Recht ist ein Grundpfeiler der Terrorismusbekämpfung. Dabei muss es einen Ausgleich zwischen Sicherheit und Freiheiten schaffen. Eine Abwägung, die nicht immer gelingt.

Von Milena Österreicher

Der Bahnhof Atocha 2004 in Madrid, der Konzertsaal Bataclan 2015 in Paris, der Weihnachtsmarkt 2016 in Berlin: Sie alle waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten Schauplätze von Anschlägen, die sich ins europäische Gedächtnis geschrieben haben. Die Bedrohung durch terroristische Gruppen ist in Europa zwar kein neues Phänomen, erreichte aber seit den Anschlägen am 9. September 2001 in den USA eine neue Dimension und zog etliche Maßnahmen nach sich.

Erst Anlass, dann Gesetz

Unter Terrorismus fallen unter anderem Straftaten, die zum Ziel haben, die Bevölkerung schwerwiegend einzuschüchtern oder Handlungen, die die Grundstrukturen eines Staates ernsthaft erschüttern oder zerstören. Gesetze zur Bekämpfung dieses Terrorismus entstehen meist anlassbezogen. In Europa beobachtete Terrorismusexperte Peter Neumann dies vor allem nach den Anschlägen 2004 in Madrid, bei denen fast 200 Menschen ums Leben kamen. „Danach gab es erstmals eine europäische Strategie zur Terrorismusbekämpfung und engere Zusammenarbeit“, sagt Neumann, der am Londoner King’s College sowie an der Universität für Weiterbildung Krems lehrt. Europol wurde gestärkt, später kam ein EU-Terrorismus-Koordinator hinzu.

Es brauche aber einen noch engeren Austausch auf europäischer Ebene. Viele der Attentäter aus dem Umfeld des Islamischen Staates agierten grenzübergreifend, so etwa bei den Anschlägen in Brüssel, Paris und Berlin. Auch der Attentäter in Wien hatte Mitstreiter in der Schweiz und in Deutschland, und besorgte seine Waffe in der Slowakei. „Deshalb ist es auch so wichtig, dass europäische Polizeibehörden und Nachrichtendienste diese internationalen Netzwerke aufbauen“, sagt Neumann. Ein Schengenraum mit offenen Grenzen bedinge, dass die Sicherheitsbehörden nahtlos miteinander zusammenarbeiten.

Auch in Österreich wurde nach dem Anschlag vom 2. November 2020 in Wien, der zu vier Toten und 23 Verletzten führte, im Rahmen des sogenannten „Anti-Terror-Pakets“ nachgeschärft. Für terroristische Straftäter_innen kann nun nach Haftentlassung eine elektronische Fußfessel zur Überwachung angeordnet werden. Ebenso kann die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen werden – außer die betroffene Person würde dadurch staatenlos werden. Zudem wurde ein eigener Straftatbestand für „religiös motivierte“ Verbrechen geschaffen.

Laut Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 geht die größte latente Gefahr von islamistisch motivierten Personen aus. Der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, Omar Haijawi-Pirchner, sprach bei der Präsentation des Berichts 2023 von einer mittleren zweistelligen Zahl von sogenannten Gefährdern unter Beobachtung. Auch im Bereich Rechtsextremismus gebe es eine zweistelligen Zahl an mutmaßlich gewaltbereiten Personen, in deren Umfeld die Polizei immer wieder Schusswaffen sicherstellte.

Immer Abwägung

Für Terrorismusexperten Nicolas Stockhammer, der an Universität für Weiterbildung Krems den Studiengang „Counter-Terrorism, CVE (Countering Violent Extremism) and Intelligence“ leitet, bestehen dennoch bis heute rechtliche Lücken, die es zu schließen gelte. Etwa im Bereich der verschlüsselten Messenger-Kommunikation, die über Anbieter wie Whatsapp oder Signal erfolgt.

Für Aufsehen diesbezüglich sorgte in den vergangenen Jahren die Debatte um einen sogenannten Bundestrojaner. Mittels Schadsoftware könnten Handys dadurch von staatlicher Seite gehackt werden, um die Kommunikation über verschlüsselte Messenger-Dienste mitzulesen. Der Verfassungsgerichtshof erteilte dem Vorhaben bereits 2019 eine Absage.

Nicolas Stockhammer

„Wir befinden uns bei der Terrorismusbekämpfung permanent in diesem Spannungsfeld zwischen Grundrechten. Es geht um Freiheiten und das Recht auf Sicherheit.“

Nicolas Stockhammer

„Man darf nach heutigem Gesetzesstand Telefongespräche abhören, aber nicht diese Art von Kommunikation. Das ist aus meiner Sicht unverständlich“, sagt Nicolas Stockhammer. Österreich sei hier in Europa ein Schlusslicht. „Wir befinden uns bei der Terrorismusbekämpfung permanent in diesem Spannungsfeld zwischen Grundrechten. Es geht um Freiheiten und das Recht auf Sicherheit“, sagt Stockhammer. Dies sei immer eine Abwägungsfrage. Nach einem erfolgten Anschlag, wenn die Täter_innen zuvor über einen Messenger-Dienst über ihre Pläne kommuniziert hatten, werde aber immer gefragt, warum die Behörden nicht eingegriffen hätten.

