Mitunter kann es lang dauern, bis Natur, Ressourcen und Umwelt zu einem Polit-Thema werden. Wenn das aber gelingt, verankern sie sich nachhaltig.

Von Cathren Landsgesell

Weihnachten 1984 war etwas Besonderes. In dem Winter erreichten die Proteste gegen den Bau eines Wasserkraftwerks in der Hainburger Au ihren Höhepunkt und leiteten die entscheidende Wende für den Erhalt der Auen ein. Kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember, musste Fred Sinowatz nach Wochen des Protests und harter Auseinandersetzungen den „Weihnachtsfrieden“ verkünden. Danach zogen weiterhin Tausende Menschen immer wieder in die Au und besetzten sie, bis der Verwaltungsgerichtshof Anfang Januar 1985 weitere Rodungen vorerst für unzulässig erklärte. „Ausschlaggebend war, dass das größte Printmedium des Landes das Thema mittrug“, sagt Monika Auer, Geschäftsführerin der Plattform ÖGUT. „Die Beteiligung der ‚Kronen Zeitung‘ hat jene emotionale Betroffenheit in der Bevölkerung erzeugt, die letztlich eine Richtungsänderung bei den Verantwortlichen angezeigt erscheinen ließ.“

Der Winter 1984/85 kann als ein Wendepunkt für Umweltpolitik und Demokratie in  Österreich gelten: Der Schutz der Umwelt wurde ein politisches Thema. Die Zivilgesellschaft verschaffte sich in der Hainburger Au Gehör und setzte sich schließlich durch – entgegen den Interessen der Regierung und der Wirtschaft. Heute prägen globale Klimaproteste den öffentlichen Diskurs; Klima, Umweltschutz und ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen sind selbstverständliche Themen der Politik. Doch wie nachhaltig haben sich Umweltthemen wirklich auf der politischen Agenda verankert? Wovon hängt es ab, ob sie sich durchsetzen können oder
nicht?

„Das ist nicht ganz leicht zu beantworten“, sagt Gerda Füricht-Fiegl. Die Politikwissenschafterin forscht und lehrt an der Donau-Universität Krems. Sie ist auf politische Kommunikation, insbesondere im Wahlkampf, spezialisiert. „Wir müssten zunächst wissen, was denn die politische Agenda eigentlich ist“, sagt sie. Der politische Diskurs wird im Wesentlichen durch drei Akteure bestimmt: die Politik – Entscheidungsträger, Parteien –, die Medien und die Zivilgesellschaft. Die Machtverhältnisse in diesem Dreiklang sind stetig Veränderungen ausgesetzt und haben sich in den letzten Jahrzehnten allmählich zugunsten der Zivilgesellschaft verschoben: „Realiter sind es natürlich nicht nur diese drei Gruppen, die das politische Agenda Setting bestimmen“, sagt Füricht-Fiegl. „Der Klimaschutz ist das Paradebeispiel für die Machtverschiebung, die im politischen Themenmanagement stattfindet. Es war lange so, dass die klassischen Medien als Gatekeeper funktionierten und, sehr vereinfacht gesagt, im Austausch mit der Politik bestimmten, was ein Thema ist und was nicht. Das verändert sich seit einiger Zeit: Die Zivilgesellschaft hat im Agenda Setting an Raum gewonnen. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Klimaschutz aktuell ein derart großes Thema ist.“

Die Machtverschiebung im Dreieck von Politik, Medien und Zivilgesellschaft wird augenfällig, betrachtet man die Wahlkampfthemen der beiden letzten Nationalratswahlen: 2019 war der Klimaschutz in den Umfragen deutlich das Thema Nummer eins, 2017 standen „Asyl und Integration“ noch ganz oben. „Dieser schnelle Wechsel ist beachtlich“, meint Füricht-Fiegl. „Er zeigt erneut, dass Politik und Medien die politische Agenda nicht mehr als Einzige dominieren.“

Klare einfache Botschaften

Aus kommunikationstheoretischer Sicht sind Umweltthemen mit klarer Botschaft besonders für das Agenda Setting geeignet: „Ein klares Bedrohungsszenario und alles, was Menschen sich konkret vorstellen können oder auch selbst erleben, macht die Kommunikation leichter“, sagt Monika Auer. „Also Botschaften wie ‚Der Wald stirbt‘, ‚Wir ersticken an Abgasen‘ oder ‚Das Trinkwasser ist kontaminiert‘.“

Ganz ähnlich interpretiert auch Franz Fischler den kommunikativen Erfolg, den aktuell die Fridays-for-Future-Bewegung hat. „Wenn Impulse aus der Zivilgesellschaft Erfolg haben sollen, brauchen sie Reibungsflächen“, sagt der Forum-Alpbach-Präsident und langjährige EU-Agrarkommissar. „Die spürbaren Folgen des Klimawandels sind eine solche Reibungsfläche. Die Dringlichkeit trägt dazu bei, das Thema auf der politischen Agenda zu halten.“

Der amerikanische Journalist Nathaniel Rich hat im Buch „Losing Earth“ nachgezeichnet, wie der Klimawandel 1979 auf die politische Agenda kam – und wieder verschwand. Bis 1989, zur ersten UN-Klimakonferenz, standen die Aussichten gut, einen verbindlichen internationalen Maßnahmenplan durchzusetzen. Der Treiber des Klimathemas waren in den USA zu der Zeit vor allem Verwaltungsbeamte und Wissenschafter. Sie konnten sich nicht durchsetzen.

