Friedrich Faulhammer, Rektor der Donau- Universität Krems, über die Bedeutung universitärer Weiterbildung für die Zukunft der Gesellschaft, den Stellenwert der Digitalisierung und die Vorhaben der Universität.

Interview: Roman Tronner

upgrade: Die Donau-Universität Krems wurde 2019 in den § 6 des Universitätsgesetzes 2002 aufgenommen. Welchen Stellenwert messen Sie dem bei?
Friedrich Faulhammer: Die Aufnahme ist ein wichtiges Signal hinsichtlich der Bedeutung von Weiterbildung als eines der zentralen Zukunftsthemen und gleichzeitig eine Bestätigung für den Weg der Donau-Universität Krems in den vergangenen Jahren sowie für ihre institutionelle Bedeutung im österreichischen Hochschulraum. 25 Jahre nach ihrer Gründung hat universitäre Weiterbildung eine hohe Sichtbarkeit erreicht.

Ist Weiterbildung heute demnach wichtiger als vor 25 Jahren zum Zeitpunkt der Gründung?
Faulhammer: Lebensbegleitendes Lernen als regelmäßige Aktualisierung von Wissen ist in der Arbeitswelt immer schon notwendig gewesen. Besonders spürbar wird das aber unter den sich heute sehr rasch verändernden Rahmenbedingungen. Rund 97 Prozent derjenigen, die sich in Österreich weiterbilden, bilden sich jedoch nicht an einer Universität weiter. Damit bleibt vieles an Potenzial und Wissen an den Universitäten für die Weiterbildung weitgehend ungenutzt.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass sich die Fokussierung von der Erstausbildung hin zu regelmäßiger Weiterbildung ändern soll. Als Universität für Weiterbildung vertreten wir die Auffassung, dass diese in viel stärkerem Maße an den Universitäten als wissenschaftliche Weiterbildung passieren soll. Denn Wissen, das sich berufstätige Studierende beispielsweise hier an der Donau- Universität Krems aneignen, kommt über deren Berufe und Arbeitsprozesse direkt in die Anwendung, viel schneller als bei der akademischen Erstausbildung. Das ist eine sehr gute Herangehensweise, um effektiv zu Innovationen zu kommen und direkte gesellschaftliche Wirksamkeit zu erzielen.

Warum ist es dabei so wichtig, Weiterbildung an Universitäten durchzuführen?
Faulhammer: Außeruniversitäre Institutionen verfügen in der Regel nicht über die gleichen organisationalen Merkmale wie Universitäten: zum Beispiel zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft beizutragen, wie es das Universitätsgesetz verlangt, weiters hohe Qualitätsstandards zu verfolgen oder auf die Einheit von Lehre und Forschung, Wesensmerkmal einer Universität, bauen zu können. Diese Einheit resultiert in forschungs- und evidenzbasiertem Wissen. Zugespitzt könnte man sagen: Die an den Universitäten durchgeführte Forschung macht den Unterschied zwischen wissenschaftlicher und außeruniversitärer Weiterbildung aus.

Wie sehen Sie die Zukunft der Weiterbildung?
Faulhammer: Wir haben dazu beispielsweise eine internationale Denkwerkstatt gemeinsam mit Wissenschafter_innen aus Amerika, Asien und Europa als Teil unserer Überlegungen zur digitalen Transformation eingerichtet. Dort werden wir nachdenken, wie wissenschaftliche Weiterbildung an Universitäten in Zukunft ausgestaltet sein soll. Eine Überlegung wäre, kleinteiliger zu werden, Programme niederschwelliger zu gestalten sowie noch mehr auf die Bedürfnisse der Studierenden einzugehen. Dazu ist eine stärkere Modularisierung der Lehre erforderlich, ebenso wie eine andere Organisation der Finanzierung von Weiterbildung in Richtung mehr öffentlicher Mittel. Aktuell ist Weiterbildung weitestgehend Privatsache. Es ist daher wichtig, zu einer stärkeren öffentlichen Finanzierung zu kommen, weil jeder investierte Euro mehrfach in Form von Innovation und höherer Wettbewerbsfähigkeit zurückkommt.

