Die Welt zu hinterfragen ist der große Antrieb von Gabriel M. Lentner. Der Jurist forscht zu Fragen des internationalen Wirtschaftsrechts und vertieft sich privat in große Literatur.

Von Markus Mittermüller

Die Frage eines Kindes, warum der größere Bruder ein größeres Eis bekommt, kann mitunter weitreichende Auswirkungen haben. „Ich habe zwei ältere Brüder und da war die Frage der Gerechtigkeit für mich schon früh sehr wichtig“, erinnert sich Gabriel M. Lentner. Dass er später Rechtswissenschaften studieren wird, war daher bald klar. „Im Rückblick etwas naiv, sah ich den Schlüssel zur Gerechtigkeit darin, das Recht zu kennen. Die Frage, was ‚Recht‘ ist und was ‚Gerechtigkeit‘, hat mich fasziniert“, sagt Lentner. Heute ist er Assistenzprofessor für Internationales Recht und Schiedsgerichtsbarkeit an der Donau-Universität Krems – und nicht Richter, so wie es sein erster Berufswunsch war. „Meine Leidenschaft ist, alles in Frage zu stellen und verstehen zu wollen, warum die Welt so ist, wie sie ist“, so der Forscher.

Grenzen des Rechts

Besonders einschneidend und prägend war für Lentner in diesem Zusammenhang eine Erfahrung im Ausland. Direkt nach dem Jus-Diplomstudium an der Universität Wien ging er zum Zivildienst ein Jahr in die USA und arbeitete in einem Holocaust-Museum in Virginia. Lentner: „Ich habe dort Führungen gemacht und mich mit der Geschichte von Holocaust-Opfern und Überlebenden beschäftigt. Dabei habe ich gesehen, dass das Recht auch an seine Grenze stoßen kann und es Bereiche gibt, in denen dem Recht nicht zum Durchbruch verholfen werden kann.“

Für seine Dissertation an der Universität Wien untersuchte er das Verhältnis vom Internationalen Strafgerichtshof zum UNO-Sicherheitsrat und erforschte dabei die Rechtsfolgen aus dem Zusammenspiel des Rechts der internationalen Organisationen und des Völkerstrafrechts. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt an der Donau-Universität Krems ist allerdings das Wirtschaftsvölkerrecht, mit Fokus auf dem Investitionsschutzrecht. Dieses Recht schützt die Kapitalanlagen ausländischer Investoren vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen durch die Gaststaaten, beispielsweise vor entschädigungsloser Enteignung. „Das Investitionsschutzrecht bietet – im Gegensatz zum Völkerstrafrecht – sehr effektive Durchsetzungsmechanismen. Und es hat interdisziplinäre Züge, da man auch die Ökonomie verstehen muss“, erklärt der Jurist.

Debatte um Markenrechte

Ein bekanntes Beispiel, mit dem sich Lentner in diesem Zusammenhang auseinandergesetzt hat, ist der Fall rund um Philip Morris. Der Tabakkonzern hat Uruguay und Australien geklagt, da beide Staaten Initiativen für den Gesundheitsschutz umgesetzt haben, um Rauchen unattraktiv zu machen. So hat Australien im Jahr 2011 per Gesetz veranlasst, dass Zigaretten in Verpackungen mit großen Warnhinweisen versehen werden und Markenlogos nur eingeschränkt verwendet werden dürfen. Der Konzern hatte auf Grundlage eines Investitionsschutzabkommens zwischen Hongkong und Australien dagegen geklagt und unter anderem argumentiert, das Gesetz verletze seine Eigentumsrechte an den Markenlogos und das käme einer Enteignung gleich. „Diese Frage war neu. Hier geht es um den Schutz geistigen Eigentums im Investitionsrecht, das ist genau mein Spezialgebiet“, sagt Lentner. Ein internationales Schiedsgericht entschied gegen Philip Morris. Der Tabakkonzern scheiterte ebenfalls bei seiner Klage gegen Uruguay.

Auch bei CETA und TTIP spielten Investitionsschutzverträge mit hinein. Lentner: „Hier ging es um die Frage, ob es legitim ist, ausländischen Investoren derartige Sonderrechte einzuräumen.“

Wie sehr das Investitionsschutzrecht sich auf das alltägliche Leben jedes Einzelnen auswirken kann, zeigt sich vor allem im Bereich Klima- und Umweltschutz. „Solche Verfahren kosten im Durchschnitt fast zehn Millionen US-Dollar, und sollte ein Staat unterliegen, werden teilweise spektakuläre Entschädigungssummen zugesprochen – bis hin zu Beträgen in Milliardenhöhe. Vor einem Schiedsgericht ist der Ausgang nicht immer leicht abzuschätzen. Große Konzerne sind hier gegenüber kleineren Staaten oft im Vorteil“, erklärt der Forscher. Daher bestünde die Gefahr, dass Staaten wegen eines zu hohen Klagsrisikos weniger ambitionierte Maßnahmen für den Klima- und Umweltschutz ergreifen. Derzeit hat etwa der Energiekonzern RWE die Niederlande wegen des beschlossenen Kohleausstiegs geklagt. Auch Fragen wie diese werden von Lentner kritisch untersucht.

„Das Investitionsschutzrecht bietet – im Gegensatz zum Völkerstrafrecht – sehr effektive Durchsetzungsmechanismen.“

Gabriel M. Lentner

Freiräume für die Forschung

Dass der Jurist nach seiner Rückkehr aus den USA an die Donau-Universität Krems gekommen ist, bezeichnet er als großes Glück: „Ich habe mich von Beginn an gleich wohl gefühlt und viele Freiräume für meine Forschung bekommen.“ Auch die Lehre unterscheidet sich maßgeblich von anderen Unis. „Viele Studierende haben bereits Berufserfahrung. Sie stellen besonders spannende Fragen und wollen alles genau wissen“, sagt Lentner.

Zur Entspannung macht der Jurist zwar weniger Musik als noch in seinen Jugendjahren. Neben seinen Leidenschaften Reisen und Wandern vertieft er sich aber gerne in die Literatur. „Ich genieße es, ohne Forschungsbezug einfach zu lesen. Kürzlich habe ich Elfriede Jelinek wiederentdeckt. Ihr Stil ist einfach unvergleichlich“, so Lentner.


Gabriel M. Lentner

GABRIEL M. LENTNER
Ass. Prof. Dr. Gabriel M. Lentner ist stv. Leiter am Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Donau-Universität Krems. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und forschte an den Universitäten Cambridge, Harvard und Stanford. Sein Schwerpunkt in der Lehre liegt im Investitionsschutzrecht, Schiedsgerichtsbarkeit und Streitbeilegung. Er ist Träger des Wissenschaftspreises des Landes Niederösterreich 2020.

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