Hochwasser, Brände, Erdbeben, Kriege – Katastrophen bedrohen auch Kunst, Archive, Bauwerke. Daher gewinnt der Kulturgüterschutz immer mehr an Bedeutung. Welche Perspektiven gibt es zur weltweiten Rettung des kulturellen Erbes? Und welche Rolle nimmt dabei Österreich ein?

Von Ute Strimmer

 

Der Klimawandel und die damit verbundenen Naturkatastrophen sind mit die größten Bedrohungsfaktoren für das kulturelle Erbe und die Kulturlandschaften im 21. Jahrhundert. Wie diese Gefahren konkret aussehen und auf welche Weise Kulturerbestätten und -landschaften davor geschützt werden können, das erforschte das EU-Projekt STRENCH (STRENgthening resilience of Cultural Heritage at risk in a changing environment through proactive transnational cooperation) an der Universität für Weiterbildung Krems. Anna Maria Kaiser, Lehrgangsleiterin des dortigen Zentrums für Kulturgüterschutz, verantwortete das zweijährige Forschungsprojekt. „Bei STRENCH haben wir uns mit Naturkatastrophen befasst und Methoden erarbeitet, wie vor allem Risiken quantifiziert werden können, um eine möglichst objektive Gegenüberstellung von Gefährdungen zu erreichen“, erklärt die Assistenzprofessorin. „Das so ermittelte Ranking ist nicht auf bewegliches Kulturgut wie Gemälde und Bücher bezogen, sondern auf Kulturlandschaften mit ihren historischen Parks, Ruinen, Ortschaften usw. in Küsten- und Bergregionen.“ Die zurzeit stattfindenden klimatischen Veränderungen – das zeigten die für STRENCH verwendeten Klimaszenarien bis zum Jahr 2100 auf – wirken sich nachteilig auf das kulturelle Erbe und die Kulturlandschaften Europas aus. Ihre Erhaltung stehe daher angesichts von Extremwetterereignissen und deren Folgen vor neuen Herausforderungen, erläutert Anna Maria Kaiser. „Ein Ergebnis des Projekts waren daher Handreichungen für Entscheidungsträger, zum Beispiel für die Manager von Kulturerbestätten.

Das zweite große Ergebnis ist eine kostenfreie Onlineplattform, auf der man für ganz Zentraleuropa Prognosen für die Klimaveränderung abrufen kann. Dieses WebGIS-Tool, die Weiterentwicklung einer interaktiven Satellitenkarte des europäischen Erdbeobachtungssatelliten Copernicus, ist eine einfach zu bedienende Onlinelandkarte, mit der verschiedene Risiken des kulturellen Erbes bewertet werden können. Unser neues Instrument, das wir jetzt auch in der Lehre einsetzen, um die Fachkräfte von morgen zu schulen, zeigt aber nicht nur die Gefahren, sondern gibt auch Informationen zu den jeweils besten Maßnahmen je nach Gefahrenschema.“

