Jahrhundertelang bestimmten Umfang und Auserlesenheit einer Sammlung den Rang eines Museums. Bestandsaufbau galt dabei als vornehmste Aufgabe. Doch welchen Stellenwert haben heute die klassischen Aufgaben Sammeln, Forschen und Bewahren?

Von Ute Strimmer

 

Von außen betrachtet erscheinen Museen als zeitlose Einrichtungen. Doch auch sie sind einem permanenten Veränderungsdruck ausgesetzt. Denn der schleichende staatliche Rückzug aus der Kulturfinanzierung und die daraus resultierenden ökonomischen Zwänge, die Einflüsse der Globalisierung und Digitalisierung, vor allem von Internet und sozialen Medien, verändertes Konsumverhalten und die hohen Ansprüche der Besucher wirken sich auf  die Welt der Museen aus. Die Erwartungen sind heute so hoch wie noch nie: Doch wenn das Museum den enorm gestiegenen Anforderungen in Bezug auf Wirtschaftlichkeit und Attraktivität ausgesetzt ist, treten dabei die zentralen musealen Aufgaben – Sammeln, Forschen und Bewahren – in den Hintergrund?

Dass die auf eine jahrhundertelange Tradition blickende Institution generell vor der Herausforderung steht, ihre Relevanz für die Gesellschaft und den Platz darin zu behaupten, betont Anja Grebe, Universitätsprofessorin für Kulturgeschichte und Museale Sammlungswissenschaften an der Donau-Universität Krems. „In den letzten Jahrzehnten haben sich weltweit die Arbeitsschwerpunkte von Museen sehr stark von ,Sammeln und Bewahren’ auf ,Ausstellen und Vermitteln’ verschoben,“ erklärt die habilitierte Kunst- und Kulturhistorikerin. „Diese Entwicklung fing in den 1980er Jahren an mit dem Ziel, das Museum für breitere Bevölkerungsschichten zu öffnen. Das führte auf längere Sicht dazu, dass man darüber die anderen Aufgaben vernachlässigte, was sich nicht zuletzt in stark reduzierten Budgets dieser Bereiche abbildet.

Die Wiener Albertina zum Beispiel, eines der weltweit berühmtesten Museen, hat einen Jahresankaufsetat von rund 500.000 Euro. Die Sammlung umfasst vor allem Arbeiten auf Papier, die nicht ganz so hochpreisig sind wie Gemälde oder Skulpturen, aber dennoch steht dieser Betrag in keiner Relation zur Bedeutung des Hauses und seinem gesetzlich verankerten Auftrag des Sammelns.“ Ähnlich schwierig sieht es aus mit Maßnahmen für die Sammlungspflege oder das Erforschen der Sammlungsbestände, erläutert die Professorin. „Gerade diese Bereiche sind jedoch besonders wichtig, um ein Haus aktiv zu halten und aus sich selbst heraus neue Zugänge zu den Objekten zu entwickeln. Der Etat für das Ausstellungsbudget ist dagegen meist um ein Vielfaches höher angesetzt. Sammlungsaufbau und -pflege – hier spielen auch die Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen sowie die Einrichtung von Depots mit hinein – stehen somit budgetmäßig in keinem Vergleich zum ,Ausstellen und Vermitteln’.“

 

Kleinere Museen entsammeln
Dramatisch ist die Situation aktuell bei kleineren Museen. „So sind derzeit etwa in der Steiermark Museen von Schließungen bzw. von Verkäufen bedroht“, führt die Expertin weiter aus. „Ganze Sammlungen sollen aufgelöst werden, weil man keinen Sinn mehr in ihrem Unterhalt sieht.“ Das ist aber nicht nur ein Phänomen in Österreich. Vielmehr wird international diskutiert, warum man im Zeitalter der Digitalisierung Sammlungen überhaupt erhalten soll, wenn Kulturgut auch virtuell in 3D-Qualität aus allen nur erdenklichen Perspektiven betrachtet werden kann. „Ich sehe es als Aufgabe, gemeinsam mit dem Zentrum für Museale Sammlungswissenschaften in Krems dem sogenannten Entsammeln (Deakzessionierung) entgegenzuwirken und hier zu sensibilisieren, auf die Bedeutung von Sammlungen aufmerksam zu machen und daran zu arbeiten, dass man Museen wieder als Forschungs- und Wissenschaftszentren wahrnimmt.“

