Psychologische Sicherheit reicht weit über das Fehlen von Bedrohung hinaus. Sie beschreibt ein subjektives Empfinden, das im Zusammenspiel individueller Erfahrungen und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen entsteht - mit Vertrauen als entscheidendem Faktor.

Von Mario Wasserfaller

Der US-amerikanische Psychologe Abraham Maslow definierte Sicherheit bereits 1954 als grundlegendes menschliches Bedürfnis, unmittelbar nach existenziellen Erfordernissen wie Nahrung und Schlaf. In seinem vielfach als „Bedürfnispyramide“ dargestellten sozialpsychologischen Modell steht die körperliche, seelische und materielle Sicherheit direkt über den lebensnotwendigen Bedürfnissen und bildet die Basis für soziale und individuelle Entfaltung.

Maslows Bedürfnishierarchie wirkt auf den ersten Blick plausibel, steht jedoch unter anderem wegen ihrer westlich geprägten, individualismus- und statusorientierten Sichtweise sowie aufgrund fehlender empirischer Fundierung in der Kritik. Das zeigt bereits ein zentrales Spannungsfeld in der Diskussion um psychologische Sicherheit auf: Während sich objektive Sicherheit anhand quantifizierbarer Daten wie Kriminalitätsraten zumindest grob erfassen lässt, beruht subjektives Sicherheitsgefühl auf individueller Wahrnehmung und entzieht sich damit einer eindeutigen Analyse.

Mehrheit fühlt sich sicher

Eine Umfrage im Auftrag des Bundesministeriums für Inneres aus dem Jahr 2024 zeigt beispielsweise, dass sich 84 Prozent der österreichischen Bevölkerung „sehr“ oder „eher sicher“ fühlen. Die Ergebnisse variieren jedoch deutlich, etwa in Abhängigkeit von Wohnort oder Bildungsgrad. Menschen mit höherem Bildungsabschluss oder aus ländlichen Regionen empfinden tendenziell mehr Sicherheit als Stadtbewohner_innen oder Personen mit Pflichtschul- oder Lehrabschluss.

Für das individuelle Sicherheitsempfinden sind Statistiken allein kaum ausschlaggebend, weiß Walter Seböck, Leiter des Departments für Sicherheitsforschung an der Universität für Weiterbildung Krems: „Die Wahrscheinlichkeit, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, ist vermutlich in manchen Gegenden geringer als die, von einem Blitz erschlagen zu werden. Trotzdem ist dieses Gefühl da, sich unsicher zu fühlen.“ Seböck führt das Gefühl latenter Bedrohung an, etwa auf Bahnhöfen. Gerade solche öffentlichen Orte werden auch in der genannten Umfrage als besonders unsicher wahrgenommen: Lediglich 55 Prozent der Befragten gaben an, sich dort zumindest meistens sicher zu fühlen.

Selektive Wahrnehmung durch Nachrichten

Negative Ereignisse wie Gewaltverbrechen, Terroranschläge oder Naturkatastrophen schaffen es deutlich häufiger in die Schlagzeilen als positive Nachrichten. Diese selektive Wahrnehmung beeinflusst das Sicherheitsgefühl der Menschen erheblich. Bezeichnet wird diese kognitive Verzerrung als Verfügbarkeitsheuristik: Je öfter Menschen über Risiken hören oder lesen, desto wahrscheinlicher schätzen sie deren Auftreten ein. Soziale Medien verstärken diesen Effekt zusätzlich, indem sie Katastrophen, Gewalttaten und politische Krisen in Echtzeit verbreiten. Dadurch verfestigt sich das Bild einer Welt, die als überdurchschnittlich gefährlich wahrgenommen wird.

Die Ärztin und Psychotherapeutin Vanessa Kreuter erlebt diesen Zusammenhang auch in ihrer Praxis, in der Angststörungen zunehmend zum Thema werden. „Diese empfundene Nähe ist durch die sozialen Medien extrem in den Fokus gerückt, weil sie jede Schwierigkeit, jedes Problem und jede Angst direkt ins Wohnzimmer holen, sagt Kreuter, die eine Kassenpraxis führt und auch als Schulärztin an mehreren Schulen tätig ist. Ihr Rat: so viel Zeit wie möglich offline verbringen, idealerweise mit vertrauten Menschen und fernab vom Smartphone.

 Vanessa Kreuter

„Vertrauen und Kontrolle sind die beiden zentralen Elemente, wenn es um psychologische Sicherheit geht.“

Vanessa Kreuter

Weltverdruss bei Jugendlichen

„Vertrauen und Kontrolle sind die beiden zentralen Elemente, wenn es um psychologische Sicherheit geht, erklärt sie. Menschen müssten darauf bauen können, dass ihre Umgebung Schutz bietet - sei es in der Familie, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum. Die ärztliche Leiterin des Ambulatoriums „Haus der Zuversicht“ beobachtet, dass viele Menschen ihrem Umfeld zunehmend misstrauen, was das persönliche Sicherheitsgefühl deutlich beeinträchtigt. Entscheidend sei, „dass man sich ohne Angst vor einem Verlust an Kontrolle aus dem Haus traut.

Gerade bei Jugendlichen führt fehlendes Vertrauen häufig zu Ängsten, etwa durch Mobbing in der Schule oder durch die Sorge vor äußeren Bedrohungen wie Krieg oder dem Klimawandel. Kreuter schildert die Lage eindrücklich: „Die Ängste beginnen damit, dass sie nicht mehr zur Schule gehen wollen, weil es ohnehin keinen Sinn hat. Entweder werden sie bereits gemobbt oder sie haben Angst, dass es passieren könnte.