Schäden des Klimawandels aufzeigen

Das Projekt STRENCH koordinierte Prof.in Alessandra Bonazza vom Institute of Atmospheric Sciences and Climate – National Research Council of Italy (Bologna). Ihre Forschungsaktivitäten zielen auf den Schutz und die Erhaltung des kulturellen Erbes im Hinblick auf Umweltverschmutzung, Klimawandel, aber auch auf die Umweltverträglichkeit und Dauerhaftigkeit von Restaurierungsmaterialien ab. Gemeinsam mit Anna Maria Kaiser arbeitet die Wissenschaftlerin aktuell an einem weiteren Projekt der Universität für Weiterbildung Krems. „Hier bringen wir die gesamte Arbeit, die wir in wissenschaftlichen Projekten wie STRENCH geleistet haben, ein, nutzen dieses Wissen für die Entwicklung eines Open-Access-Online-Kurses und organisieren Veranstaltungen für Multiplikatoren und Summer Schools, um all dieses Wissen über die Auswirkungen des Klimawandels auf das kulturelle Erbe zu verbreiten.“ Denn zwar sei in den letzten drei bis vier Jahren das Bewusstsein dafür, dass der Klimawandel Auswirkungen auf das kulturelle Erbe hat, gestiegen, aber es gebe noch nicht das Bewusstsein dafür, was sich in Bezug auf die Quantifizierung der Auswirkungen der Schäden getan hat. Das Projekt CHePiCC online (Cultural Heritage Protection in Climate Change online) zielt daher darauf ab, ein frei zugängliches E-Learning-Modul zu erstellen, das sich zum einen auf den Klimawandel und die dadurch verursachten Bedrohungen des Kulturerbes konzentriert und zum anderen auf nachhaltige Vorbereitungsmaßnahmen. Die Herausforderung für die Zukunft sieht Alessandra Bonazza insbesondere in der Verbesserung der Modelle zur Quantifizierung der Schäden vor allem in Mehrfachrisikosituationen. „Wir sollten die verschiedenen Auswirkungen gewichten und in der Lage sein, bei Interventionen Prioritäten zu setzen. So reagieren zum Beispiel die Materialien, aus denen ein Gebäude besteht, unterschiedlich auf die Auswirkungen des Klimawandels. Wichtig ist also, die Komplexität zu verstehen und die Anfälligkeit von Kulturerbestätten auch aus technischer Sicht einzuschätzen.“

„Die klimatischen Veränderungen wirken sich nachteilig
auf das kulturelle Erbe und die Kulturlandschaften Europas aus.“

Anna Maria Kaiser

Vorreiter Österreich

Dass Österreich im Kulturgüterschutz schon sehr früh eine Vorreiterrolle entwickelt hat, weiß Dominik Horn. „Österreich hat – gerade weil es ein Land ist, das sehr kulturbewusst ist – frühzeitig erkannt, dass seine kulturellen Schätze wie Klöster und sonstige Errungenschaften gefährdet sein könnten“,erklärt der Experte im Bereich Kulturgüterschutz im Österreichischen Bundesheer. „Daher haben wir sehr frühzeitig, schon in den 1980er-, verstärkt in den 1990er- und den 2000er-Jahren, den Kulturgüterschutz im Österreichischen Bundesheer ausgebaut bzw. diesen Bereich tatsächlich umgesetzt, insbesondere in der Ausbildung und in Übungen. Mittlerweile berücksichtigen wir diesen Bereich bei internationalen Einsätzen.“ Daher werde in Zukunft bei nationalen wie auch internationalen Übungen immer darauf geachtet, dass der Bereich „Schutz von Kulturgut“ in Szenarien laufend berücksichtigt wird. „Wir sorgen dafür, dass dieses Thema immer mehr an Bedeutung gewinnt. Ein aktuelles Beispiel ist die Ukraine, wo Kulturgüterschutz tatsächlich missachtet wird. Und umso mehr müssen wir das Thema schon auch aus völkerrechtlichen Überlegungen berücksichtigen. Übrigens gewinnt der Kulturgüterschutz auch bei der EU und bei der NATO immer stärker an Bedeutung.“