„Die Museum- und Archivwelt war auf die schnelle Entwicklung der Medienkunst nicht vorbereitet.“

Oliver Grau

Medienkunstwerke bedroht
Wie grundlegend die digitale Revolution die Entstehung, Dokumentation, Analyse und Bewahrung des kulturellen Erbes verändert, damit beschäftigt sich Oliver Grau, Leiter des Departments für Bildwissenschaften an der Donau-Universität Krems. Jüngst hat der Professor das Standardwerk „Museum on the Move“ (de Gruyter 2017) herausgebracht, das die Auswirkungen dieser Transformation thematisiert. Wie müssen Museen und Archive den Herausforderungen digital erzeugter Kunst begegnen und wie beeinflusst die digitale Revolution die traditionelle Objektsammlung, Forschung und Bildung? Nicht mehr nur in Fachkreisen ist bekannt, dass die Medienkunst – sie ist noch sehr selten in Kunstmuseen präsent – noch seltener erhalten wird.

Diese Situation ist bedenklich, denn wir verlieren die gesamte digitale Kunst der letzten Dekaden – sie existiert seit etwa 50 Jahren und wird vorwiegend auf Festivals, zum Beispiel auf der Ars Electronica in Linz, gezeigt. „Als Faustregel gilt: Was älter als zehn Jahre ist, ist in der Regel nicht mehr zeigbar, nicht mehr aufführbar“, erklärt der Kremser Kunsthistoriker und Medientheoretiker. „Das ist demokratiepolitisch ein erhebliches Problem. Denn Medienkunst reflektiert die Themen unserer Zeit – Überwachung, Klimawandel, die Virtualisierung der Finanzmärkte und die Biorevolution.“ Aktuell sind die Museen jedoch kaum in der Lage, das technische Know-how dafür zu entwickeln. „Die Kunstwerke sind komplex und Museumsleute fürchten einen Technopark einrichten zu müssen, für den sie nicht genügend Personal haben. Doch die Software kann man zum Beispiel durch Emulation auf den aktuellen Level bringen“, rät Oliver Grau. „Hinsichtlich der Hardware muss man nicht alte Maschinen aufbewahren, sondern nach Absprache mit den Künstlern werkgerecht bleiben. Bei interaktiven Installationen wäre das Interface zu bewahren.“ Die Medienkunst hat sich in den letzten Jahren schnell entwickelt. „Die Museum- und Archivwelt war nicht darauf vorbereitet.“ In Deutschland ist noch allein das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe in der Lage, digitale Kunst zu erhalten. „Das ZKM hat jedoch nur eineinhalb Stellen, um Videos zu digitalisieren und keine Ressourcen, um eine repräsentative Sammlungspolitik zu betreiben“, unterstreicht Oliver Grau.

„In den letzten Jahrzehnten haben sich weltweit die Arbeitsschwerpunkte von Museen sehr stark von ,Sammeln und Bewahren’ auf ,Ausstellen und Vermitteln’ verschoben.“

Anja Grebe

Vorbild USA
Ein Konzept für die Erhaltung hat der gut vernetzte Professor mit über 400 internationalen Wissenschaftlern initiiert: „Nicht alle unsere Institutionen müssten sich wandeln, lediglich einige sich im deutschsprachigen Raum zu einem Kompetenznetzwerk zusammenschließen, um wenigstens die wichtigsten Werke digitaler Kunst zu bewahren und dafür die technischen und kunsthistorischen Fragen klären.“ Ein Vorbildmodell dazu existiert schon in den USA: New Yorker und kalifornische Museen, wie etwa das San Francisco MoMA oder das Withney Museum of American Art haben sich zum Ankauf digitaler Kunst bereits zusammengeschlossen.

