01.02.2021

COVID-19 führte zu disruptiven Umstellungen in der Nutzung von Online-Angeboten, im professionellen wie im privaten Bereich. Wie es dabei unterschiedlichen Staaten ergangen ist und welche Gründe dahinterstecken, erläuterte Bhaskar Chakravorti mit seiner Studie. Die Diskussion der UniversitätsprofessorInnen Reinhard Posch, Eva Schernhammer, Manfred Laubichler und Peter Parycek kreiste um zahlreiche Aspekte der Digitalisierung.

Dass die Digitalisierung nahezu alle Bereiche des Alltags erfassen wird oder bereits erfasst hat, ist allgemein bekannt. Dass die Staaten bei dieser Entwicklung unterschiedlich schnell voranschreiten, überrascht ebenso wenig. Worin nun die dahinterliegenden Ursachen für diese Unterschiede bestehen, ist hingegen alles andere als trivial zu erfassen. Um diese Frage beantworten zu können, müssen ökonomische, rechtliche, gesellschaftliche, kulturelle sowie zahlreiche weitere Faktoren miteinbezogen werden. Das Team um einen der weltweit führenden Digitalisierungsforscher Univ.-Prof. Bhaskar Chakravorti, B.A., M.A., Ph.D., Dean of Global Business der Fletcher School at Tufts University, nimmt sich in seiner vergleichenden Studie „Digital in the Time of COVID – Trust in the Digital Economy and Its Evolution Across 90 Economies as the Planet Paused for a Pandemic” dieser Fragestellung an. Organisiert vom Transdisziplinären Lab für Sustainable Digital Environments, angesiedelt an der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung der Donau-Universität Krems, wurde diese Studie erstmals in Europa vorgestellt. Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerald Steiner, Co-Leader des Td-Labs für Sustainable Digital Environments, führte gemeinsam mit Komoderator Mag. Ilja Steffelbauer durch die Onlineveranstaltung.

Kartografen der digitalisierten Welt

In seiner Keynote bot Digitalisierungsforscher Chakravorti einen Überblick der aktuellen Studie, die Teil der Initiative Digital World der Fletcher School ist. Das Forscherteam versteht sich als Kartografen der digitalen Welt und erfasst 90 Länder mit zahlreichen Parametern, um die Digitalisierung besser zu verstehen. Konkret ging der Experte auf die Lage in Österreich und Deutschland ein. In einer Standortbestimmung werden die Staaten in vier Kategorien eingeteilt, abhängig vom aktuellen Fortschritt der Digitalisierung und ihrer Veränderungsdynamik. Österreich sowie viele andere westliche Länder zählen zur Stall-out-Gruppe, die die erste Ausbauphase gut genützt haben, deren Digitalisierungsschub aber nachgelassen hat. Demgegenüber sind Stand-out-Länder wie die USA und Südkorea gut entwickelt und dynamisch in der Weiterentwicklung. Die Gruppe der für Investoren interessanten Break-out-Länder ist gekennzeichnet durch einen geringeren Entwicklungsstand gepaart mit einer großen Veränderungsgeschwindigkeit wie etwa in China und Russland. Die letzte Gruppe bilden die Watch-out-Länder, wo ein geringer digitaler Entwicklungsstand sowie eine geringe Dynamik zusammenkommen, wie zum Beispiel in Ungarn, Nigeria und Pakistan.

Facettenreiches Vertrauen

Ein entscheidender Faktor, den Chakravorti herausgearbeitet hat, ist die Rolle des Vertrauens der Menschen in digitale Dienste und Infrastrukturen. Dieses Vertrauen wurde in vier Dimensionen zerlegt und in insgesamt 198 Indikatoren gemessen. Die erste Dimension stellt die Einstellung der Menschen dar: Wird den Unternehmen und staatlichen Einrichtungen geglaubt, etwa dass der Datenschutz berücksichtigt wird. Das Verhalten bildet die zweite Dimension: Werden die sozialen Medien oder Online-Zahlungsmethoden verwendet? Die geschaffene digitale Umgebung ist die nächste Dimension: Welche Ökonomien konnten ein vertrauenswürdiges und sicheres digitales Ökosystem etablieren? Das tatsächliche Erleben macht die vierte Dimension aus, wo sich zeigt, wer eine möglichst nahtlose und angenehme Benutzung digitaler Angebote geschaffen hat.

