Studierende wollen ihr Curriculum immer öfter selbst zusammenstellen. Deshalb setzen Universitäten und Hochschulen auf „Stackability“ – die Option, Module je nach Interesse und Lebenslage zu kombinieren. Ein Vorgeschmack auf die Weiterbildung von morgen.

Von Hanna Gabriel

Wer einen Bildungsweg wählt, muss Kompromisse eingehen. Kaum ein Studium schmiegt sich wie maßgeschneidert an das eigene Leben. Dabei sollten Bedürfnisse und Erfahrungen berücksichtigt werden, besonders wenn Menschen Vorkenntnisse aus ihrem Beruf mitbringen. Aus diesem Grund bauen Universitäten zunehmend auf Stackability („Stapelbarkeit“) statt auf vorgefertigte Studiengänge –so auch in besonderem Maß die Universität für Weiterbildung Krems.

Beim Schopf gepackt

„Stackable Learning heißt, dass Universitäten kombinierbare Programme anbieten, durch die Studierende ihr Lernen noch stärker selbst steuern können“, erklärt Christina Hell, Leiterin der Abteilung für Lehrentwicklung und Digitale Transformation der Universität Krems. Begünstigt hat das eine Novelle des Universitätsgesetzes von 2002, die erlaubt, informelle Kenntnisse aus dem Berufs- oder Lebensweg für die universitäre Ausbildung zu validieren. „Das war ein riesiger Wurf für den österreichischen Bildungsmarkt, der erstaunlicherweise kaum thematisiert wird“, bemerkt Hell.

Zudem sah die Novelle vor, die wissenschaftliche Weiterbildung in das Bologna-System mit Bachelor- und Masterabschlüssen zu integrieren. „Für die Universität Krems hat das bedeutet, unsere Studienpläne entweder zu adaptieren oder sie komplett neu zu denken. Wir haben uns für Zweiteres entschieden und unser Angebot an die Dynamik der jungen Generation und die des modernen Arbeitsmarktes angepasst“, so Hell. Eines der Kernkonzepte ist Stackability bzw. Modularisierung.

Christina Hell

„Stackable Learning heißt, dass Universitäten kombinierbare Programme anbieten, durch die Studierende ihr Lernen noch stärker selbst steuern können.“

Christina Hell

Stackability in Krems

Die Studien nach „Baukastenprinzip“ gibt es bald auch an der Universität für Weiterbildung Krems, etwa das Bachelorstudium der Weiterbildung, Digitalisierungspädagogik, das im Sommersemester 2024 anläuft. Mitgestaltet wurde es von Stefan Oppl, Dekan und Leiter des Departments für Weiterbildungsforschung und Bildungstechnologien. „Das Studium besteht aus separaten Curricula zum Beispiel über die technischen Grundlagen der Digitalisierung oder spezifische Pädagogik und Didaktik. Die Komponenten kann man einzeln belegen oder sukzessive für einen Bachelorabschluss sammeln“, so Oppl. Auch das Masterstudium der Weiterbildung, eEducation, wird demnächst als eine Auswahl kürzerer Einheiten angeboten, aus denen Studierende ihr personalisiertes Studium zusammensetzen können. Das erhöht die Flexibilität und ist auch für die Universität attraktiv, weil sie die Komponenten in mehreren Fachrichtungen anbieten kann. „So gelingt es, rasch neue Studienprogramme zu gestalten, die den Anforderungen des Arbeitsmarktes entsprechen“, sagt Oppl. „Derzeit erfinden wir die Lehre der gesamten Universität neu – das ist eine einmalige Gelegenheit.“

Mehr Studierende mit Modulen

Mit dem Konzept folgt die Universität Krems dem Vorbild von Bildungseinrichtungen in der Schweiz, Großbritannien oder Irland. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) etablierte Stackability in ihren Weiterbildungsprogrammen vor über 10 Jahren und sie ist seither nicht mehr wegzudenken, so Markus Marti, Leiter des Bereichs Weiterbildung an der ZHAW School of Engineering. „Alle erfolgreichen Hochschulen in der Schweiz haben auf Modularisierung gesetzt. Im Sinne des lebenslangen Lernens müssen wir uns an den Biografien der Menschen orientieren. Das ist sozusagen Lernen à la carte.“

Seit die ZHAW School of Engineering die Modularisierung einführte, stiegen die Studierendenzahlen im Weiterbildungsbereich von rund 450 auf über 1200. Etwa drei Viertel belegen Module mit einer Dauer von ca. einem Semester. „Wichtig ist, im Kleinen anzufangen, aber im Großen zu denken“, betont Marti. „Wenn neue Themen aufkommen, zum Beispiel aktuell Künstliche Intelligenz, dann bieten wir passende Module an und erweitern das Angebot je nach Bedarf.“ Dadurch entsteht eine Dynamik, von der auch die Studierenden profitieren. „Die Gruppen werden ständig durchmischt, sodass man lernt, sich in wechselnden Konstellationen zu organisieren“, sagt Marti.

