Demografische Trends, wirtschaftliche Dynamik und vor allem künstliche Intelligenz transformieren weite Bereiche des Lebens und damit die Anforderungen an Bildung. Wie die Universität für Weiterbildung Krems damit umgeht und die Themenführerschaft zu wissenschaftlicher Weiterbildung in Europa übernommen hat, erörtern ihr Rektor Friedrich Faulhammer und der Vizerektor für Lehre/Wissenschaftliche Weiterbildung und digitale Transformation, Peter Parycek.

Interview: Roman Tronner

upgrade: In ihrer Agenda 2030 zur Zukunft der Bildung hebt die UNESCO die Weiterbildung hervor. Die Europäische Union hat 2023 zum Jahr der Aus- und Weiterbildung ausgerufen. Wie schätzen Sie diese Initiativen ein?

Friedrich Faulhammer: Zunächst sehr positiv. Wiewohl ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass die wichtigen Forderungen nach lebensbegleitendem Lernen nicht neu sind. So fand die Gründung der Universität für Weiterbildung Krems bereits im Kontext damaliger europäischer Initiativen statt. Es ist wünschenswert, dass die Ambitionen von EU und UNESCO noch stärker umgesetzt werden. Denn ob in Europa, den USA oder im asiatischen Raum: das Thema lebensbegleitenden Lernens an den Universitäten wird zu einem wesentlichen gesellschaftlichen Eckpfeiler – auch vor dem Hintergrund demografischer Entwicklungen. Die Bevölkerungen altern, die jüngeren Alterskohorten nehmen tendenziell ab. Gleichzeitig müssen sich Menschen im Arbeitsprozess viel stärker und regelmäßiger qualifizieren. So gesehen ist die gesetzliche Reform der wissenschaftlichen Weiterbildung in Österreich im Jahr 2021 auch zum richtigen Zeitpunkt gekommen.

Inwiefern sehen Sie die angesprochene Novelle des Universitätsgesetzes zur Weiterbildung in Österreich auch als Ausdruck eines gesteigerten Bewusstseins für die Relevanz lebensbegleitender Weiterbildung?

Peter Parycek: Sie ist ein deutliches Bekenntnis zum hohen Stellenwert universitärer Weiterbildung und schafft neue Möglichkeiten. Die Reform stärkt die Qualität, schafft eine noch stärkere Integration von Weiterbildung in das Bologna System Bachelor-Master-PhD und sorgt damit auch für Durchlässigkeit und klare Übergänge zwischen Regel- und Weiterbildungsstudien. Für unsere Universität ist die Reform eine große Chance, uns noch stärker zu positionieren. Die Einführung neuer Abschlüsse in Form eines Weiterbildungs-Bachelor sowie des Bachelor- bzw. Master-Professional erhöhen die Möglichkeiten. Letztere stärken zudem auch die Zusammenarbeit zwischen Universitäten mit Wirtschaft und Gesellschaft, denn diese sind ganz spezifisch auf Kooperationen zugeschnitten. Wir bemerken bereits jetzt hohes Interesse verschiedener Institutionen, im Rahmen des neuen Bachelor Professional gemeinsame Programme zu entwickeln und durchzuführen.

Ich komme noch einmal zurück auf die UNESCO Agenda 2030. Diese adressiert speziell die Universitäten. Warum sind diese für Weiterbildung besonders berufen?

Faulhammer: Universitäten halten neueste Forschungsergebnisse auf höchstem und evidenzbasiertem Niveau bereit. Und sie unterziehen sich als Organisation Mechanismen der laufenden Qualitätssicherung. Daher ist es naheliegend, dass Universitäten neues, aus der Forschung entstandenes Wissen auch für die Qualifizierung der gesamten Gesellschaft verstärkt zur Verfügung stellen. Universitäten als eine wichtige Säule der Weiterbildung zu verankern, ist ein deutlicher sowie notwendiger Beitrag zur Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.

Friedrich Faulhammer

„Es sind Zeiten zunehmend vorüber, in denen sich Studierende neben Beruf und Familie für einen langen Zeitraum verpflichten. Daher erweitern wir die Lehre um neue Formate im Sinne der Flexibilität. “

Friedrich Faulhammer

Warum ist aus Ihrer Sicht gerade wissenschaftliche Weiterbildung geeignet, um gesellschaftlichen Herausforderungen von heute und morgen zu begegnen?

Parycek: Wenn wir uns die verschiedenen Weiterbildungsprogramme ansehen, dann bildet sich da immer eine starke Brücke zwischen Theorie und Praxis. Weiterbildung ist wesentlich näher an den grundsätzlichen Problemstellungen und Herausforderungen der Praxis, sprich Wirtschaft und Gesellschaft. Darüber hinaus ist Transdisziplinarität, also die Verbindung von Universität und Gesellschaft ein Wesensmarkmal unserer Forschung und Lehre. Die transdisziplinäre Vorgehensweise ermöglicht uns aktuelle globale oder lokale Problemstellungen direkt in unserer Aktivitäten einzubinden. In der Folge werden im Zusammenwirken von wissenschaftlichen Mitarbeitenden, den Studierenden und ihrer vielfältigen Zugänge und beruflichen Hintergründe sowie Expertinnen und Experten Lösungskonzepte erarbeitet, die im Idealfall in der Praxis ihre Anwendung finden. Das ist eine Stärke unserer Universität, die wir in Zukunft noch intensiver zur Geltung bringen werden.

Der Trend in der Weiterbildung geht in die Richtung, dass Erwachsene kürzere Programme und eine gewisse Flexibilität hinsichtlich der Umsetzung einfordern. Wie geht die Universität für Weiterbildung Krems damit um?