„Wir wollen das System Weiterbildung in Österreich stark weiterentwickeln.“

Friedrich Faulhammer

Die Donau-Universität Krems steht für Transdisziplinarität. Warum wurde dieser Ansatz gewählt?
Faulhammer: Es gibt starke Argumente dafür, dass die schwierigen, komplexen Fragen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Tage nicht monodisziplinär beantwortet werden können, sondern interdisziplinär. Transdisziplinarität geht noch einen Schritt weiter: In der Anwendung entsteht ebenso neues Wissen, dieses einzubeziehen in den wissenschaftlichen Prozess zur Bewältigung von Herausforderungen und zum Finden von Lösungen ist der Ansatz von Transdisziplinarität. Wir als Universität für Weiterbildung haben zusätzlich durch Vortragende aus Wirtschaft, Verwaltung und NGOs etc. sowie durch die berufstätigen Studierenden einen großen Vorteil, weil diese viel Wissen aus ihren Anwendungen mitbringen und damit einen hohen Wissens- und Kompetenztransfer bewirken. Wir entwickeln Transdisziplinarität auch methodisch weiter, um wesentliche Beiträge zur Bewältigung aktueller und zukünftiger gesellschaftlicher Herausforderungen zu leisten. Mit dem Ansatz der Transdisziplinarität hat die Donau-Universität Krems unter den Universitäten in Österreich, das kann man sagen, auf gesamtinstitutioneller Ebene ein Alleinstellungsmerkmal. Wir sehen uns als Hub der Transdisziplinarität in vielen Bereichen.

Heuer ist das Zieljahr der LLL:2020-Strategie. Welche Schritte müssten jetzt gesetzt werden, um das Konzept lebensbegleitenden Lernens  voranzutreiben?
Faulhammer: Relevant für eine neue nationale LLL-Strategie, für die es ja die europäischen Rahmendokumente bereits gibt, wird sein, wissenschaftliche Weiterbildung stärker zu verankern – hier werden wir uns als Universität für Weiterbildung sehr gerne einbringen; zum anderen, einen viel stärkeren Fokus auf die Umsetzung zu legen und dafür die Universitäten verstärkt in den Blick zu nehmen. Die Universitäten haben nämlich den Vorteil, an der Konzeption, der Umsetzung und durch begleitendes Monitoring in der Forschung an der LLL-Strategie mitwirken zu können. Dabei zeigt sich: Eine Evaluierung nach 10 Jahren wie bisher reicht nicht. Da braucht es kürzere Intervalle, wie in der Anfangsphase des Bologna-Prozesses, wo es eine politische Bewertung der Umsetzungsschritte gegeben hat und Gegensteuern möglich wurde. Das heißt für die LLL-Strategie: Neben einem klaren Zielbild und dem Evaluieren der umgesetzten Maßnahmen ist regelmäßiges Nachsteuern nötig. Im Programm der gegenwärtigen Bundesregierung ist Weiterbildung als Thema enthalten und eine Weiterentwicklung der LLL- Strategie festgelegt.

„Positive Wirkungen entfalten digitale Technologien, wenn sie reflexiv als soziale, kollaborative und selbstermächtigende Instrumente eingesetzt werden.“

Friedrich Faulhammer

Die österreichischen öffentlichen Universitäten stellen sich aktiv der Digitalisierung. Welche Akzente setzt die Donau-Universität Krems, vor allem in der Lehre?
Faulhammer: Innerhalb unseres strategischen Rahmens haben wir 2019 die Leitstrategie „Verstärkte Berücksichtigung digitaler Transformationsprozesse“ beschlossen. Die genannte Denkwerkstatt zur Zukunft der Weiterbildung ist beispielsweise Teil davon. In der Digitalisierung kann die Donau-Universität Krems von einem hohen Erfahrungsniveau im Umgang mit digitalen Bildungstechnologien anknüpfen, da ihr Einsatz Teil unseres Blended-Learning- Modells ist – die Verschränkung von Präsenz- und Online- Lehre. Wir wollen die Digitalisierung auch dafür nutzen, Prozesse neu zu definieren. Positive Wirkungen entfalten sich dabei vor allem dann, wenn Technologien reflexiv als soziale, kollaborative und selbstermächtigende Instrumente eingesetzt werden. Es geht nicht darum, alle Prozesse zu digitalisieren, sondern digitalen Wandel wohlüberlegt zu gestalten. Kritische Reflexion ist dabei sehr wichtig.
Aufgrund der guten Erfahrungen werden wir am Blended Learning festhalten. Die Studien an der Donau-Universität Krems bleiben eine Kombination von Präsenz- und Onlinelehre. Präsenzlehre ermöglicht zum Beispiel Diskussion und Diskurs besser als digitale Formen. Generell ist die Studienabbruchsrate bei reiner Online-Lehre höher. Digitale Technologien ermöglichen aber auch, den Begriff Örtlichkeit anders zu denken, denn der physische „Ort“ Universität sowie die Konzepte physischer Präsenz und Lokalität werden zukünftig neu zu definieren sein.

