Die Spieltheorie ist ein abstraktes mathematisches Modell, um Entscheidungen in Konfliktsituationen zu durchdenken. Ob man sich mit ihr auskennt, entscheidet im Wirtschaftsleben oft über mehrstellige Millionenbeträge.
Von Miguel de la Riva
Die Wirtschaftsgeschichte ist voll von großen Unternehmen, die von einer überraschenden Innovation in die Knie gezwungen werden. Beispiele sind dafür etwa die Mobiltelefonhersteller Nokia und Blackberry, einst unangefochtene Marktführer, die auch die ersten Handys mit intelligenten Funktionen hergestellt haben – und trotzdem den Anschluss an die Smartphonewelt verloren. „Große Unternehmen stehen immer vor dem Risiko, sich zu sicher zu fühlen und eine disruptive Innovation zu verpassen, die oft aus unerwarteter Richtung kommen kann – sie müssen sich auch dann selbst in Frage stellen, wenn es ihnen noch sehr gut geht“, sagt Barbara Brenner, Managementprofessorin an der Universität für Weiterbildung Krems.
Daraus ergebe sich ein Dilemma von „Exploit“ und „Explore“: „Einerseits sollten Unternehmen versuchen, mit ihrem laufenden Geschäftsmodell auch die dort möglichen Gewinne einzufahren – andererseits müssen Sie aber innovativ bleiben, wenn sie nicht den nächsten Produkt- und Innovationszyklus verpassen wollen“, sagt Brenner. Das sei ein schwieriger Balanceakt, erforderte die Verbindung von Effizienz und Flexibilität doch grundverschiedene Managementstile und Performance-Kennziffern. Der englische Fachausdruck dafür sei „ambidexterity“, also die Fähigkeit, mit beiden Händen gleichermaßen geschickt zu sein.
Entscheidend sei es dabei, wie man das eigene Unternehmen gegenüber Mitbewerbern aufstellt – eine Frage, die sich auch mithilfe der Spieltheorie analysieren lässt. So stelle sich Autobauern aktuell die Frage, inwieweit sie konservativ an ihrem bisherigen Geschäftsmodell festhalten wollen oder ob sie den Sprung wagen und auf neue, potentiell revolutionäre Technologien wie das autonome Fahren setzen. Zu bedenken gelte es Brenner zufolge dabei unter anderem, dass die „first mover“ oft nicht die sind, die aus neuen Innovationen auch erfolgreiche Geschäftsmodelle erschaffen – und dass sich die Konkurrenz zu strategischen Allianzen zusammenschließen kann, bei denen Mitbewerber informell zusammenarbeiten, um einen anderen Konkurrenten auszustechen.

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„Große Unternehmen stehen immer vor dem Risiko, sich zu sicher zu fühlen und eine disruptive Innovation zu verpassen.“
Barbara Brenner
Spieltheorie gegen Marktmacht
Die Spieltheorie informiert jedoch nicht nur Entscheidungen über die Ausrichtung von Unternehmen im Wettbewerb. „Sie ist auch für Behörden wie die Europäische Kommission oder die US-amerikanische FTC wichtig, wenn es darum geht, mit durchdachten Regulierungen zu verhindern, dass einzelne Unternehmen zu viel Marktmacht erhalten“, sagt Maarten Janssen. Er ist Professor am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Wien und ein Experte für Auktionstheorie. In dieser Funktion berät der Niederländer regelmäßig auch Regierungen.
Angefangen hat das im Jahr 2000, als die Regierung seines Heimatlandes UMTS-Mobilfunkfrequenzen versteigerte. Mit Blick auf die Erlöse, die zuvor in Großbritannien erzielt wurden, erhoffte man sich in den Niederlanden 10 Milliarden Euro, die man auch bereits im Haushalt verplant hatte – holte jedoch nur eine Milliarde Euro. Janssen wurde vom Parlament beauftragt, eine Untersuchung über die Ursachen dafür zu leiten. In seinen Augen ist das enttäuschende Ergebnis auf ein schlechtes Auktionsdesign zurückzuführen, das in zuwenig Konkurrenz resultierte.
Der hauptsächliche Fehler der Regierung habe darin bestanden, wie sie Frequenzen zu Paketen gebündelt habe. „In den Niederlanden gab es damals drei kleinere und zwei größere Mobilfunkanbieter, und die Regierung hatte die Frequenzen in drei kleinere und zwei größere Pakete eingeteilt – so gab es eine natürliche Art, wie sich die Unternehmen das Spektrum aufteilen“, sagt Janssen. Weil die Mobilfunkanbieter das verstanden habe, gaben sich die kleineren Anbieter schnell mit den kleineren Paketen zufrieden – sodass ein harter Bieterwettbewerb, der zu höheren Preisen geführt hatte, ausblieb.
Eine erste Schlussfolgerung aus der niederländischen UMTS-Auktion bestehe daher darin, dass man darauf achten muss, die zu versteigernden Güter nicht so zu Paketen zu bündeln, dass sich allen Teilnehmern ein offensichtlicher Weg aufdrängt, wie sie ihren Konflikt lösen können – ein „fokaler Punkt“, wie es in der Fachsprache heißt. Eine weitere wichtige Entscheidung beim Auktionsdesign betreffe die Frage, ob man ein offenes oder verdecktes Bieterverfahren wählt. Weil das verdeckte Verfahren viel Unsicherheit für die Bietenden kreiere, das oft zu suboptimalen Ergebnissen führe, bevorzugt Janssen offene Verfahren, in dem die Bietenden voneinander lernen und ihr Angebot weiter erhöhen können, wenn andere das auch tun.
