18.12.2023

Im Rahmen der Assembly Beyond Borders 2023, veranstaltet von der Denkwerkstatt CACE der Universität für Weiterbildung Krems, gaben am 29. November 2023 Philippa Hardman, Elmar Kutsch, Susanna Leong, Helga Nowotny und Séamus Ó Tuama Einblick in aktuelle Themen wie den Umgang mit Unsicherheiten, die Stackability von Weiterbildungsprogrammen, Microcredentials und die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Lehre.

Mag. Friedrich Faulhammer, Rektor der Universität für Weiterbildung Krems und Initiator von CACE, ging in seiner Begrüßung auf einige Aspekte der kommenden Vorträge ein. So reflektierte er in Anlehnung an em. Univ.-Prof.in Dr.in Dr.in h.c. Helga Nowotny, PhD, über wachsende Unsicherheiten in Zeiten einer Poly-Krise und wie durch Bildung aus herausfordernden Situationen Gestaltungschancen werden. In seinen Ausführungen ging er auch auf den Umgang mit Künstlicher Intelligenz, insbesondere im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung, ein. Faulhammer verwies hier auch auf die Bedeutung adäquater rechtlicher Rahmenbedingungen mit der Feststellung, dass Europa die beste KI brauche, und nicht die best-regulierte.

Über Unsicherheiten und die Last der Zukunft

Wissenschaftstheoretikerin und Technikforscherin Helga Nowotny, Gründungsmitglied des European Research Council (ERC), referierte über den Umgang mit Unsicherheiten, etwa durch geopolitische Spannungen, Fake News und die Polarisierung der Gesellschaft. Die Zukunft abschätzbar zu machen, sei schon immer ein Anliegen der Menschen gewesen. Heute dienten prädikative Algorithmen als Grundlage der Entscheidungsfindung, wobei zwei Aspekte, so Nowotny, nicht ausgeblendet werden dürften: Diese Algorithmen extrapolieren Daten aus der Vergangenheit und basieren auf bloßen Wahrscheinlichkeiten. Dabei verhielten sich diese Algorithmen wie eine Black Box: Wie genau eine KI zu ihren Ergebnissen gelangt, sei selbst für Expert_innen nicht nachvollziehbar. Nowotny skizzierte ein Paradoxon: Einerseits solle KI uns helfen, mehr Kontrolle über die ungewisse Zukunft zu erlangen. Andererseits verfüge die KI über eine Macht, damit wir ihren Vorhersagen gemäß handeln, was unsere Kontrolle über die Zukunft verringere. Jedes große Thema werde aktuell im Lichte der Zukunft betrachtet, mit großer Sorge aufgrund von Prognosen, wie das Beispiel Klimawandel zeige. Gerade mit Blick auf das lebensbegleitende Lernen appellierte Nowotny an das Vertrauen in unsere Fähigkeit die Zukunft zu gestalten. Letztendlich sei die Zukunft offen und unvorhersehbar, wir müssten im Zuge der Ko-Evolution zwischen Menschen und digitalen Maschinen lernen, miteinander zu leben.

KI und wissenschaftliche Integrität

Lehren und Lernen in der Post-KI-Welt war Thema von Dr.in Philippa Hardman, assoziierte Wissenschafterin an der Universität Cambridge und Gründerin des Lerndesign-Prozesses DOMS (Discovery, Outcomes, Mapping, Storyboarding). Bei den Risiken von KI stünde vielfach die wissenschaftliche Integrität im Zentrum, etwa bei von KI verfassten Plagiaten. Immerhin zeige die Forschung, dass im Normalfall generative KI besser bei schriftlichen Prüfungen abschneide als durchschnittliche Studierende. Das traditionelle pädagogische System des Lehrens, Lernens und Beurteilens sei nun jedenfalls zu hinterfragen. Als Reaktion auf die KI-Plagiate versuchten viele Institutionen, die Urheberschaft bei schriftlichen Arbeiten besser zu kontrollieren: entweder durch eine Abhaltung vor Ort oder mithilfe von KIs, die KI-Texte erkennen können, wobei dies ein unzufriedenstellendes Katz-und-Maus-Spiel ist.