Behörden bekommen dennoch entscheidende Informationen, derzeit laut Experten vorwiegend von ausländischen Nachrichtendiensten. Dies gilt laut Peter Neumann generell für Europa: „In 90 Prozent aller Fälle kommen die Hinweise aus den USA.“ Durch US-amerikanische Informationen seien viele Anschläge in Europa verhindert worden. Es zeige eine gewisse Doppelmoral: Zum einen bediene man sich der Erkenntnisse ausländischer Nachrichtendienste. Zum anderen halte man den Datenschutz im eigenen Land hoch. „Man muss Strukturen schaffen, wo Missbrauch der Daten verhindert wird, aber dennoch ein Einschreiten ermöglicht wird, wenn Gefahr in Verzug ist“, sagt auch Nicolas Stockhammer. Es sei immer eine Frage der Abwägung, die man aber mit rechtsstaatlichen Mitteln bewältigen könne.

Datenschutz in der Luft

Ein weiteres Beispiel für den Zwiespalt ist die EU-Fluggastdatenspeicherung, die 2016 eingeführt wurde. Dabei werden 19 Datengruppen erfasst und gespeichert, etwa das Reiseziel, Reisepartner_innen, Telefonnummern, Zahlungsart oder Sonderwünsche beim Essen. Ursprünglich wurden die Daten fünf Jahre lang gespeichert, nach sechs Monaten der Klarname gelöscht. Die Daten werden von den Fluglinien an staatliche Stellen weitergeleitet und werden dann mit Informationssystemen der Polizei sowie dem Schengener Informationssystem abgeglichen. Anhand der Daten sollen auch bisher unbekannte Straftäter_innen mittels Muster von Algorithmen erkannt werden.

Peter Neumann

„Nach den Anschlägen von Madrid gab es erstmals eine europäische Strategie zur Terrorismusbekämpfung.“

Peter Neumann

Die österreichische Datenschutz-NGO epicenter.works kritisierte damals, dass in der EU-Richtlinie einige Aktivitäten als Vorläufer des Terrorismus unter Strafe gestellt werden, die die Meinungs-, Informations- und Reisefreiheit  etwa im Falle von Journalist_innen, humanitären Organisationen oder Künstler_innen beschneiden könnten. Zu diesen Aktivitäten zählen etwa die öffentliche Äußerung radikaler Ansichten, Schulungen oder Reisen in Konfliktgebiete.

Der Europäische Gerichtshof stellte 2022 fest, dass die EU-Richtlinie ein „System kontinuierlicher, nicht zielgerichteter und systematischer Überwachung“ schaffe und es sich um schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte der Flugreisenden handle. Sie müsse eng ausgelegt und die Befugnisse der Behörden auf das absolut Notwendige begrenzt werden. Die Daten werden nun nur mehr ein halbes Jahr gespeichert.

Klare Definition

Die Rechtsphilosophin Herlinde Pauer-Studer gibt bei Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zu bedenken, immer klare Definitionen zu finden. Manchmal erscheinen verschiedene Aktivitäten fließend ineinander überzugehen, etwa zwischen zivilem Ungehorsam und terroristischen Aktivitäten. „Ein klar definierter Tatbestand ist gerade in diesem Bereich so wichtig“, sagt Pauer-Studer, früher Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Wien. Autoritäre Regime würden dazu tendieren, zivilen Ungehorsam komplett zu unterbinden und jede Form legitimen Widerstandes sofort als Staatsterror zu definieren und zu sanktionieren.

Ziviler Ungehorsam deute oft auf Missstände hin, wie etwa am Beispiel der Klimaprotestaktionen ersichtlich sei. Aktionen zivilen Ungehorsams überschritten zwar auch die Grenzen des rechtlich Erlaubten, würden sich aber auf den symbolhaft verstärkten Ausdruck von politischem Protest beschränken und keine Verletzung anderer Personen beinhalten. Terror hingegen ziele durch massive gewaltsame Übergriffe auf einzelne Personen auf die Verbreitung extremer Angst und Unsicherheit in der Zivilbevölkerung.

In Österreich wünscht sich Pauer-Studer mehr Sachargumente in den Debatten: „Ich habe den Eindruck, dass der Diskurs beim Thema Terrorismus relativ rasch in Parteipolitik abgleitet“. In Demokratien müsse jedenfalls die Möglichkeit zivilen Ungehorsams bestehen, ohne unter Terrorismusverdacht zu fallen.


PETER NEUMANN
Univ.-Prof. Dr. Peter Neumann ist Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London und leitete von 2008 bis 2028 das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR). Er lehrt an der Universität für Weiterbildung Krems.

NICOLAS STOCKHAMMER
Dr. Nicolas Stockhammer ist Politikwissenschaftler mit dem Fokus auf Sicherheitspolitik, Extremismus- und Terrorismusforschung. Er leitet den Studiengang „Counter-Terrorism, CVE (Countering Violent Extremism) and Intelligence“ an der Universität für Weiterbildung Krems.

HERLINDE PAUER-STUDER
Dr.in Herlinde Pauer-Studer war Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Wien und ist derzeit im Rahmen eines Humboldt-Forschungspreises an der LMU München tätig. Sie war Leiterin des Projekts „Verzerrungen des Normativen“ des Europäischen Forschungsrats.

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