Die Arbeitswelt verändert sich, und mit ihr die Anforderungen an die Bildung. ExpertInnen diskutieren als Antwort Kurzprogramme, sogenannte „Micro-Credentials“. Wie agiert die Donau-Universität Krems in dieser Entwicklung?
Faulhammer: Wir verfügen bereits auch über Kurzprogramme, zum Beispiel Certified Programs. Mit der Modularisierung der Lehre gehen wir in die diskutierte Richtung, „kleinteiliger“ zu werden. Wobei: Kurzprogramme müssen selbstverständlich Substanz haben, denn es geht um Vertiefung, nicht um Abkürzung. Kleinteiligkeit setzt aber voraus, dass wir in Österreich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen nachziehen. Derzeit steht als Format der Weiterbildung nur der Universitätslehrgang zur Verfügung. Hier ist erfreulich, dass das Wissenschaftsministerium die Relevanz von Weiterbildung erkannt hat. Außerdem hat das Ministerium die Notwendigkeit von Adaptierungen des Universitätsgesetzes 2002 erkannt.
Neben der Frage geeigneter Formate geht es auch um die Finanzierung. Weiterbildung wird derzeit über Gebühren finanziert. Wollen wir Weiterbildung ausweiten, müssen wir über neue Wege der Finanzierung nachdenken. Die öffentliche Hand sollte nicht nur das Erststudium finanzieren, sondern auch in die Weiterbildung investieren. Das hätte positive Auswirkungen auf die Innovations- und Arbeitsmarktpolitik. Eine erfreuliche Entwicklung hier ist die Zusicherung des Wissenschaftsministeriums, dass künftig perspektivisch 50 Prozent des Budgets der Donau-Universität Krems aus dem Hochschulbudget kommen. Dies erlaubt nicht nur Weiterentwicklungen in der Forschung, die wesentlich und zentral sind, um noch stärker aktuelle Herausforderungen aufgreifen zu können, sondern beispielsweise auch, Stipendien für Studierende zu ermöglichen.

Die Donau-Universität Krems sieht sich als gesellschaftlich besonders wirksam. Was verstehen Sie darunter?
Faulhammer: Die gesellschaftliche Wirksamkeit wissenschaftlicher Weiterbildung zeigt sich vor allem in der Höherqualifikation von Individuen und Gesellschaft. Die Folge ist gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft. Wichtig ist also, dass mit der Weiterbildung Wissen direkt und innovativ in die gesellschaftliche Umsetzung kommt. Das konsequente Aufgreifen von gesellschaftlichen Herausforderungen in Lehre und Forschung ist eine weitere Facette von gesellschaftlicher Wirksamkeit. Ein weiterer Aspekt: Wir bieten nicht nur AkademikerInnen ab der Bachelorausbildung, sondern auch Menschen mit vergleichbarem Bildungs- und Kompetenzniveau beziehungsweise mit Berufserfahrung Zugang zu universitärer Weiterbildung. Das ist ein Beitrag zur sozialen Durchlässigkeit.

Wo sehen Sie die Donau-Universität Krems nach den kommenden fünf Jahren?
Faulhammer: Wir wollen das System Weiterbildung im österreichischen Hochschul- und Innovationsraum generell stark weiterentwickeln und dabei klar Themenführerschaft übernehmen. Wir wollen dies auch in der und für die Österreichische Universitätenkonferenz tun, bei der wir seit 2019 Mitglied sind. Wissenschaftliche Weiterbildung soll in fünf Jahren eine noch größere Rolle im Bildungssystem spielen. Ein weiteres Ziel bleibt die Intensivierung der Forschungsleistung, die weitere Steigerung der Qualität der Lehre sowie eine Verstärkung der forschungsgeleiteten Lehre. Weitere Ziele sind der Ausbau der PhD-Studien, ein erhöhter Frauenanteil in Führungspositionen sowie die Erweiterung der internationalen Aktivitäten und Kooperationen.

Abschließend, welche Rolle spielt Weiterbildung im Jahr 2050?
Faulhammer: Sie wird eine Schlüsselrolle in der Bildung und eine nicht wegzudenkende Stütze prosperierender Gesellschaften spielen. Weiterbildung wird dauerhafter und selbstverständlicher Teil des Erwachsenen- und Erwerbslebens sein und die Weiterbildung an einer Universität die  Regel, nicht die Ausnahme bilden.


Rektor Faulhammer

Mag. Friedrich Faulhammer ist seit 2013 Rektor der Donau-Universität Krems. Der studierte Jurist war davor Generalsekretär und Sektionschef im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und hat dort maßgeblich die österreichische und europäische Hochschulpolitik mitgestaltet. 2017 und 2018 fungierte Faulhammer als Präsident der Donau-Rektorenkonferenz, ein Netzwerk von rund 70 in den Ländern des Donauraums beheimateten Universitäten, 2018 wurde er in den Vorstand der Ludwig Boltzmann Gesellschaft sowie 2019 in den Vorstand des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa berufen.

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