Erst in diesem Frühjahr sind neue Ansätze im Kulturtourismus verstärkt möglich. Neue Formate sind nach dem pandemiebedingten Einschnitt gefragt. Wie lassen sich tragfähige Partnerschaften zwischen Kulturerbe und Tourismus aufbauen? Vier Wege zwischen Geschichte, Region, Nachhaltigkeit und dem wiederentdeckten Gast aus dem Inland.

Von Ute Strimmer

 

Seit Juli 2021 ist der Donaulimes (westlicher Abschnitt) UNESCO-Weltkulturerbe. Über mehrere Jahrhunderte war er Teil der nördlichen Grenze des Römischen Reiches und erstreckte sich von der Quelle der Donau im heutigen Deutschland bis zur Donaumündung ins Schwarze Meer. Das Zentrum für Kulturgüterschutz der Universität für Weiterbildung Krems erhielt den Zuschlag für das EU-­Projekt „Living Danube Limes“, um gemeinsam mit Partnern aus zehn Donauländern Maßnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen touristischen Nutzung für das antike römische Erbe am Donaulimes zu entwickeln. „Im Fokus stehen dabei der Erhalt sowie die Bewusstseinsbildung für das gemeinsame Erbe – unter der Berücksichtigung von regionalen Unterschieden und Besonderheiten“, erklärt Raffaela Woller, wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem bis Ende 2022 angelegten Projekt. „Außerdem möchten wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass der Donaulimes nicht als harte Grenze zu verstehen ist, die es durch das Militär zu verteidigen galt, sondern auch sehr aktiver, durch Handel und Mobilität belebter Grenzraum des Imperium Romanum von der Kaiserzeit bis zur Spätantike war. Wir möchten das gemeinsame römische Erbe und die Geschichte sichtbar, begehbar, fühlbar, greifbar und interaktiv erlebbar machen.“

Das Projekt „Living Danube Limes“ baut auf der reichen römischen Geschichte und den vielfältigen archäologischen Funden der römischen Donau­-Region auf, führt Raffaela Woller weiter aus. „Viele Stätten haben sich unter ganz unterschiedlichen Bedingungen erhalten. Das römische Erbe Tullns zum Beispiel liegt größtenteils unter der heutigen Stadt und ist an einigen Stellen durch aufragendes Mauerwerk oder gar bis unter das Dach von im Originalbestand erhaltenen einzelnen Bauten in das heutige Stadtbild integriert.“ Das Projekt stärkt Museen und Besucherzentren entlang der Donau und entwickelt Konzepte für die Erhaltung und den Schutz des gemeinsamen römischen Erbes sowie für nachhaltigen grünen Tourismus. Zur Vernetzung der Donauländer ist der mit authentischem Handwerk und Werkzeugen erfolgte Nachbau eines voll funktionsfähigen spätrömischen Donau­-Patrouillenschiffes des Typs Lusoria gedacht. Die „Danuvina Alacris“ fährt ab Mitte Juli von Ingolstadt aus donauabwärts Richtung Schwarzes Meer. Entlang dieser Fahrt wird es Römerfeste und andere Veranstaltungen geben.

