25.10.2021

Die 4. Ausgabe der Webinarreihe zur digitalen Transformation der Universitäten widmete sich am 5. Oktober 2021 der gemanagten Universität: Führung in einer institutionalisierten Organisation. Dazu tauschten Günther R. Burkert, Peter Parycek, Luzia Truniger und Lothar Zechlin ihre Erfahrungen mit Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz aus.

Bereits zum vierten Mal brachte die Webinarreihe „Digitale Transformation der Universitäten“, veranstaltet vom Department für E-Governance in Wirtschaft und Verwaltung, ausgewiesene Expertinnen und Experten des Hochschulwesens des deutschsprachigen Raums zusammen. Den Anfang machte Mag. Friedrich Faulhammer, Rektor der Universität für Weiterbildung Krems, mit seiner Hinführung zum Thema „Die gemanagte Universität: Führung in einer institutionalisierten Organisation“. Er erinnerte daran, dass Universitäten in Österreich vor dem Jahr 2000 noch nachgeordnete Dienststellen des Wissenschaftsministeriums waren und entsprechend administriert wurden. Erst mit dem neuen Universitätsgesetz (UG) erhielten die Universitäten eigene Rechtspersönlichkeit, daraus erwuchs auch die Frage nach adäquatem Management. Für die Leitungstätigkeit bevorzugt Faulhammer den Begriff Governance, da dieser eine stärkere strategische Komponente habe, gehe es doch für ihn darum, große Linien vorzugeben und mit dem strategischen Rahmen Möglichkeitsräume zu öffnen.

Grundvoraussetzung Autonomie

Univ.-Prof. Dr. Lothar Zechlin, ehemaliger Rektor der Universität Graz und Gründungsrektor der Universität Duisburg-Essen (UDE), präsentierte vier Thesen zum Hochschulmanagement mit dem Ziel einer selbstreflexiven Universität. Logische Voraussetzung für Zechlin sei die Autonomie der Universitäten im Handeln. Mit dem UG schuf Österreich einen Rahmen, der Vorbild für die Gesetzgebung einiger deutscher Bundesländer wurde. Um diese Handlungsfähigkeit sicherzustellen sei Management erforderlich. Bei der Autonomie nehme die Hochschule zwei Rollen ein: Subjekt als Trägerin der Autonomie und gleichzeitig Objekt als geführte Einrichtung. In weiterer Folge sprach Zechlin von der Autonomie der Topführungskräfte – Rektorat, Dekanate – der Universitäten und dem Prinzip der Eigenentwicklung durch Selbstreflexion. Führungskräfte seien für ihre eigene Entwicklung verantwortlich, was wiederum eine Voraussetzung für die Entwicklung der Organisation als Ganzes sei. Hierbei gehe es um eine Selbstreflexion im Spiegel der Theorie, in diesem Kontext Hochschulforschung und -management.

Führungskräfte als „Reflective Practitioner“

Ein Modell für diesen Reflexionsprozess sei das Modell des „Reflective Practitioner“, das von Donald Schön, Massachusetts Institute of Technology, entwickelt wurde und bei der Professionalisierung von Lehrkräften gängig ist. Hierbei komme es zu einer Verbindung von empirischem Wissen über die Führungspraxis mit breitem theoretischen Wissen über den Sinn von Führung, gerade im besonderen Organisationstypus der Universität.

Diese Logik auf eine höhere Ebene gehoben führe zur „lernenden Organisation“, wo durch Reflexionsschleifen und subjektive Aneignung Entwicklungsprozesse, Selbst-Bewusstsein und Ownership in einer Hochschule etabliert würden. Die Organisationskultur sei für Zechlin der Ansatzpunkt, der etwa in QM-Systeme, Strategieentwicklung oder Personalentwicklung wirke.

Universitäten als hochkomplexe Organisationen

Univ.-Prof. Dr. Luzia Truniger, Gründungsdirektorin der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW sowie Expertin im Hochschulconsulting, erweiterte die Ausführungen ihres Vorredners. Sie arbeitete den Zusammenhang von Autonomie und eigenverantwortlichem Handeln noch deutlicher heraus, wobei Führung als ein Ziel die Handlungsfähigkeit habe, um Entscheidungskompetenzen zu sichern. Als Beispiel führte Truniger die politische Einflussnahme im Schweizer System aus, wo dem Bund die Hochschulen gegenüberstünden, deren Träger ihrerseits die Kantone seien. So sei die Macht der Hochschulräte beim Fällen strategischer Entscheidungen an Verpflichtungen wie dem Leistungsauftrag gekoppelt.