Von Kulturgut zu Kulturerbe

Dass in den letzten Jahrzehnten generell das Thema Kulturgüterschutz in den internationalen Beziehungen ungemein an Bedeutung gewonnen habe, betont auch Claudia Reinprecht, Botschafterin Österreichs bei der UNESCO in Paris. „Einerseits ist eine Diskursveränderung von ,Kulturgut/Kulturgüter‘ zu ,Kulturerbe‘ bemerkbar, was auf eine Verbreiterung des Verständnisses vom materiellen Kulturerbe zu einem lebendigen Begriff von Kultur (living heritage) hindeutet“. So gebe es, sagt Reinprecht, vermehrt einer Aufgabe der strikten Trennung und teilweisen Vermischung zwischen materiellem und immateriellem Kulturerbe. Beispiele fänden sich in der aktuellen Diskussion über die Stätten betreffend die Erinnerung, die mit rezenten Konflikten assoziiert werden. „Aber auch im Kontext des Haager Übereinkommens zum Kulturgüterschutz in bewaffneten Konflikten 1954 wird eine zunehmende Erweiterung des Begriffes ‚cultural property‘ ebenso wie generell die friedensstiftende und stabilisierende Kraft des immateriellen Kulturerbes in Notsituationen diskutiert.“ Darüber hinaus sei die Rolle des Kulturerbes in den internationalen Beziehungen als Beitrag zu Frieden und nachhaltiger Entwicklung zunehmend anerkannt. „Damit wird der Kultur einerseits Bedeutung für lokale Gemeinschaften für die Wahrung des sozialen Zusammenhalts und kollektiver Identität zugemessen, andererseits lokalem und vor allem indigenem Wissen mehr Platz eingeräumt“,führt Claudia Reinprecht weiter aus. Die Umsetzung kultureller Rechte Einzelner, aber auch als kollektive Rechte rücke verstärkt in den Blickpunkt. Gleichzeitig werde zunehmend einer strikten Trennung zwischen Kultur und Natur eine Absage erteilt.

„Österreich hat vor allem im Kulturgüterschutz
in bewaffneten Konflikten eine besondere Rolle gespielt.“

Claudia Reinprecht

Österreich hat vor allem im Kulturgüterschutz in bewaffneten Konflikten eine besondere Rolle gespielt und gilt durch die herausragenden Beiträge seiner Expert_innen als einer der Väter des Zweiten Protokolls 1999 zum Haager Übereinkommen 1954, erläutert Claudia Reinprecht. Das Zweite Protokoll 1999 ist das zentrale Instrument zur Weiterentwicklung des internationalen Kulturgüterschutzes im Humanitären Völkerrecht. Unter österreichischer Vorsitzführung wurden die Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung des Protokolls beschlossen. Österreich ist seit 2019 auch wieder Mitglied des zwischenstaatlichen Komitees, das zur Überwachung des Protokolls eingesetzt wurde, und stellt seit 2020 den Vorsitz dieses zwölf Vertragsstaaten umfassenden repräsentativen Gremiums. Reinprecht: „Sollten die Vorschläge, die seit letztem Jahr breit diskutiert werden, vom Komitee und der Vertragsstaatenversammlung angenommen werden, stellen diese neuen Verfahren einen Meilenstein in der Entwicklung des Zweiten Protokolls und dessen konkreter Umsetzung dar.“


ANNA MARIA KAISER
Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Anna Maria Kaiser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrgangsleiterin für Kulturgüterschutz an der Universität für Weiterbildung Krems. Sie hat maßgeblich zum Aufbau und zur internationalen Positionierung des Zentrums für Kulturgüterschutz beigetragen, dessen stellvertretende Leitung sie seit 2020 innehat.

ALESSANDRA BONAZZA
Prof.in Dr.in Alessandra Bonazza ist Wissenschaftlerin am Institute of Atmospheric Sciences and Climate – National Research Council of Italy (Bologna). Sie forscht zum Schutz und der Erhaltung des kulturellen Erbes im Hinblick auf Umweltverschmutzung, Klimawandel und Umweltverträglichkeit sowie zum Bestand von Restaurierungsmaterialien.

DOMINIK HORN
Ministerialrat Oberst Mag. Dominik Horn, MA ist derzeit Special Assistant/Advisor to the Chairman of the European Union Military Committee in Brüssel. Er ist anerkannter Experte für den Kulturgüterschutz. Für die Landesverteidigungsakademie entwickelte er einen Lehrgang zum Kulturgüterschutz.

CLAUDIA REINPRECHT
Botschafterin Dr.in Claudia Reinprecht, MBA ist seit März 2004 im österreichischen Außenministerium tätig. Nach diplomatischen Stationen in Wien, Brüssel, Amman und Hongkong wurde sie 2017 österreichische Botschafterin bei der UNESCO in Paris. Sie widmet sich u. a. der multilateralen Arbeit insbesondere mit den Vereinten Nationen.
 

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