Sozialisation, Stabilität und Vertrauen

Auch auf gesellschaftlicher Ebene erweist sich Vertrauen als Schlüsselfaktor. Michael Fischer, Leiter der Fakultät für Sicherheit an der FH Wiener Neustadt, beschreibt Sicherheit als ein gesellschaftlich geformtes Konstrukt, das auf Sozialisation, Stabilität und Vertrauen beruht. „Der Sicherheitsbegriff wird stark durch Sozialisation geprägt - durch Familien, Schulen, Freunde, aber auch Institutionen wie Religion und Medien,“ erläutert Fischer.

Für ihn vermittelt Stabilität ein Gefühl von Sicherheit. Unerwünschte Veränderungen könnten dagegen Unsicherheit auslösen, so der Experte. Das zeige sich etwa in Neophobie, der Angst vor Neuem, oder in Xenophobie, der Angst vor Fremdem. Beides deute auf ein starkes Bedürfnis nach Orientierung hin. Ebenso wichtig sei das Vertrauen in staatliche Institutionen. Fehlt dieses Vertrauen, nimmt das Unsicherheitsgefühl zu.

Auch die Gestaltung des öffentlichen Raums beeinflusst, wie sicher sich Menschen fühlen. Beleuchtete Wege, sichtbare Polizeipräsenz und gepflegte Plätze schaffen Orientierung und Vertrauen, sagt Fischer: „Oft ist Sicherheit nicht nur eine Frage der Kriminalität, sondern auch der Beleuchtung oder von baulichen und stadtplanerischen Maßnahmen.

Michael Fischer

„Der Sicherheitsbegriff wird stark durch Sozialisation geprägt - durch Familien, Schulen, Freunde, aber auch Institutionen wie Religion und Medien.“

Michael Fischer

Wege zur psychologischen Sicherheit

Um das Sicherheitsgefühl in der Gesellschaft zu stärken, braucht es für die Expert_innen ein Bündel gezielter Maßnahmen, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen.

Ein wesentlicher Baustein dessen ist Bildung und Aufklärung, besonders eine frühzeitige Sensibilisierung in Schulen. Kinder sollen lernen, Ängste wahrzunehmen, richtig einzuordnen und souverän mit Krisensituationen umzugehen. Regelmäßige Krisenübungen, vergleichbar mit Erste-Hilfe-Kursen, stärken die Handlungskompetenz. „Übung und permanentes Wiederholen solcher Situationen helfen, in Stressmomenten einen kühlen Kopf zu bewahren,“ erklärt Walter Seböck.

Dazu gehört für den Sicherheitsforscher auch der Kampf gegen die gerade auf sozialen Medien grassierende Desinformation: „Durch technologische Möglichkeiten kann die Realitätsverzerrung immer stärker werden.“ Der Experte verweist diesbezüglich auf laufende Forschungsprojekte an der Universität für Weiterbildung Krems, wie „DESINformations Früh erkennung von gefährdenden online nAChrichten Trends“ (siehe Seite 44) oder „Young Citizen Scientists against Disinformation

Klassische Medien stehen ebenso in der Pflicht. „Medien sollten als vertrauensbildende Maßnahme ihren Beitrag leisten, indem sie neben negativen Ereignissen verstärkt positive Entwicklungen in den Fokus rücken, sagt Vanessa Kreuter. Dadurch entstehe ein ausgewogeneres Bild der Weltlage, das das subjektive Sicherheitsempfinden in der Gesellschaft festigen könne.

Vertrauen gegenüber Institutionen

Ein weiterer Schlüssel liegt im Aufbau von Vertrauen gegenüber staatlichen Institutionen, und gerade das ist alles andere als selbstverständlich. Sichtbare Polizeipräsenz und der offene Dialog mit Bürger_innen, wie ihn die Initiative „Gemeinsam Sicher“ fördert, können dabei unterstützend wirken. „Wir müssen der Polizei wieder ein Gesicht geben,“ fordert Michael Fischer. „Die Bevölkerung muss wissen, wer hinter der Uniform steckt, um Hemmschwellen abzubauen.

Nicht zuletzt ist auch die Sicherheitsforschung gefragt, neue Perspektiven zu entwickeln und tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Sicherheitsfachmann Fischer sieht dabei vor allem im Zusammenspiel Potenzial: „Der Hochschulsektor muss bei Themen wie subjektiver Sicherheit, Cybersicherheit sowie sicherheitsrelevanten Fragestellungen im polizeilichen und gesamtgesellschaftlichen Kontext noch enger zusammenarbeiten.


WALTER SEBÖCK

Assoz. Prof. Mag. Dr. Walter Seböck, MAS MSc ist Professor für Security Studies und leitet das Department für Sicherheitsforschung an der Universität für Weiterbildung Krems.

VANESSA KREUTER

Dr.in Vanessa Kreuter ist Ärztin und Psychotherapeutin in einer niedergelassenen Kassenpraxis, sowie als ärztliche Leiterin des Ambulatoriums „Haus der Zuversicht“ und als Schulärztin in verschiedenen Schulen tätig.

MICHAEL FISCHER

Mag. Dr. Michael Fischer, MSc ist Leiter der Fakultät Sicherheit an der FH Wr. Neustadt und Leiter der Forschungsabteilung der NÖ Landesgesundheitsagentur. Der ehemalige stv. Direktor des Bundeskriminalamts ist promovierter Soziologe und Absolvent des Masterstudiums Politische Bildung an der Universität für Weiterbildung Krems.

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