Alternativ zur KI-Skepsis gibt es einen integrativen Ansatz von KI in der Lehre. Dabei komme es zu einer Verschiebung von einer reinen Wissensabfrage hin zu einer Beurteilung von Verhalten und Fähigkeiten wie kritisches Denken und Problemlösung sowie die Anwendung von Wissen. Studierende würden aktiv lernen. In weiterer Folge komme es zu einem Wechsel von punktuellen Überprüfungen hin zu kontinuierlichen Projekt- und Prozessbewertungen. Bei diesem projektbasierten Lernen komme es zu einem begleitenden, summativen Assessment. Dieses bilde besser, holistischer ab, wie gut die Studierenden den Stoff beherrschen, so Hardman. Dies komme wiederum der wissenschaftlichen Integrität zugute.

Chance und Herausforderung: Stackability

Dr. Elmar Kutsch, assoziierter Professor an der Cranfield School of Management (UK), führte in die vielen Denkmodelle von Stackability, der Kombinierbarkeit von akademischen Kurzprogrammen, ein. Am verbreitetsten ist die vertikale Stackability, bei der die Leistungsnachweise aufeinander aufbauen und zu einer höheren Qualifikation führen, in der Regel zu einem Abschluss oder einem Zertifikat. Dieser Ansatz gehe inhaltlich in die Tiefe, während horizontale Stackability in die Breite gehe und Qualifikationen aus unterschiedlichen, sich ergänzenden Bereichen kombinieren lasse. Die Mischform aus beiden – diagonale Stackability – ermögliche es den Lernenden, innerhalb eines primären Fachgebiets voranzukommen und gleichzeitig ergänzende Fähigkeiten aus anderen Disziplinen zu integrieren.

Daneben gäbe es noch eine große Bandbreite weiterer Formen wie sich modular einen maßgeschneiderten Abschluss zu bauen oder kompetenz-basiert übergreifende Fähigkeiten wie kritisches Denken, Kommunikation und Führung zu verfolgen. Transitionale Stackability richte sich an Personen, die zwischen verschiedenen Karrierestufen oder Sektoren wechseln wollen. Die systemimmanente Flexibilität von Stackability führe, so Kutsch, bei der Konzeption zu einer gewissen Komplexität, die auf die Studierenden abschreckend wirken könne. Deshalb spiele Kommunikation eine große Rolle, um Interessierten zu helfen, die für sie richtige Wahl zu treffen. Zudem bestehe die Gefahr der Beliebigkeit bei kleinteiligen Angeboten, die eben keine „Mickey-Mouse-Kurse“ sein dürften.

Singapur: Weiterbildung als nationale Aufgabe

Univ.-Prof.in Susanna Leong, LL.B. LL.M., Dekanin der Schule für Weiterbildung und Lebenslanges Lernen an der National University of Singapore (NUS), sprach über die Bedeutung von Microcredentials in der Weiterbildung ihrer Universität. In Zeiten des konstanten Wandels reiche eine einmalige Ausbildung nicht mehr aus, lebensbegleitendes Lernen sei unabdingbar, so Leong. Es gehe nicht länger nur um 15 Jahre, sondern um Investments in 50 Jahre des Lernens, wie es das Bildungsministerium in Singapur formuliert. Durch ein umfassendes Bildungsangebot könnten sich die Menschen bedarfsorientiert höherqualifizieren oder umschulen. Dafür stünden ihnen vielfältige Lernpfade mit personalisierten Weiterbildungen zur Verfügung. Microcredentials seien ein Weg, die Menschen zu lebensbegleitender Weiterbildung zu ermutigen. Weitere Vorteile lägen in der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Alumni und im persönlichen Engagement der Studierenden, da sie sich ihren Lernpfad selbst zusammengestellt haben, so Leong. Microcredentials seien flexibel, kompakt sowie agil. Die erworbenen Credits könnten innerhalb von fünf Jahren in Vollstudien eingebracht werden. Die NUS verfügt über eine eigene zentralisierte Plattform für lebensbegleitendes Lernen. Diese übernimmt Aufgaben wie Marktanalyse, Ressourcenmanagement, Programmentwicklung und -durchführung sowie Außenkommunikation.