 

Sammlungsgruppe ,Software’
Die Erhaltung digitaler Objekte ist am Technischen Museum in Wien ebenfalls ein Forschungsdesiderat, weiß Martina Griesser-Stermscheg, die Abteilungsleiterin jener Sammlungen. „Wir sammeln zwar fallweise die Software zu unserer Hardware, sind aber noch weit davon entfernt, eine eigene Sammlungsgruppe ,Software’ zu gründen. Das ist vor allem eine Frage des Know-hows. Die nächste Generation steht schon in den Startlöchern: Die Hochschulen bilden in diese Richtung immer mehr aus.“ Wesentlich für jedes Sammlungskonzept – und damit auch für die aktive Weiterentwicklung des Bestandes – ist eine auf die Zukunft ausgerichtete Strategie. „Wir aktualisieren unsere Dauerausstellung laufend“, berichtet Martina Griesser-Stermscheg. „Unsere Ausstellungsstrategie besteht darin, in den neuen Ausstellungsbereichen mehr als die Hälfte zeitgenössische Produkte zu zeigen, d.h. diese nicht nur aus der historischen Sammlung zu bestücken.“
Griesser weiter: „Grundsätzlich arbeiten wir bei unseren Neuzugängen auf zwei Ebenen: Wir untersuchen ihre Verwertbarkeit für die Dauerausstellung und betreiben Objektforschung, auch wenn die künftige Bedeutung der Objektese vielleicht heute für das heutige Publikum noch gar nicht so relevant ist. So sammeln wir zum Beispiel nicht nur Lokomotiven und Autos, sondern verfolgen die aktuellen Entwicklungen in der Mobilitätsforschung. Die klassischen Verkehrsträger, Schiene, Straße, Luft wandeln sich: Heute geht es um intermodalen Verkehr, um die Kombination verschiedener Verkehrsmittel innerhalb einer einzigen Reisekette.“

Museen im Internetzeitalter stehen also vor vielen neuen Herausforderungen: Inszenierung wird verlangt, die materielle Zusammensetzung vieler Objekte ist komplexer und damit konservatorisch anspruchsvoller geworden. Der starke Wandel dieser Rahmenbedingungen zwingt die Institution zur kritischen Reflexion und Neuorientierung. Die Forschung sollte aber immer unverzichtbare Grundlage bleiben.


Dr. Ute Strimmer ist verantwortliche Redakteurin der deutschen Fachzeitschrift Restauro


Anja Grebe
Univ.-Prof. Dr. Anja Grebe hält an der Donau-Universität Krems die Universitätsprofessur für Kulturgeschichte und Museale Sammlungswissenschaften und ist Stv. Leiterin des Departments für Kunst- und Kulturwissenschaften. Grebe Französischen Literatur, Geschichte und Kunst- und Medienwissenschaft an der Universität Konstanz und der Université Paris-Sorbonne.

 

Oliver Grau
Univ.- Prof. Dr.habil.Dr.h.c. Oliver Grau, MAE leitet das Department für Bildwissenschaften, Lehrstuhl für Bildwissenschaften. Er ist Inhaber des ersten Lehrstuhls für Bildwissenschaften im deutschen Sprachraum. Sein jüngstes Buch „Museum on the Move“ (de Gruyter 2017) thematisiert die digitale Transformation von Museen.

 

Martina Griesser-Stermscheg
Mag. Dr. Martina Griesser-Stermscheg ist Leiterin der Abteilung Sammlungen im Technischen Museum Wien. Sie studierte Konservierung und Restaurierung an der Universität für angewandte Kunst Wien. Sie forscht zu den Themen Museologie, Museums- und Ausstellungsgeschichte, Museumspraxis und Wissensproduktion.

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