Um den Wohlstand des Landes abzusichern, ist Zuwanderung erforderlich. Dabei bleiben Migration und vor allem die Integration Risikofaktoren. Gelingt deren Steuerung, profitiert das Land, schlägt Integration fehl, sind Verwerfungen die Folge.

Von Georg Renner

Österreich im Jahr 2040: Ein Land, das sich fundamental gewandelt hat. Die Bevölkerung ist von heute 9,1 auf 9,7 Millionen Menschen angewachsen - ausschließlich durch Zuwanderung, denn die natürliche Bevölkerungsentwicklung ist seit 2020 negativ. Mit einer Fertilitätsrate von nur 1,31 Kindern pro Frau und einer rasant alternden Gesellschaft ist Migration zur Existenzfrage für Österreichs Wohlstand geworden. Doch diese demografische Transformation bringt sowohl wirtschaftliche Chancen als auch gesellschaftliche Herausforderungen mit sich, die eine strategische Neuausrichtung der Integrationspolitik erfordern.

Die demografische Realität zeigt bereits heute klare Muster: Wien wird bis 2040 um 18 Prozent wachsen und bleibt der zentrale Magnet für internationale Zuwanderung. 45,4 Prozent der Wiener Bevölkerung haben bereits einen Migrationshintergrund, während ländliche Regionen wie Kärnten sogar Bevölkerungsverluste verzeichnen werden. Diese Konzentration verstärkt urbane Integrationsherausforderungen erheblich – ein Phänomen, das sich in den Schulstatistiken niederschlägt: 45 Prozent der Wiener Erstklässler gelten als „außerordentliche Schüler", die dem Unterricht sprachlich nicht folgen können.

Der Altersstrukturwandel ist dramatisch: Bis 2040 wird der Anteil der über 65-Jährigen von 19,2 auf 26,6 Prozent steigen, während die Erwerbsbevölkerung bereits seit 2025 schrumpft. Gleichzeitig erreicht der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund 27,2 Prozent der Gesamtbevölkerung – ein Anstieg um 35 Prozent seit 2015. „Wir haben heute einen Anteil von etwa 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung, der nicht hier im Land geboren worden ist", erklärt Mathias Czaika, Professor für Migration und Integration an der Universität für Weiterbildung Krems. „Durch Zuwanderung kompensiert Österreich die Alterung und den Rückgang seiner Geburtenrate. Auch wenn es schwer ist, Entwicklungen der Vergangenheit einfach so in die Zukunft zu projizieren, gehe ich davon aus, dass dieser Trend weitergehen wird und wir mittelfristig Richtung 25 Prozent gehen werden."

Mathias Czaika

„Österreich spielt sicher in der Champions League im Wettbewerb um qualifizierte Migration.“

Mathias Czaika

Auf Zuwanderung angewiesen

Österreichs Wirtschaft ist bereits heute auf Zuwanderung angewiesen. Für 2025 wurden 147 Mangelberufe identifiziert, von Ärzten über IT-Spezialisten bis zu Pflegekräften. Das Gesundheitswesen wird bis 2040 einen Personalbedarf von 360.000 zusätzlichen Arbeitskräften haben. Gleichzeitig steigen die Pensionsausgaben auf 14,7 Prozent des BIP, während das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Pensionisten dramatisch sinkt. Das Land braucht jährlich etwa 50.000 Nettozuwanderer, um Bevölkerungsrückgang und wirtschaftlichen Niedergang zu verhindern.

Doch Czaika sieht die Politik vor einem beträchtlichen Spagat: „Einerseits wird sie versuchen müssen, die ungewollte irreguläre Migration zurückzudrängen, damit die soziale Kohäsion gewahrt bleibt – dabei stößt sie an alle möglichen rechtlichen und faktischen Hürden. Aber gleichzeitig muss sie auch darauf achten, dass Österreich ein attraktives Ziel für reguläre Migranten bleibt, um die Alterung und den Geburtenrückgang auszugleichen und um im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe zu bestehen."

Die Arbeitsmarktintegration zeigt gemischte Erfolge: EU-Bürger erreichen eine Beschäftigungsquote von 76,2 Prozent, Drittstaatsangehörige nur 63,1 Prozent. Besonders problematisch ist die NEET-Rate ausländischer Jugendlicher mit 22,6 Prozent – mehr als doppelt so hoch wie bei einheimischen Jugendlichen. Die Tatsache, dass durch Asylmigration ins Land gekommene Menschen häufig nötige Qualifikationen missen lassen sowie langwierige Anerkennungsverfahren verschärfen die Situation zusätzlich.

Beunruhigende Entwicklungen

Die Kriminalitätsstatistik zeigt beunruhigende Entwicklungen: 46,8 Prozent aller Tatverdächtigen sind ausländische Staatsangehörige, obwohl sie nur 20 Prozent der Bevölkerung stellen. Besonders alarmierend ist die Jugendkriminalität: Die Straftaten von 10-14-Jährigen haben sich seit 2020 nahezu verdoppelt, wobei 48 Prozent der jugendlichen Tatverdächtigen keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Zahlen, die gesellschaftlichen Spannungen – etwa das unbestimmte Gefühl, in Bezirken mit starker Zuwanderung „Fremder im eigenen Land zu sein“ noch verstärken und das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung erheblich beeinträchtigen.

