 und gründete für Industriekooperationen das Unternehmen Trauma Care Consult.

FRIEDRICH FRANEK

Univ.-Prof. Dr. Friedrich Franek ist Mitglied der Geschäftsführung und Key Researcher am Österreichischen Kompetenzzentrum für Tribologie (AC2T research GmbH) in Wiener Neustadt. Franek, der  Allgemeinen Maschinenbau studierte, war lange an der TU Wien tätig und baute ab 2002 maßgeblich die AC2T research GmbH auf.

ALEXANDER OTAHAL

Alexander Otahal, PhD MSc ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Regenerative Medizin an der Universität für Weiterbildung Krems, wo er am Department für Gesundheitswissenschaften, Medizin und Forschung tätig ist.

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