Museen taten sich in der Vergangenheit schwer, digitale Werkzeuge und Methoden einzuführen. Die Digitalisierung ihrer Sammlungen ist dabei ein zentraler Hebel. Wie stark haben museale Institutionen die Lockdowns für diese Hebelsetzung genützt und wie sehen heute digitale Sammlungsstrategien aus?

Von Ute Strimmer

Weltweit waren Museen durch die pandemiebedingten Schließungen mit einem plötzlichen Ausfall ihres Besucher_ innenbetriebs konfrontiert. Sie wurden gleichsam über Nacht auf ihre wissenschaftliche und forschende Funktion limitiert. Eine Situation, die viele Häuser sehr rasch als Chance ergriffen, die Digitalisierung von Sammlungen durch eine Bündelung der Kräfte eilig voranzutreiben und damit zu versuchen, Menschen zumindest digital ins Museum zu bringen und als Kulturinteressierte zu halten.

Auch Armin Laussegger, Leiter der Landessammlungen Niederösterreich und tätig an der Universität für Weiterbildung Krems, hat in den vergangenen zwei Jahren die Arbeit an der Sichtbarmachung der Sammlungen intensiviert. „Mit dem unseren Einrichtungen zugrundeliegenden Forschungsund Bildungsauftrag standen wir im Jahr 2020 in der Verantwortung, vor allem die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung für den Zugang zu den musealen Sammlungsbeständen des Landes Niederösterreich und für die Vermittlung unserer Arbeit zu nutzen“, erklärt der Sammlungs- Experte. „Das konnten wir rückblickend mit erstaunlicher Geschwindigkeit schaffen. Die Umsetzung der Online-Sammlung samt Implementierung eines Visualisierungskonzepts sowie die Podcast-Reihe ‚CollectCast NÖ‘ auf YouTube mit einer Vorstellung unserer Sammlungsbereiche und Arbeitsfelder zählen zu den besonderen Leistungen des vergangenen Jahres.“ Gemeinsam mit seinem Team gelang es ihm, bis Ende 2020 mit einer großen Auswahl aus den Beständen online zu gehen. Die Pandemie habe die Bemühungen, die digitale Präsenz auszubauen, beschleunigt und damit die Sichtbarkeit der wissenschaftlichen Arbeit erhöht, erläutert Armin Laussegger. Über 40.000 Datensätze von musealen Objekten aus den Landessammlungen stehen jetzt der Öffentlichkeit zur Verfügung und werden fortlaufend erweitert. „Durch die Kooperationen mit vielen Partnern haben wir noch besser verstanden, was wir brauchen, um die vielen Möglichkeiten der digitalen Zukunft noch besser nutzen zu können“, erläutert Laussegger. „Aus meiner Sicht müssen wir jetzt unsere Datenbanken und Datensätze mit einer verstärkten Verwendung von Normvokabularen, Thesauri und Normdaten fit machen. So können wir sicherstellen, dass unsere Daten nicht nur als Insellösung gut aufgestellt sind, sondern auch für eine Maschinenlesbarkeit unserer Daten sorgen, die es uns ermöglicht, für eine Verknüpfung mit anderen Datenbanken bereit zu sein.“ Armin Laussegger setzt damit auf die Interoperabilität der Daten. „Datenbanken, die von unterschiedlichen Institutionen aufgesetzt werden, schaffen es so, über technische Schnittstellen miteinander zu kommunizieren.“ Qualität und Vernetzung der Daten stehen damit in Niederösterreich im Fokus. Die Objektdatenbanken sind als zentrale Werkzeuge der Museumsarbeit ausgelegt. Sie sind ein enormer Wissensspeicher mit besten – momentan nur internen – Recherchemöglichkeiten. Dieser Datenpool kann künftig auch einer größeren interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. „Ich sehe hier großen Mehrwert für die Wissenschaft: zum einen durch einfachen Zugang zu wissenschaftlichen Daten aus musealen Sammlungen, zum anderen durch neue Fragestellungen in der Forschung. Dies unterstützt nicht zuletzt auch die Sichtbarkeit der Museen als wissenschaftliche Einrichtungen.“

