Neue Vorschriften Europas sollen den Kontinent in Richtung Klimaneutralität führen. Damit verteuert sich klimaschädlicher Konsum, Betriebe sind in Sachen Nachhaltigkeit in der Pflicht. Doch steckt hinter den Auflagen auch unternehmerisches Potenzial?

Von Hanna Gabriel

Vielerorts sorgten die Landwirte zu Jahresbeginn mit Straßenblockaden für Aufsehen. Vor allem in Deutschland und Frankreich entlud sich ihr Unmut über Regulierungen aus Brüssel – auch solche, mit denen die EU bis 2050 klimaneutral werden will. Als die EU-Kommission daraufhin im Februar die Emissionsziele für 2040 vorschlug, verzichtete sie vor diesem Hintergrund auf eine geplante Vorgabe für den Agrarsektor, peilte aber insgesamt eine Reduktion um 90 Prozent an. Ob man es befürwortet oder nicht, die EU zieht die Daumenschrauben an. Diejenigen, die sich rechtzeitig umstrukturieren, können langfristig profitieren, sind sich Expert_innen einig.

Wettbewerbsvorteile durch grüne Strukturen

Mit dem „Green Deal“ will die EU bis 2050 den ersten klimaneutralen Kontinent schaffen. Dieses Vorhaben wurde im Europäischen Klimagesetz 2020 verankert und ist damit für künftige Regierungen bindend.

Dreh- und Angelpunkt ist der europäische Emissionshandel. Seit 2005 müssen bestimmte Unternehmen Zertifikate für den Ausstoß von Treibhausgasen erwerben, etwa der innereuropäische Luftverkehr, Industrieanlagen und neuerdings auch der Seeverkehr. Ab 2027 soll auch das Inverkehrbringen fossiler Energieträger in den Sektoren Gebäude, Verkehr und Kleinindustrie einbezogen werden. Dies betrifft zum Beispiel Unternehmen, die Diesel für Tankstellen auf den EU-Markt bringen.

In Hinblick darauf hat Österreich schon bei der Ökosozialen Steuerreform 2022 einen nationalen Emissionszertifikatehandel für die neu hinzukommenden Bereiche eingeführt. Die Zuständigkeit liegt bei einer eigens eingerichteten Dienststelle Amt für den nationalen Emissionszertifikatehandel im Zollamt Österreich, die Gabriel Neumayer leitet. „Mit dem System hat Österreich gemeinsam mit Deutschland eine Vorreiterrolle in Europa. Außerdem konnten wir die heimischen Unternehmen auf den Wechsel vorbereiten“, sagt der Experte für Emissionshandel. „Die Unternehmen merken, dass sie auf europäischer Ebene einen Vorsprung und damit einen Wettbewerbsvorteil haben.“

Wie entsteht der Preis für CO2?

Die Idee hinter Emissionszertifikaten ist simpel: Der Staat vergibt eine feste Anzahl von Zertifikaten, die zum Ausstoß von jeweils einer Tonne CO2 berechtigen (oder äquivalenten Mengen anderer Treibhausgase). Vergibt der Staat weniger Zertifikate, dann steigt deren Preis und Unternehmen und Verbraucher haben einen Anreiz, auf klimafreundlichere Alternativen umzusteigen.

Neben dem Emissionszertifikatehandel hat sich die CO2-Steuer als zweites System global durchgesetzt. Im Jahr 2021 wurde etwa ein Viertel der weltweiten CO2-Emissionen entweder über ein Emissionshandelssystem (19,5 Prozent) oder über eine CO2-Steuer (9,5 Prozent) bepreist. Letztere ist Neumayer zufolge zwar weniger aufwändig, aber auch weniger präzise, weil der Preis nicht vom Markt bestimmt wird. Das bestätigt auch Daniel Varro vom Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen der Universität für Weiterbildung Krems. „Ein weiteres Problem der Steuer ist, dass sie für die Unternehmen günstiger sein kann, als auf Alternativen umzusteigen oder zu teuer, sodass Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit verlieren oder abwandern. Beim Emissionshandel hat der Staat mit der Anzahl der Zertifikate einen sehr wirksamen Hebel“, erklärt der Professor für Steuerrecht und nachhaltige Steuerpolitik.

In Österreich ist derzeit eine Hybridvariante in Kraft. In einer ersten Phase werden die Zertifikatspreise schrittweise bis 55 Euro pro Tonne angehoben. Ab 2026 ist momentan vorgesehen den Preis dem Markt zu überlassen. Auch eine unkomplizierte Überleitung in den EU-weiten Emissionshandel wird diskutiert. Der ökologische Effekt soll spätestens dann eintreten, wenn die Konsument_innen die Kosten spüren und auf andere Energieträger umsteigen. In der Folge profitieren jene Unternehmen, die rechtzeitig auf Nachhaltigkeit umsatteln.

Ein Schubser für das Klima

Auffällig ist, dass die EU ihre Klimaziele mit ökonomischen Instrumenten erreichen will, statt klimaschädliche Praktiken zu verbieten. „Früher dienten Steuern in erster Linie dazu, Staatseinnahmen zu erwirtschaften. Heute hat das Steuerrecht eine immer stärkere Lenkungswirkung“, beobachtet der Steuerexperte Varro.