Ganzheitliches Bildungsverständnis

Univ.-Prof. Dr. Séamus Ó Tuama, Ph.D., University College Cork (Irland), wandte sich den Perspektiven für die Reflexivität des Lernens in seinem Vortrag zu. Um lernendenzentrierte Bildungsangebote zu gestalten, sei eine ganzheitliche Betrachtung der Lernenden eine Voraussetzung. Diese erfolgte bei Ó Tuama durch die Brille der fünf Kapitale, über die Menschen verfügen.

Unter „Startkapital“ verstehe Ó Tuama in diesem Kontext die Ausgangslage der Lernenden, inklusiver ihrer Fähigkeit, mehr der fünf Kapitale anzuhäufen und ihre Möglichkeiten, mit einer vernünftigen Erfolgsrate bereits bestehendes Kapital zu investieren. Zur Erhöhung dieser Erfolgsrate könnten Stackability und die Anrechnung von Vorwissen aus informellem Lernen beitragen. Ó Tuama unterstrich die Bedeutung der elterlichen Bildung, da diese immer noch stark „vererbt“ werden würde. Identitätskapital setze sich zusammen aus dem Selbstwertgefühl des Einzelnen und seiner Würde als Mitglied einer Gemeinschaft. Dieses Kapital könne durch Erwachsenenbildung erheblich gesteigert werden und sei essenziell für die Lernendenzentrierung. Durch Bildung verändere sich die Identität der Menschen, so Ó Tuama. Dank ihrer Bildung könnten sie mit der Gesellschaft interagieren, wie sie es ohne sie nicht könnten. Beim kulturellen Kapital sei es wichtig, dieses insbesondere bei marginalisierten Gruppen, die nicht Teil des Mainstreams sind, anzuerkennen und zu würdigen. Kulturelles Kapital ermögliche es uns zu verstehen, wie die Gesellschaft, in der wir uns bewegen, funktioniert. Ó Tuama verwies auf das Beispiel Ökosystem, bei dem Diversität die Robustheit fördere. Gleiches träfe auf die Gesellschaft zu. Das soziale Kapital ist die Summe der Netzwerke, geteilten Normen und Werte. Bildung sei ein entscheidender Weg, um soziales Kapital aufzubauen. Am bekanntesten ist das Konzept des Humankapitals, das das Wissen, die Fähigkeiten und die Kompetenzen im Sinne des Leistungsvermögens zusammenfasst. Ó Tuama verweist darauf, dass für die Akkumulation von wirtschaftlich begehrtem Humankapital die anderen vier Formen notwendig sind.

Gesellschaftliche Wirksamkeit erhöhen

Ein Fazit der Präsentationen samt Ausblick auf die Zukunft lieferte Univ.-Prof. Mag. Dr. Peter Parycek, MAS MSc, Vizerektor für Lehre/Wissenschaftliche Weiterbildung und digitale Transformation (CDO) der Universität für Weiterbildung Krems. Er sieht als nächsten Schritt die Verbindung der genannten Aspekte wie den Umgang mit Unsicherheit, KI, flexibles Lernen, Stackability und die gesellschaftliche Wirksamkeit von Bildung. In Bezug auf Stackability und Microcredentials unterstrich Parycek deren globale Bedeutung. Diese neue Organisation der Lehre stelle eine transformative Wende dar: flexibel, personalisiert und inklusiver. Gerade diese erhöhte Inklusion sei ein wichtiger Hebel für die gesellschaftliche Wirksamkeit von Universitäten. Parycek teilt Helga Nowotnys positive Einstellung zur Zukunft trotz der Unsicherheiten, zu denen die Rolle der KI zählt, weil die künftigen Herausforderungen nur ohne Angst angegangen werden könnten.

Mit ihren Breakout Sessions und der abschließenden Diskussion der Keynote Speaker, die von Priv.-Doz. Mag. Dr. David Friedrich James Campbell, Zentrum für Hochschulgovernance und Transformation an der Universität für Weiterbildung Krems, geleitet wurde, bot die Assembly Beyond Borders reichliche Gelegenheit zum fachlichen Austausch. Interaktion im Onlineraum war mittels Mentimeter möglich. Erfahrungen, Meinungen und Stimmungsbilder des Publikums wurden eingefangen und so Teil der gemeinsamen Diskussion.

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