„Objektdatenbanken sind als zentrale Werkzeuge der Museumsarbeit ausgelegt. Sie sind ein enormer Wissensspeicher.“

Armin Laussegger

Boost für Digitalisierung

Dass Corona ein Boost für die Digitalisierung von Sammlungen war, bestätigt auch Gerda Ridler, ab 1. Januar 2022 die neue Künstlerische Leiterin der Landesgalerie Niederösterreich. „Mit Sicherheit war die Pandemie ein Auslöser dafür, dass in Museen neue digitale Formate ersonnen wurden. Ausstellungsführungen, Kunstgespräche oder Eröffnungen wurden online angeboten, um das Publikum trotz geschlossener Institutionen an musealen Angeboten teilhaben zu lassen“, sagt die Kunsthistorikerin. Auf diese Weise hätten viele Menschen erreicht werden können. Auch solche, für die ein persönlicher Museumsbesuch aufgrund zu weiter Entfernung vielleicht nicht möglich gewesen wäre, erläutert die Museumsexpertin. Denn der digitale Raum eröffnet unbegrenzte Reichweiten: „Die digitalen Angebote sind für Museen ein willkommenes und notwendiges Format, um ihren Wirkungsraum zu vergrößern und auf diese Weise ihrer Aufgabe der Vermittlung von Kunst bestmöglich nachzukommen. Dabei ist es wichtig, nicht nur bestehende analoge Formate in eine Onlineversion zu transferieren, sondern längerfristig einsetzbare Projekte und eine Vernetzung von Inhalten zu entwickeln, die die Vorzüge des Digitalen nutzen und gegenüber dem analogen Besuch keine ‚Konkurrenz‘ darstellen.“ Bei der Idee, Wissen zu teilen, spielten mittlerweile allerdings soziale Medien eine Rolle, erklärt Gerda Ridler. „Museen sind Lernorte, sie vermitteln Wissen und Erkenntnis. Ihr Ziel muss es daher sein, auch im digitalen Zeitalter ihrem Forschungs-, Bildungs- und Vermittlungsauftrag gerecht zu werden und unterschiedliche Zielgruppen für ihre Inhalte zu begeistern.“ Da auch die Gesellschaft pluraler und digitaler geworden sei, solle sich, so Ridler, die Informationsweitergabe der Nutzererwartung und dem Nutzerverhalten anpassen. Mit Social-Media-Aktivitäten könne vor allem das jüngere Publikum angesprochen und erreicht werden. „Eine besonders wichtige Zielgruppe für Museen sind Kinder und Jugendliche. Sie sind die Besucher_innen von morgen. Sie für die Beschäftigung mit Kunst und Kultur zu begeistern, zählt zu den zentralen Vermittlungsaufgaben der Museen.“ Auch dass viele Museen ihre internen Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen diesen veränderten Gegebenheiten angepasst hätten, weiß Gerda Ridler zu berichten. „Digitales und Analoges sind in heutigen Arbeitsprozessen eng vernetzt. Mithilfe technologischer Innovationen können die Museen und ihre Vermittlungsteams garantieren, dem Bildungsauftrag auch digital gerecht zu werden.“ So beschäftigt sich beispielsweise das Vermittlungsteam der Kunstmeile Krems seit 2018 verstärkt mit Methoden der digitalen Vermittlung.

Wie Digitales sammeln?