Eine andere Methode, klimafreundliches Verhalten zu fördern, ist das Nudging („Anstoßen“). Dabei wird die Entscheidung nicht durch finanzielle Mittel, sondern Informationen und die Betonung grüner Alternativen beeinflusst. Das kann bedeuten, dass regionale Produkte im Supermarkt sichtbarer platziert werden oder dass auf der Stromrechnung der eigene Verbrauch mit dem der Nachbarhaushalte verglichen wird. „Nudging soll dem Verbraucher die umwelttechnischen Konsequenzen des eigenen Konsums besser begreifbar machen und Bewusstsein schaffen, ohne Entscheidungen direkt vorzugeben“, so Neumayer.

Daniel Varro

„Früher dienten Steuern in erster Linie dazu, Staatseinnahmen zu erwirtschaften. Heute hat das Steuerrecht eine immer stärkere Lenkungswirkung.“

Daniel Varro

Mit offenen Karten spielen

Voraussetzung dafür ist, dass Außenstehende – Konsument_innen, Investor_innen, potenzielle Mitarbeitende und der Gesetzgeber – beurteilen können, wie gut oder schlecht ein Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit aufgestellt ist. Deshalb sind Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, jährlich über ihr Nachhaltigkeitsmanagement zu berichten. Dabei sind drei Säulen zu berücksichtigen: Umwelt, Soziales und Governance (Environmental, Social and Governance, ESG).

Gleichzeitig können die ESG-Berichte wichtige Erkenntnisse für das Unternehmen selbst liefern, betont Sanela Terko, Steuerberaterin und Partnerin bei der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft BDO Austria GmbH. Nachhaltigkeitsberichte hätten das Potenzial, bisher unbekannte oder vernachlässigte Faktoren aufzudecken, die das Unternehmen sowohl nachhaltig als auch wirtschaftlich voranbringen können.

Bis 2026 wird die ESG-Berichtspflicht von derzeit rund 100 auf schätzungsweise 2.000 Unternehmen ausgeweitet, darunter alle Großunternehmen und alle börsennotierten Unternehmen. Sie stehen nun vor der Herausforderung, sich in kurzer Zeit umzustrukturieren. „Wenn man solche Prozesse nicht rechtzeitig startet, werden sie umso aufwändiger und teurer“, warnt die Expertin. Frühe Vorbereitung zahlt sich aus – ebenso die Investition in Wissen.

Initiativen in Krems

Auch das Forschungsprojekt „Nachhaltiges Unternehmertum“ unter der Leitung von Daniel Varro will über die rein ökonomischen Aspekte hinausgehen und die Unternehmensgründung und -führung in einer Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem betrachten. Seine Vision ist ein ganzheitliches Unternehmertum, das erfolgreich, nachhaltig und lebenswert ist. Das interdisziplinäre Projekt ist in diesem Jahr angelaufen und wird vom Land Niederösterreich und der Wirtschaftskammer finanziert.

Darüber hinaus wurde an der Universität Krems mit dem neuen Weiterbildungsstudium „Angewandtes Finanzrecht“ das erste auf Steuer- und Zollrecht spezialisierte Studium an einer öffentlichen Universität eingeführt. „Die Idee war, gemeinsam mit der Finanzverwaltung ein Konzept aufzustellen, bei dem nicht die Studierenden zur Uni, sondern die Uni zu den Dienststellen der Finanzverwaltung kommt“, erzählt Varro, der zu den Initiatoren des Studiums gehört. Nach zahlreichen Bewerbungen haben sich 20 qualifiziert, die im März 2024 ihr Studium aufgenommen haben.

Allein ist nichts gewonnen

„Österreich hat sich in der Vergangenheit durch Unternehmergeist und zahlreiche Innovationen ausgezeichnet. Mit unseren Technologien, etwa in der Abfallwirtschaft oder in der Stahlproduktion, könnten wir anderen Ländern helfen, weniger CO2 auszustoßen“, betont Varro die Wichtigkeit, Know-how nicht nur innerhalb eines Unternehmens oder eines Landes zu verwerten. Denn langfristig reicht es nicht aus, wenn einzelne Länder oder auch die EU als Ganzes ihre Emissionen reduziert. Viel wichtiger wird es sein, eine globale CO2-Bepreisung einzuführen und Unternehmen von den Vorteilen einer grünen Umstrukturierung zu überzeugen.


GABRIEL NEUMAYER
Gabriel Neumayer, BSc leitet das Amt für den nationalen Emissionszertifikatehandel. Es ist im Zollamt Österreich als Teil des Bundesministeriums für Finanzen angesiedelt. Neumayer, der an der Wirtschaftsuniversität Wien studierte, war davor u.a. bis 2020 Fachreferent im Kabinett des Finanzministers.

DANIEL VARRO
Univ.-Prof. Mag. Mag. Dr. Daniel Varro, LL.M. forscht und lehrt am Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen der Universität für Weiterbildung Krems. Sein Fokus liegt auf der Nachhaltigkeit im Steuerrecht.

SANELA TERKO
Mag.a Sanela Terko ist Steuerberaterin und Partnerin von BDO Austria, Teil des internationalen BDO Netzwerks an Steuerberatungsunternehmen. Terko ist u.a. auf Prüfung und Beratung im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement und -berichterstattung spezialisiert.

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