Die Führung von Hochschulen bewege sich in einem Umfeld, das in hohem Maß von Multirationalität geprägt sei. Sie befinde sich in einem Spannungsfeld gesellschaftlicher Aufträge, unterschiedlichster Anspruchsgruppen und divergierender Erwartungshaltungen, etwa zwischen regionalem Impulsgeber und internationalem Akteur. Als Arbeitgeberin ist die Universität ebenso vielfältig gefordert, unter anderem familienfreundlich, gendersensibel und nachhaltig zu handeln. Um all diese Facetten berücksichtigen zu können sei multirationales Management erforderlich, das die Universität als hybride Organisation aus Lehre, Forschung und Verwaltung mit komplexer Binnenstruktur (Fächer) begreife, die auch Erfordernisse etwa der Wirtschaftlichkeit erfüllen müsse.

Lenkung mittels Organisationskultur

Eine Herausforderung für das Management sei es, die lose Kopplung der universitären Einheiten zu einer strategischen Gesamtorganisation zu verbinden. Dies sei Aufgabe der „lernenden Organisation“, die Fragen der Autonomie und des Commitments beispielsweise mit Shared Leadership und Selbstreflexivität begegne. Auch Truniger betonte die Bedeutung der Selbstreflexion, wo Führungspraxis im Spiegel von Theorien reflektiert wird. Im Ansatz „Reframing Academic Leadership“ werde Ambivalenzfähigkeit und mehrperspektivisches Denken durch Reflexion gefördert. Solche Reflexionsräume können Kolleginnen und Kollegen, Coaching oder spezielle Plattformen bieten. Um Ownership an Hochschulen zu forcieren, setzt auch Truniger auf die Organisationskultur, insbesondere auf die Prozessgestaltung.

Gemeinsamkeiten trotz Konkurrenzsituation

Univ.-Prof. Dr. Günther R. Burkert, Sektionschef i.R. für den Bereich Forschungspolitik der Universitäten, Fachhochschulen und Privatuniversitäten im Wissenschaftsministerium, warf die Frage auf, wie in einem Umfeld, das auch von Leistungs- und Konkurrenzdenken mitgeprägt werde, eine selbstreflexive Gemeinschaft entstehen könne. Einen Weg erkennt Burkert in der Entwicklung Richtung Institution, wie etwa bei der Akademie der Wissenschaften, um eine gemeinsam getragene Universität zu schaffen, die nicht von der Wirtschaft getrieben werde. Für Zechlin ist gerade dieses Wir-Gefühl zentral. Er führte als Beispiel den Strategieprozess der Universität Graz an, wo bei Open-Space-Veranstaltungen eine hohe Interaktivität erreicht werden konnte, gemäß der Maxime „Betroffene zu Beteiligten machen“. Diese Beteiligung erfordere manchmal auch „Anarchie“ zuzulassen, um kreative Gedanken entstehen zu lassen. Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek, MAS MSc, Vizerektor für Lehre/Wissenschaftliche Weiterbildung und digitale Transformation (CDO) an der Universität für Weiterbildung Krems, sprach in diesem Zusammenhang von Möglichkeitsräumen. Er vertiefte den Aspekt, ob Selbstreflexion die Handlungsfähigkeit von Führungskräften nicht auch beeinträchtigen könne. Um einer Lähmung vorzubeugen empfahl Truniger Selbstreflexion in gezielten Reflexionsräumen und in den richtigen Phasen.

Diskussion und Ausblick

In die anschließende Diskussion flossen auch Fragen der Teilnehmer_innen ein, etwa wie mit Divergenzen in einem Leitungsteam umzugehen sei, welche Teambildungsmaßnahmen von Nutzen sein können und die Rolle des Rechts bei der Autonomie der Universitäten. Am 18. November 2021 wird das Webinar mit em. Univ.-Prof. Dr. Otfried Jarren und dem Thema „Differenzierung und Digitalisierung als Treiber der Hochschulentwicklung“ fortgesetzt.

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