Fokus Inlandsgast

Positiv in den Sommer blickt die Schönbrunn Group in Wien, die im Auftrag der Republik Österreich das UNESCO-­Weltkulturerbe Schloss Schönbrunn, das Sisi Museum, das Möbelmuseum Wien sowie Schloss Hof und Schloss Niederweiden verwaltet und betreibt. Der Wegfall der Corona­-Maßnahmen ermöglicht der Kulturbranche jetzt nach zwei Krisenjahren ein Aufatmen und weckt neuen Optimismus für die Zukunft. „Wir können eine eindeutige Verbesserung gegenüber dem Vorjahr verzeichnen“, freut sich Klaus Panholzer, Geschäftsführer der Schönbrunn Group. Dennoch betont er, an das Rekordjahr 2019 könne die Gruppe noch nicht andocken, es zeige sich aber eine eindeutige Steigerung. Insgesamt wurden 2021 rund 1,1 Millionen Gäste gezählt, damit wurde ein Plus von rund einem Fünftel (21 Prozent) gegenüber dem Vorjahr erreicht. Spitzenreiter war dabei wie gewohnt das Schloss Schönbrunn mit gut 829.000 Eintritten. Generell lässt sich ein Trend zum Inlandstourismus feststellen: Ein Großteil der Gäste kam 2021 aus Österreich. Besonders stark vertreten waren zudem Deutschland, Frankreich und Italien, gefolgt von den USA, Spanien, der Slowakei, der Schweiz, den Niederlanden sowie Ungarn und Tschechien. „Trotz der Herausforderungen haben wir ganz bewusst auf die Zukunft gesetzt und maßvoll und umsichtig die selbst erwirtschafteten Mittel investiert“, führt Klaus Panholzer weiter aus. „Jedes Jahr investieren wir zwischen 10 und 14 Millionen in die Erhaltung. Es wird laufend in das kulturelle Erbe investiert, so wird beispielsweise u. a. jedes Jahr ein Prunkraum im Schloss Schönbrunn restauriert. Außerdem haben wir den Fokus auf traditionelle sowie innovative Angebote gelegt.“ Seit 2021 gibt es das eMuseum, ein Projekt der hauseigenen wissenschaftlichen Abteilung, das die historischen Räumlichkeiten digital zugänglich macht. Und mit der Vinothek bzw. dem Heurigen „Joseph II.“ gibt es ein neues Angebot in Schönbrunn, das behutsam im Dialog mit dem Bundesdenkmalamt umgesetzt wurde und sich vorrangig an das lokale Publikum wendet.

Tourismus in der Fläche

Einblicke in das Praxisfeld des regionalen Kulturtourismus gibt Martin Grüneis vom Amt der Niederösterreichischen Landesregierung. Mit mehr als 2,5 Millionen Gästen, die 2021 nach den Einschränkungen in Niederösterreich wieder Hoch-­ und Regionalkultur genossen haben, sei Kulturtourismus im gesamten Bundesland ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, erzählt der Kulturexperte. „Wir sind der Meinung, dass Kunst und Kultur über die eigentlichen Inhalte hinaus einen wichtigen Impuls für eine Regionalentwicklung leisten können, und so wollen wir auch in Zukunft die künstlerische Produktion unterstützen und das Kulturangebot weiter ausdehnen.“

Vier Leitlinien wurden daher in einem partizipativen Entwicklungsprozess für eine erneuerte Kulturstrategie entwickelt. „Partizipativ“, „kreativ“, „kooperativ“ und „divers“ lauten die Themen. Für die Kulturarbeit der nächsten Jahre ergeben sich daraus ganz konkrete Handlungsfelder, auf die wir in Zukunft verstärkt setzen“, erläutert Martin Grüneis. „So wollen wir uns ganz bewusst Richtung Kinder, Jugendliche und Familien orientieren und hier stärker vermitteln. Außerdem wollen wir die Chancen der Digitalisierung nutzen und zum Beispiel vermehrt Podcast­-Angebote zu gesellschaftlichen Themen entwickeln.“ Ganz wesentlich wolle man auch die Themen Nachhaltigkeit und Klimaverantwortung vorantreiben, unter anderem mit Initiativen wie „Green Events“ und „Green Filming“. Zudem sollen die Bereiche Kultur und Tourismus stärker vernetzt und verbunden werden. „Es geht nicht nur darum, dass bloß eine Ausstellung gezeigt wird, wo man sich mit der Geschichte eines Ortes, einer Region auseinandersetzt, sondern dass dort auch die Kräfte und Ideen gebündelt werden, dass man versucht, Menschen, Verantwortungsträger_innen und Gemeinden zu begeistern und gemeinsam an der Weiterentwicklung zu arbeiten“, führt Martin Grüneis weiter aus. Zu diesem Zweck sollen Modellregionen für Kunst und Kultur geformt werden, in denen Vorzeigeprojekte entstehen können, wie etwa St. Pölten bis 2024.