Möglicherweise deshalb nicht, weil sie noch nicht den Rückhalt der Zivilgesellschaft hatten. „Politik ist sehr reaktiv“, sagt Fischler. „Wenn die Bevölkerung mobilisiert ist, muss die Politik reagieren.“ Damit die Politik aber reagieren kann, sei es wichtig, dass ein Thema nicht ideologisch überfrachtet werde. Die Biolandwirtschaft hätte heute nicht einen Anteil von 20 Prozent, wenn es nicht gelungen wäre, alle Beteiligten, unabhängig von ihrer politischen Meinung, mit ins Boot zu holen.

Ein anderer Grund für das Scheitern der Klimaakteure der 1970er-Jahre mögen die rationalen Argumente sein, mit denen sie damals versuchten, sich durchzusetzen: Folgt man Monika Auer, dann ist genau das eines der Probleme: „Alle Versuche, die Vernunft anzusprechen, Gefahren und Risiken zu antizipieren, erreichen meiner Beobachtung nach nur sehr wenige Menschen.“

„Die Zivilgesellschaft hat im Agenda Setting an Raum gewonnen. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Klimaschutz aktuell ein derart großes Thema ist.“

Gerda Füricht-Fiegl

Bürgerbeteiligung

Die Besetzung der Hainburger Au hat neben der Rettung des Ökosystems die verpflichtende Beteiligung von Bürgern bei Umweltverträglichkeitsprüfungen gebracht. Günter Liebel leitet die Sektion Umwelt und Wasserwirtschaft im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Auch dort, wo keine Bürgerbeteiligung gesetzlich vorgesehen sei, sei die Einbindung der Bevölkerung heute selbstverständlich geworden, meint er. „Bei großen Investitionsentscheidungen ist die Einbindung im Interesse aller Beteiligten, weil wir bemüht sind, ein möglichst gutes Umfeld zu schaffen“, sagt Liebel. „Ich bin mir sicher, dass die Bürgerbeteiligung in Zukunft noch wichtiger werden wird.“

Mitunter verschwinden Themen wieder aus dem öffentlichen Bewusstsein, etwa das Waldsterben oder auch die Verschmutzung von Seen und Flüssen durch Abwässer. Weg von der politischen Agenda sind sie damit nicht, weder bei den Akteuren, die diese Themen aufbrachten, noch bei den Behörden: „Wenn ein Problem gelöst wurde, besteht kein Grund mehr für Unzufriedenheit oder Protest“, sagt Liebel mit Verweis etwa auf das Abwassermanagement. „Dennoch ist und bleibt natürlich die Gewässerqualität ein wichtiges Gut und damit eine prioritäre Aufgabe.“

Vernetzung der Akteure

Kann man feststellen, seit wann die Zivilgesellschaft mehr Gewicht bekam? „Nein, es handelt sich um einen Prozess“, sagt Füricht-Fiegl. „Wir können Phasen unterscheiden und Einflüsse. Heute begünstigen unter anderem Internet und Social Media das Agenda Setting der Zivilgesellschaft und ermöglichen ihre globale Vernetzung.“

Die globale Vernetzung arbeitet Umweltthemen zu: Da Wasser und Luft an keiner Grenze haltmachten, seien internationale Vereinbarungen immer schon ein bedeutender Rahmen für die konkrete Arbeit gewesen, meint auch Liebel: „Das Umweltthema ist international.“

Umweltschutzorganisationen haben das bereits früh erkannt. Greenpeace etwa wandte sich schon bei der ersten Aktion 1971, gegen unterirdische Atomtests vor der Westküste Alaskas, an eine globale Öffentlichkeit. Die Insel Amchitka, um die es damals ging, ist heute ein Vogelschutzgebiet.

Auch die Wissenschaft hat heute ein anderes Standing gegenüber der Verwaltung. Die beschleunigte Wissensproduktion und neue Messmethoden haben Themen auf die Tagesordnung gebracht, die früher keine sein konnten. „Die Themenvielfalt ist exorbitant gewachsen“, meint Liebel. Mit der Themenvielfalt steigt auch der Bedarf an Austausch: Wirtschaft und Verwaltung sind für die ÖGUT wichtige Stakeholder und Auer stellt fest, dass der Bedarf an Vernetzung gestiegen ist. Für sie ist das ein Indiz, dass der Schutz der Umwelt sich fest auf der Agenda verankern konnte.


MONIKA AUER
Monika Auer ist die Generalsekretärin und Geschäftsführerin der ÖGUT, eines Kompetenzzentrums und einer unabhängigen Non-Profit-Plattform, die mehr als 100 Organisationen und Institutionen aus Wirtschaft, Verwaltung und Umwelt vernetzt mit dem Ziel einer nachhaltigen
Wirtschaft und Gesellschaft.

GÜNTER LIEBEL
DI Günter Liebel leitet die Sektion I, Umwelt und Wassermanagement des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus.

GERDA FÜRICHT-FIEGL
Gerda Füricht-Fiegl, PhD MSc ist Politikwissenschafterin und stellvertretende Departmentleiterin sowie Lehrgangsleiterin am Department für Wissens- und Kommunikationsmanagement der Donau-Universität Krems.

FRANZ FISCHLER
DI Dr. Franz Fischler ist seit 2012 Präsident des Europäischen Forums Alpbach. Er war von 1986 bis 1994 Landwirtschaftsminister in Österreich und von 1995 bis 2004 EU-Kommissar für Landwirtschaft und fungierte u. a. als Präsident des Ökosozialen Forums.

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