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„Wenn ich von einem bestimmten Lieferanten abhängig bin, sprechen wir von einer Monopolverhandlung, das ist wie ein Boxkampf, bei dem ich mit dem anderen in den Ring steige.“
Alexander Bergmann
Auftragsvergaben optimieren
Einsichten aus der Auktionstheorie sind nicht nur für Staaten nützlich. Alexander Bergmann, Partner bei Kerkhoff Consulting und dort Head of Negotiations, berät regelmäßig Unternehmen zur Spieltheorie. Meist geht es dabei um Auftragsvergaben – etwa bei einem Automobilhersteller, der für einen dreistelligen Millionenbetrag Kabel bestellt oder ein Eisenbahnunternehmen, das bestimmte Ersatzteile für seine Züge braucht. „In solchen Zusammenhängen entwickeln wir mit unseren Kunden einen maßgeschneiderten Verhandlungs- und Vergabeprozess, mit dem wir oft mehrstellige Millionenbeträge an Einsparungen und andere Konditionsverbesserungen heben können“, sagt Bergmann.
Wichtig sei dabei zu bedenken, in welcher Wettbewerbskonstellation man sich bewegt, führt Bergmann aus. „Wenn ich von einem bestimmten Lieferanten abhängig bin, sprechen wir von einer Monopolverhandlung, das ist wie ein Boxkampf, bei dem ich mit dem anderen in den Ring steige – aber wenn ich zwischen Verhandlungspartnern wählen kann, kann ich mich als Schiedsrichter positionieren und mir intelligente Turnierregeln überlegen.“ Auktionen können ein wichtiger Teil solcher Wettbewerbsvergaben sein, „aber der Prozess geht nicht einfach damit los, dass ich eine Auktion mache – so ein Vergabeprozess will gut durchdacht sein und erfordert eine solide Vorbereitung“, sagt Bergmann.
So sei es zunächst wichtig, den Markt zu verstehen – je nachdem, ob man es mit Bekleidung für Modeketten oder Ersatzteilen für Bremssysteme zu tun hat, können diese sehr unterschiedlich funktionieren. Ein weiterer wichtiger Schritt sei, die Lieferanten, die sich nach Zahlungsfristen, Lieferzeiten oder ihrem Supportangebot stark voneinander unterscheiden können, vergleichbar zu machen, indem all diese Merkmale mit Preisen versehen. „Das ist aus der Innenperspektive des Unternehmens wichtig, denn hier können alle Beteiligten mitsprechen, sodass es hinterher nachvollziehbare Ergebnisse gibt – gleichzeitig kann man so auch nach außen den Lieferanten signalisieren, dass man nicht nur versucht den Preis zu drücken, sondern Ihnen Wertschätzung für andere Leistungen entgegenbringt und dafür einen Bonus bei der Vergabe gibt.“
Erst auf dieser Grundlage könne dann ein konkreter Prozess entwickelt werden, den man den möglichen Lieferanten im Vorhinein erklärt und auf den man sich ihnen gegenüber auch rechtsverbindlich festlegt. Ähnlich wie bei den Mobilfunkauktionen gehe es dabei wiederum darum zu überlegen, wie man Aufträge so in Pakete bündelt und die Vergaberunden so durchführt, dass der Wettbewerb zwischen den Bietern erhöht wird. Bei dieser Planung könne nicht zuletzt auch eine gewisse Dramaturgie eine Rolle spielen – etwa, wenn man den Prozess so aufsetzt, dass bestimmte Teilnehmer_innen mutmaßlich zunächst leer ausgehen, um sie dazu anzustacheln, in der letzten Runde ein besonders gutes Angebot abzugeben.
Nicht immer rational
„Wir verlassen uns da nicht nur auf die rein spieltheoretische Perspektive, sondern versuchen auch psychologische und verhaltensökonomische Erkenntnisse beim Verhandlungsdesign zu berücksichtigen“, sagt Bergmann. „Nicht zuletzt, weil wir sehen, dass Bieter sich auch nicht immer rational im Sinne der Spieltheorie verhalten.“ Wie teuer das Unternehmen zu stehen kommen kann weiß Janssen, der als Beispiel eine Mobilfunkauktion in der Schweiz erwähnt, bei der ein schlecht beratenes Unternehmen 120 Millionen Franken mehr bezahlte als ein Mitbieter und dafür schlechtere Frequenzen bekam – mit der Folge, dass der CEO und CFO zurücktreten mussten. Umso überzeugender wirkt da Bergmanns Aufruf an Studierende: „Für Gebiete wie Spieltheorie oder Behavioral Economics, die zunächst etwas theoretisch anmuten, gibt es hier wirklich ein Anwendungsfeld, in dem man einen Unterschied machen und messbaren Mehrwert heben kann.“
BARBARA BRENNER
Univ.-Prof.in Dr.in Barbara Brenner leitet das Department für Wirtschafts- und Managementwissenschaften an der Universität für Weiterbildung Krems. Davor war sie Fulbright Professor an der University of South Carolina, USA. Brenner forscht zu strategischem Management, Kontroll-, Innovations- und Wissensmanagement multinationaler Unternehmen.
MAARTEN JANSSEN
Univ.-Prof. Dr. Maarten Janssen ist Professor für Mikroökonomik am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Wien und ein Experte für Auktionstheorie. Davor lehrte und forschte er an der Erasmus-Universität Rotterdam.
ALEXANDER BERGMANN
Alexander Bergmann ist Partner bei Kerkhoff Consulting mit Sitz in Düsseldorf und Wien. Er fungiert als Head of Negotiations und berät regelmäßig Unternehmen zur Spieltheorie und Advanced Negotiations.
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