Pandemiebekämpfung eine Frage des Vertrauens

Den Fokus auf die Situation in Österreich legte Univ.-Prof. Eva Schernhammer, MD, Dr.PH, MPH, MSc, Medizinische Universität Wien, in der „Austrian COVID-19 Trust Study“. Während die erste Welle im Frühjahr 2020 in Österreich erfolgreich gemeistert wurde, gestalte sich der Umgang mit der 2. Welle seit Herbst 2020, die ungefähr um den Faktor zehn größer ist, deutlich schwieriger. Diese Veränderung wurde in zwei Erhebungen Anfang Juni und Ende November 2020 abgebildet. So zeige sich in der Bevölkerung ein signifikanter Rückgang bei der Bereitschaft die Corona-Maßnahmen mitzutragen: Lag die starke Bereitschaft im Frühjahr noch bei 65,1 Prozent, sank diese in wenigen Monaten auf 46,8 Prozent. Gleichzeitig stieg die vehemente Ablehnung von 5,8 auf 14,3 Prozent. Bei der Impfbereitschaft stünden rund 36 Prozent BefürworterInnen rund 40 Prozent ImpfskeptikerInnen gegenüber. Es zeigten sich Korrelationen zwischen der Wahrscheinlichkeit sich Impfen zu lassen und verschiedenen Faktoren: Frauen zeigten eine geringere Impfbereitschaft, ebenso wie Menschen unter 55 Jahren. Die Bevölkerung am Land und Menschen mit geringer Bildung sind auch Gruppen mit geringerer Impfbereitschaft im Vergleich zu StadtbewohnerInnen und Höhergebildeten. Auch beim Wahlverhalten wurde ein Zusammenhang erkennbar: NichtwählerInnen sowie BürgerInnen, die bei der letzten Wahl für eine Oppositionspartei stimmten, wiesen eine Tendenz auf sich nicht impfen lassen zu wollen. Daraus lässt sich ablesen, dass das Vertrauen in die Politik in diesem Kontext in der Bevölkerung enden wollend ist. Vier von fünf Befragten forderten wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit der von der Politik vorgegebenen Maßnahmen.

Diskussion zu Gefahren und Chancen durch COVID-19

In der anschließenden virtuellen Podiumsdiskussion erinnerte em. Univ.-Prof. DI Dr. Reinhard Posch, CIO der Bundesregierung und Leiter des Zentrums für sichere Informationstechnologie – Austria (A-SIT), daran, dass im Zuge des Handlungsdruckes durch die COVID-19-Pandemie viele Prinzipien über Bord geworfen wurden. Ein Beispiel dafür wäre die Datensicherheit, die in der Kürze der Zeit bei der Umstellung auf digitalisierte Abläufe nicht wie sonst berücksichtigt wurde, so Posch. Für ihn sei Transparenz ein Schlüssel zum Erfolg, so müsse beispielsweise der Umgang mit personenbezogenen Daten beim Contact Tracing klar und verständlich kommuniziert werden. Nur so könne aus seiner Sicht die Vertrauenswürdigkeit hergestellt werden.

In seinem Beitrag betonte Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek, MAS MSc,  Deutscher Digitalrat und Leiter des Departments für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung der Donau-Universität Krems, die katalysatorische Wirkung der Pandemie: So sei durch die plötzliche Umstellung auf Distance Learning, Homeoffice und andere Onlineprozesse gerade in den Stall-out-Ländern ein Innovationsschub ausgelöst worden. Geschäftsmodelle müssten neu überdacht werden. Gerade auch das Spannungsfeld von Datenschutz und Datenverwendung sei in dieser Zeit besonders schlagend geworden, so der Rechtsinformatiker Parycek.

Komplexe Systeme und Herausforderungen der Forschung

Unter einem systemischen Blickwinkel betrachtete Univ.-Prof. Manfred Laubichler, M.A., M.Phil., M.Sc., Ph.D., Arizona State University, die digitale Transformation in Verbindung mit der von COVID-19 ausgelösten Situation. Er sehe zwei Entwicklungen, die sich überschnitten hätten: die gesellschaftliche Transformation und die Evolution von COVID-19. Für den Nachhaltigkeitsforscher Laubichler zeige sich in der hohen Verwundbarkeit der Systeme in der Krise die Kehrseite ihrer hohen Komplexität und ausgeprägten Interdependenz. Dadurch werde das Zeitfenster um korrigierend einzuschreiten deutlich kleiner. Da sich Laubichler zufolge WissenschafterInnen schwertäten, Unsicherheiten der Öffentlichkeit zu kommunizieren, würde sich die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit stellen. Die Komplexität der Systeme mache eine lineare Extrapolation der Zukunft unmöglich, so Laubichler, der transdisziplinäre Zugänge als möglichen Lösungsweg sieht. Das Ende der Pandemie dürfte für den Experten nicht das Ende des Krisenmodus darstellen, bleibe die Welt nach wie vor konfrontiert mit der Umwelt- und Klimakrise sowie Problemen fußend auf sozialer Ungerechtigkeit. Auch in diesen Bereichen sei die Wissenschaft gefordert.

In der Diskussion verwies die Epidemiologin Eva Schernhammer auf die neuartigen Herausforderungen der Pandemie. Neben der Forschung sei es zur schwieriger werdenden Aufgabe geworden, die Öffentlichkeit von der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen zu überzeugen. So habe die Politik versucht, Forschende zu instrumentalisieren, weshalb Schernhammer für eine deutliche Trennung von Politik und Wissenschaft eintrat. Erfreulich war für die Expertin, dass die Wissenschaft zeigen konnte, dass sie zu deutlich schnelleren Ergebnissen als unter normalen Umständen imstande sei, immerhin wurde noch nie eine Impfung in weniger als fünf Jahren entwickelt.

Zum Anfang der Seite