Ein Bericht zur Teilnahme an der 10th Ethnography and Qualitative Research International Conference.
Im Juli 2025 reiste Elisabeth Huber von der Universität für Weiterbildung Krems nach Trento, Italien, um im Panel 33 „Ethnographies of expert knowledges in mental health, neurodivergence, and disability“ Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt SPUR vorzustellen.
Die alle zwei Jahre stattfindende Konferenz bietet ein Forum, um ethnografische und qualitative sozialwissenschaftliche Methoden anhand von Beispielen aus der konkreten Forschungspraxis zu diskutieren. Im Panel 33, das sich dem Thema Erfahrungswissen zu psychischer Gesundheit, Neurodiversität und Behinderung widmete, wurden in vier Sessions insgesamt 26 Beiträge präsentiert.
Der Fokus des Beitrags über SPUR lag darin, aufzuzeigen, wie sich (theoretische) Annahmen über psychische Gesundheit, gemeinschaftliches Wohnen, respondierende Wohnumgebungen sowie Inklusion im Laufe des Projekts entwickelt und verändert haben und welche Rolle hierbei die drei Citizen Scientists im Projekt – Henriette Gschwendtner an der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten, David Neugschwentner an der FH St. Pölten und Christopher Tupy an der Universität für Weiterbildung Krems – gespielt haben. Die Einbeziehung von Erfahrungsexpert_innen als Co-Forschende, wie sie heute vielfach gefordert wird – siehe z.B. Link zum Positionspapier „Partizipation als Zu-Mutung: Problemdiagnosen und Handlungsempfehlungen zur Förderung partizipativer Forschung“ - war demnach Kern des Vortrags. Elisabeth Huber verwendete für ihren Beitrag Material aus den Protokollen von SPUR-Projekttreffen, Feldnotizen, schriftliche Beiträge und Präsentationen der drei Citizen Scientists, Transkripte von gemeinsamen Auswertungssitzungen sowie Auszüge aus Einzelinterviews mit den Citizen Scientists.
Der SPUR-Beitrag machte deutlich, wie das Konzept Recovery Eingang in das Forschungsprojekt fand und das Verständnis vom Umgang mit psychischen Krisen prägte. Die gelebten Erfahrungen in teilbetreuten Wohneinrichtungen im Forschungsteam waren wichtig, um das Ausmaß von Autonomie, Privatsphäre, Mitgestaltung und Gemeinschaftlichkeit in dieser Wohnform anhand von Beispielen besser zu erfassen. Co-Forschung bedeutet also auch, sich mit unterschiedlichen Herangehensweisen, Perspektiven und Erklärungsansätzen auseinanderzusetzen. Ein Mehrwert der Einbindung von Erfahrungsexpert_innen ist gegeben, da nicht nur ihr eigenes Wissen einfließt, sondern auch das Wissen aus der professionellen Begleitung von Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie das kollektive Wissen von Interessensgruppen und Selbsthilfeorganisationen, beispielsweise zu Fragen von Transparenz und Entscheidungsfreiheit im Bereich psychosoziale Versorgung. Co-Forschung mit Erfahrungsexpert_innen kann die Relevanz, Validität und Reflexivität in einem Forschungsprojekt merklich verbessern.
Die Bedingungen für Citizen Scientists müssen aber auch klar und attraktiv sein: Gefordert werden eine adäquate Aufwandsentschädigung, die Einbeziehung bereits in der Forschungsantragsphase, um Zielsetzungen und das Forschungsdesign des Projekts gemeinsam zu gestalten sowie mehr zeitliche Flexibilität und unterschiedliche Formen der Mitbestimmung und Mitarbeit im Forschungsprozess.
Der Austausch unter den Konferenzbeitragenden und Teilnehmenden vertiefte manche Themen noch weiter. Drei Vortragende – zwei davon aus Italien, eine aus den Niederlanden – behandelten ebenfalls die Rolle und das Selbstverständnis von Erfahrungsexpert_innen: Inwiefern können sie als Vermittler_innen im Spannungsfeld zwischen den Nutzer_innen von psychosozialen Angeboten und den Strukturen und Regelungen des Gesundheitssystems auftreten? Wie können Erzählungen von Erfahrungsexpert_innen ihr kritisches Potenzial erhalten? Und welche beruflichen Perspektiven haben Erfahrungsexpert_innen?
Ohne endgültige Antworten auf diese Fragen gefunden zu haben, bleibt SPUR bisher scheinbar eines der wenigen Forschungsprojekte, das Erfahrungsexpert_innen zu psychischer Gesundheit aktiv als Co-Forschende einbezieht. Wie sich diese Zusammenarbeit in den anstehenden Scenario Planning Workshops, weiteren Vorträgen und Publikationen sowie Schlussfolgerungen für Wissenschaft und Praxis auswirken wird, wird in den verbleibenden sechs Monaten des Projekts zu sehen sein.
Rückfragen
Weitere Informationen
Tags