Wohin mit dem Bildungssystem?

Der positive Effekt geht sogar darüber hinaus, ist Elmar Kutsch überzeugt. Er ist Associate Professor an der Cranfield School of Management in Großbritannien und akademischer Leiter des „stackable“ Masterstudiums Business and Management, das wie andere Masterstudien der Wirtschaftshochschule auch online zur Verfügung steht. „Stackability fördert die Handlungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit und das Verantwortungsbewusstsein – Fähigkeiten, die für den persönlichen und beruflichen Erfolg unerlässlich sind“, so Kutsch. Ihm zufolge ebnen Elemente wie Stackability den Weg zum Bildungssystem der Zukunft: einem dynamischen, auf die Lernenden ausgerichteten Modell mit personalisierten Lernwegen, interdisziplinären Lehrplänen und einem Schwerpunkt auf lebenslangem Lernen und Wohlbefinden. So ist es im britischen System schon heute möglich, dass akademische, berufliche und außerschulische Aktivitäten, wie ehrenamtliche Arbeit oder Selbststudium, in einem ganzheitlichen Bildungsportfolio ineinanderfließen.

Stefan Oppl

„Derzeit erfinden wir die Lehre der Universität neu - das ist eine einmalige Gelegenheit.“

Stefan Oppl

Mit Stackability wird Bildung bis ins Detail personalisierbar. Bei aller Begeisterung, die diese Vielfältigkeit unter jenen auslöst, die am Bildungssystem der Zukunft tüfteln, gesteht Christina Hell ein, dass es auch ein Zuviel an Flexibilität geben kann. „Manche Menschen überfordert diese Freiheit. Deshalb wollen wir Studierende zur Selbstevaluierung motivieren und bei der Modulwahl betreuen. Im Mentoring sollen sie herausfinden, wie ihr persönliches Profil aussieht, was sie mitbringen und was sie noch lernen müssen, um den nächsten Karriereschritt zu schaffen. Denn Individualisierbarkeit ist nicht Beliebigkeit“, so die Expertin für Lehrentwicklung.

Back to the roots

Stackability macht sich derzeit als modernes Bildungskonzept einen Namen. „In Wahrheit führt sie zu den Anfängen der Universität“, sagt Hell. „Der Begriff Bildung stammt vom lateinischen educare, ausbilden, und educere, herausführen bzw. das Potenzial einer Person freilegen.“ Der zweite Aspekt sei an den Universitäten im letzten Jahrhundert in den Hintergrund getreten und könnte durch Stackable Learning zurückkehren. Auch Stefan Oppl sieht in dem Prinzip viel Potenzial: „Wenn wir alle Komponenten komplementär aufbauen, dann könnten wir in Zukunft ein vollkommen individualisierbares, bedarfsorientiertes Studium anbieten.“ So könnte Weiterbildung ohne Kompromisse aussehen.


CHRISTINA HELL

Mag.a Christina Hell leitet die Abteilung für Lehrentwicklung und Digitale Transformation an der Universität für Weiterbildung Krems. Sie studierte Lehramt Anglistik und Französisch in Wien und Montréal und war in der Entwicklung digital gestützter Lehre zuletzt für die Universität Sorbonne, Paris und Universität Oxford tätig.

STEFAN OPPL

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Stefan Oppl, MBA ist Dekan der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur und leitet dort das Department für Weiterbildungsforschung und Bildungstechnologien. Davor forschte er an der Johannes Kepler Universität Linz im Feld Wirtschaftsinformatik.

MARKUS MARTI

Dipl. Informatikingenieur ETH Markus Marti ist Leiter des Bereichs Weiterbildung an der ZHAW School of Engineering. Davor war er Leiter der Schule für Informatik der IFA Weiterbildung AG sowie der Höheren Fachschule für Wirtschaftsinformatik Schweiz.

ELMAR KUTSCH

Dr. Elmar Kutsch ist Associate Professor in Risk Management Leading Complex Change an der Cranfield School of Management, Großbritannien. Er konzipiert dort Programme für Lehrlinge und maßgeschneiderte Kurse zur Entwicklung von Führungskräften, wobei er intuitive und ergebnisorientierte Lernmethoden einsetzt.

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