Doch wie und was sammelt man, wenn die Kunst selbst digital geworden ist? Das sind Fragen, mit denen sich Bildwissenschaftler Prof. Dr. Oliver Grau von der Universität für Weiterbildung Krems auseinandersetzt. Er forscht an den Möglichkeiten ihrer Erhaltung und sachgerechten Dokumentation. „Denn die Digitalisierung an sich ist noch keine Erhaltung“, macht der Experte deutlich. „Das ist erst einmal eine digitale Dokumentation, die von einer guten Verschlagwortung abhängt, um die digitale Kunst dann in größeren Zusammenhängen für die Forschung und für Ausstellungen nutzen zu können.“ Doch im Gegensatz zu digitalisierten Kunstwerken wird digitale Kunst heute bislang überhaupt nur selten gesammelt. Denn diese Kunstwerke stellen traditionelle Archivierungs- und Sammlungsmethoden in Frage, da die Speichermedien sich alle paar Jahre verändern oder sie zum Beispiel Daten aufbereiten, die aus sozialen Medien generiert werden. Daher haben auch große Museen on- und offline Schwierigkeiten, diese komplexe Kunst für künftige Generationen als digitales Kulturerbe zu bewahren. Das sei aktuell ein vieldiskutiertes Thema von Künstler_innen und Museen, berichtet Oliver Grau. Mit seinem bereits 1999 gegründeten Archive of Digital Art (ADA) hat der Kremser Professor Pionierarbeit im Bereich der Medienkunst geleistet. Denn dort sind nicht nur rund 50.000 Dokumente von Tausenden von Medien-Kunstwerken archiviert, sondern sein einzigartiges Archiv ist auch als partizipatives Community-Science- Projekt angelegt. „Die Künstler_innen haben hier die Möglichkeit, Daten, Texte und Dokumentationen zu ihren Werken und ihren technischen Umgebungen, auch ihren künstlerischen Erfindungen, wie etwa neue Interfaces, hochzuladen. Auch Besucher_innen, die zum Beispiel ein Video auf einem Kunstfestival gedreht haben, können hier ihre eigenen Videos uploaden. Alles durchläuft dann einen Redaktionsprozess. Außerdem haben wir nach mehrjähriger Forschung einen systematisch angelegten Pool von 500 Schlagworten herausgebildet, einen ‚Brückenthesaurus‘, den die Medienkünstler_innen und die Wissenschaftler_ innen, die im Archiv aktiv sind, verwenden können. So haben wir neben der Grassroots-Dokumentation eine Form von kollektiver Erschließung entwickelt.“

Oliver Graus neueste Initiative ist nun, ein Netzwerk für digitale Kunst in Museen zu bilden. Unmittelbar vor der Corona-Pandemie organisierte der Medienkunst-Spezialist dazu in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt ein Stakeholder-Meeting mit Künstler_innen und Expert_innen. Ziel soll es künftig sein, die Erhaltungsstrategien für digitale Kunst im Kunstbetrieb, der in seiner Struktur vor dem digitalen Zeitalter entstanden ist, neu zu definieren. Graus zentrale Frage: Wie können wir Datenbanken für den Aufbau von Sammlungen digitaler Kunst auch für Forschungszwecke nutzen – und welche Infrastrukturen braucht es dafür.


ARMIN LAUSSEGGER
Mag. Armin Laussegger, MAS ist Leiter der Landessammlungen Niederösterreich und Leiter des Zentrums für Museale Sammlungswissenschaften der Universität für Weiterbildung Krems. Er studierte Geschichte an der Karl-Franzens- Universität Graz und an der National University of Ireland Maynooth.

GERDA RIDLER
Dr.in Gerda Ridler ist Kunsthistorikerin, Kulturmanagerin und gerichtlich beeidete Kunstsachverständige. Sie war u. a. Gründungsdirektorin des privaten Museums Ritter in Waldenbuch, Deutschland. Ridler fungiert ab 1. Januar 2022 als neue Künstlerische Leiterin der Landesgalerie Niederösterreich.

OLIVER GRAU
Univ.-Prof. Dr. Oliver Grau ist Inhaber des ersten, an der Universität für Weiterbildung Krems angesiedelten Lehrstuhls für Bildwissenschaften im deutschen Sprachraum und Autor vielzitierter Publikationen zur Bildwissenschaft. Er setzt sich stark für Erhaltungsstrategien digitaler Kunst ein.

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