Im Innenministerium verweist man auf die Komplexität der Herausforderungen: Migration, innere Sicherheit und Kriminalitätsentwicklung überschnitten sich in „recht unterschiedliche Zuständigkeiten und Aufgabenbereiche“, eine zentrale Koordination dieser Themenfelder gestalte sich schwierig.

Nicht nur im Sicherheitsbereich gibt es Handlungsbedarf, auch die Bildungsintegration stockt derzeit bedenklich. 45,4 Prozent der im Ausland geborenen Schüler verfehlen die Mindeststandards in Mathematik, verglichen mit 37,8 Prozent in 2012. Das österreichische Schulsystem mit früher Selektion verstärkt diese Benachteiligung. In Wien haben 60 Prozent der Schüler_innen von Mittelschulen einen Migrationshintergrund, was soziale Segregation fördert.

Die österreichische Integrationspolitik zeigt sich ambivalent. Das Integrationsgesetz von 2017 fordert A2-Deutschkenntnisse für Aufenthaltsbewilligung und B1-Niveau für Dauerniederlassung, doch die Erfolgsquote bleibt gering. Nur 29 Prozent der Schüler_innen wechseln nach einem Semester aus Deutschförderklassen in den Regelunterricht. Regional divergieren die Ansätze erheblich: Während Wien auf soziale Durchmischung durch gemeinnützigen Wohnbau setzt, fehlt in ländlichen Gebieten oft die Infrastruktur für erfolgreiche Integration.

Ingeborg Zeller

„Angestrebt wird eine moderne, ganzheitliche Sicherheitskultur, die alle Aspekte der Sicherheit – physisch, psychologisch sowie digital – abdeckt.“

Ingeborg Zeller

Gute Position, komplexe Antworten

Czaika sieht Österreich grundsätzlich gut positioniert: „Österreich spielt sicher in der Champions League im Wettbewerb um qualifizierte Migration. Es ist ein sicheres, wohlhabendes Land, damit ist die Republik jedenfalls konkurrenzfähig. Aber ob das so weitergeht, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, die nicht alle hier im Land bestimmt werden. Österreich wird jedenfalls eine Willkommenskultur für erwünschte Migration pflegen müssen – und generell daran arbeiten müssen, gute Bedingungen für alle Menschen im Land zu erhalten."

Die demografische Realität lässt keine einfachen Antworten zu. Erfolgreiche Modelle anderer EU-Länder bieten Orientierung: Die Niederlande etwa setzen auf dezentrale Flexibilität bei nationaler Koordination, nordische Länder auf umfassende Unterstützungssysteme. Österreich könnte möglichst frühe Bildungsförderung, verbesserte Qualifikationsanerkennung und regionale Verteilungsmechanismen stärken. „Wir sollten Migration jedenfalls nicht nur als Risiko sehen“, sagt Czaika, „wir brauchen einen Perspektivenwechsel, der uns auch die Chancen erkennen lässt“.

Diverses Umfeld mit Folgen

„In Zukunft wird es im Safety-Management verstärkt darum gehen, Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sich auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicher fühlen“, erklärt Ingeborg Zeller, stellvertretende Leiterin des Departments für Sicherheitsforschung an der Universität für Weiterbildung Krems. Denn die Herausforderungen des Arbeitsmarkts verschärfen sich durch die demografische Entwicklung: Eine alternde Erwerbsbevölkerung trifft zunehmend auf kulturell vielfältige Arbeitsumgebungen. Gerade in Zeiten des Wandels – etwa durch die technologische Beschleunigung – wird es daher immer wichtiger, Veränderungsprozesse frühzeitig und transparent zu kommunizieren, um Überforderung zu vermeiden und Sicherheit für alle Beschäftigten zu gewährleisten.

Zeller betont die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes, um alle Herausforderungen zu bewältigen: „Dabei steht im Fokus eine moderne, ganzheitliche Sicherheitskultur zu etablieren, die nicht nur die physische, sondern auch die psychologische und digitale Sicherheit abdeckt. Das kann keine Ebene allein – weder die staatliche noch die Unternehmen oder die zivile – leisten, sondern es wird ein Zusammenspiel aller Ebenen brauchen.“


MATHIAS CZAIKA

Univ.-Prof. Dr. Mathias Czaika ist Leiter des Departments für Migration und Globalisierung der Universität für Weiterbildung Krems. Davor war er an der Universität Oxford tätig, wo er das International Migration Institute leitete. Er forscht u.a. zu internationaler Migration, Globalisierung und Migrationspolitik.

INGEBORG ZELLER

Mag.a Dr.in Ingeborg Zeller, MA ist stellvertretende Leiterin des Departments für Sicherheitsforschung der Universität für Weiterbildung Krems. Sie ist wissenschaftliche Leiterin der jährlichen Sicherheitskonferenz der Universität für Weiterbildung Krems und seit Dezember 2021 Beiratsmitglied des Verbands für Sicherheitstechnik (VfS) in Hamburg.

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