Im Fokus stehe außerdem die Wiederbelebung rund um den Semmering. „Aktuell arbeiten wir an einem Kulturprogramm, um die Welterberegion zu bespielen und der Region damit zu ihrem früheren Glanz zu verhelfen. In diesem Zusammenhang werden auch Hotelbauten eine Rolle spielen, um aus dem Zusammenwirken von Kultur und Tourismus ein attraktives Gesamterlebnis zu formen“, so Martin Grüneis.

Bewusst reisen

Einen bewussteren Tourismus anstoßen will Kurt Luger, Inhaber des UNESCO-­Lehrstuhls für Kulturelles Erbe und Tourismus an der Universität Salzburg. Denn Tourismus habe auch negative Seiten – für Einheimische, die nur vom Verkehr, von den hohen Preisen in der Gastronomie und beim Wohnen betroffen sind, führt der Experte weiter aus. Verlierer sei die nicht geschützte Natur, denn Tourismusinfrastruktur frisst Landschaft.

„Tourismusforschung ist eine junge Wissenschaft und viele Einzeldisziplinen versuchen zusammen seit Jahren einen soliden Wis­sensbestand zu erarbeiten“, erläutert Kurt Luger. „Es braucht integrative Forschungskonzepte und mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit. Da ist in Österreich noch viel nachzuholen. Aber es fehlt auch weitgehend die Bereitschaft der Branche, sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen, sich auf die kritische Analyse einzulassen. Von den Auswirkungen des Klimawandels wissen wir seit 30 Jahren, dass sie den Tourismus massiv betreffen, die Branche aber auch einen gehörigen Fußabdruck produziert. Es hat fast so lange gebraucht, bis diese ökologischen Bedrohungen auch in Tourismuskonzepte und ­-pläne Eingang gefunden haben.“ Für den vernünftigen, respektvollen und eigenverantwortlichen Tourismus brauche es daher neue Angebote, insbesondere die Mobilität betreffend, die den Großteil an Belastung ausmacht, und zwar für die Bewohner_innen von Tourismusorten wie für die Umwelt. „Es gibt einige gute Beispiele für nachhaltige Tourismusmobilität. Im Ötztal bemüht man sich etwa, mit Zug und Shuttle die Leute zum Verzicht auf das Auto zu bewegen“, freut sich Kurt Luger. Letztlich aber wolle man, so der Experte, dort weitermachen, wo man aufgehört hat, und möglichst rasch wieder in die Gewinnzone kommen. „Das ist aus wirtschaftlichen Gründen nachvollziehbar, aber löst das grundsätzliche Problem nicht.“


RAFFAELA WOLLER
Raffaela Woller, BA MA studierte Klassische Archäologie an der Universität Wien und ist seit 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Kulturgüterschutz der Universität für Weiterbildung Krems, wo sie u. a. das EU-Projekt „Living Danube Limes“ betreut. 

KLAUS PANHOLZER
Mag. Klaus Panholzer ist Geschäftsführer der Schönbrunn Group. Er war viele Jahre international tätig, bevor er sich mit einem eigenen Beratungsunternehmen in den USA selbstständig machte. Am 25. März 2022 wurde er in Versailles in den Vorstand der Vereinigung Europäischer Königsschlosser (Network of European Royal Residences) gewählt. 

MARTIN GRÜNEIS
Mag. Martin Grüneis ist stv. Leiter der Abteilung Kunst und Kultur im Amt der Niederösterreichischen Landesregierung. Er beschäftigt sich vorrangig mit dem reichen kulturellen Erbe des Bundeslandes, von den Welterbestätten bis zu den lebendigen kulturellen Traditionen und deren Erfassung und Bewahrung. 

KURT LUGER
Univ.-Prof. Dr. Kurt Luger halt den UNESCO-Lehrstuhl für Kulturelles Erbe und Tourismus am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg und ist Vorsitzender von INIT – Institut für Interdisziplinäre Tourismusforschung sowie von EcoHimal.

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