Faulhammer: Dieser Trend zeichnet sich nicht nur hierzulande, sondern in vielen Ländern ab: kürzere Programme in kürzeren Zeiträumen. Studierende, die berufstätig sind, sollen so für die Universität interessiert werden. Was unsere Universität betrifft: Wir haben auf Basis der Weiterbildungsreform infolge der Gesetzesnovelle sowie auf Basis der internationalen Entwicklungen kürzere und kombinierbare Programme erarbeitet. Das heißt, wir setzen das Konzept der sogenannten Stackability um: Studierende bekommen die Chance, vielleicht nur für ein Modul oder für ein Semester zu studieren und erst später diese Abschnitte zu einem Programm zusammenzufügen, etwa zu einem Kurzprogramm, einem Bachelor- oder Masterstudium der Weiterbildung.

Die Möglichkeiten der Gesetzesnovelle bieten uns jene Flexibilität, die dafür erforderlich ist. Es wird für Studierende zunehmend schwieriger, sich neben Beruf und Familie für einen langen Zeitraum zu verpflichten. Die Menschen wollen in kürzeren Zeiträumen studieren. Und sie wollen vor allem zusätzliche spezifische Qualifikationen, die sich vielleicht in fünf Jahren anders darstellen als heute. Daher erweitern wir die Lehre um neue Formate im Sinne dieser Flexibilität. Damit sind wir auch international kompatibler und erleichtern den internationalen Austausch der Studierenden.

Wie wollen Sie dafür sorgen, dass im Rahmen der Stackability kürzere Programme ebenso über die notwendige Tiefe und Qualität verfügen?

Parycek: : Über curriculare Ausgestaltung. Gestalterinnen und Gestalter der beispielsweise kürzeren Zertifikatprogramme an der Universität nehmen eine Selektion vor, auf deren Basis in einem Curriculum unterschiedliche Kombinationen festgelegt werden, die Studierende auswählen können. So wird mit curricularer Prägung Beliebigkeit vermieden und ein übergeordnetes Lernergebnis sichergestellt. Die andere Form, an der wir aktuell arbeiten, ist die Ermöglichung von individuellen Curricula. Dabei haben Studierende die Möglichkeit Inhalte gemäß ihrer individuellen Bedürfnisse auszuwählen und diese werden über Learning Agreements qualitätsgesichert. Damit können wir einerseits Qualität der Bachelor- und Masterstudien der Weiterbildung sicherstellen, aber gleichzeitig hochindividuelle Lernergebnisse erzielen.

Kann die verstärkte individuelle Ausgestaltung des Studiums nicht auch zu einer Überforderung der Studierenden führen, Stichwort Paradox of Choice?

Faulhammer: Auch im Bildungsbereich steigt die Vielfalt des Angebots. Insofern ist unser Modell ein sehr positives, weil es eben auch die Möglichkeit gibt, flexibler zu sein und einzelne Module auszuprobieren, ohne gleich ein ganzes Weiterbildungsstudium zu wählen. Grundsätzlich wird es Beides geben: vordefinierte Studien wie bisher sowie individuelle Lernpfade. Jeweils mit einem hohen Maß an Flexibilität in der Umsetzung, inhaltlich sowie insbesondere auch zeitlich und örtlich.  Künftig wird dabei die Beratung von Studieninteressierten eine noch stärkere Rolle spielen.

Die Universität für Weiterbildung Krems ist in der Lehre, insbesondere mit hybriden Settings im Rahmen Online-Lernen, Blended oder Distance Learning sehr weit in der Digitalisierung. Wie sehen Sie den Status quo und Lehrkonzepte der Zukunft?

Parycek: An der Universität für Weiterbildung Krems fokussieren wir auf die umfassende transformative Wirkung der Digitalisierung. In dieser Transformation haben wir subjektiv gefühlt als gesamte Gesellschaft eine erste Zwischenstation erreicht, aber die digitale Reise geht weiter. Wir leben in einer Umbruchszeit und wir dürfen miterleben – was nicht so häufig in der Menschheitsgeschichte vorkommt -, dass wir von einer Epoche in eine andere übergehen. Solche Brüche gab es in der Antike mit der Frage, ob das gesprochene Wort der Philosophen auf Papier festgehalten werden darf, dann mit dem Buchdruck und nun mit den digitalen Medien. Es ist die Zukunft nicht vorhersagbar, aber gestalten müssen wir sie.

Zur Lehre an unserer Universität: Wir setzen die digitalen Möglichkeiten innovativ und mit Bedacht auf den Bedarf unserer Studierenden ein. Denn unsere Studierenden müssen in aller Regel Familie, Beruf und Studium managen. Das erfordert flexible Formate. Ich hätte vor der Pandemie dagegen gewettet, dass man kreative Prozesse zum Beispiel mit elektronischen Whiteboards in Kleingruppen auch online durchführen kann. Heute ist das Realität. Auch in Zukunft wird es eine sehr hohe Nachfrage nach Online- und Distance-Konzepten geben. Gleichzeitig wissen wir: Studierende schätzen die soziale Nähe. Es gilt also herauszufinden, wann gehe ich ganz gezielt in die Online-Welt mit Inhalten, die vielleicht zeitlich flexibel abgerufen werden können. Wo verwende ich kreative Onlineprozesse? Wann gehe ich auch einmal in den hybriden Raum, also die Kombination aus physischer Präsenz am Campus und Zuschaltung? Gerade nach Online-Formaten verlangen Studierende vermehrt. Daher muss es für die Studierenden attraktiv sein, an den Campus zu kommen. Sie müssen verstehen und sehen, warum es einen Mehrwert bietet, hier an der Universität in der Interaktion mit anderen Studierenden zu sein.

Künstliche Intelligenz gilt unbestritten als disruptive Technologie, die alle Lebensbereiche erfasst. Viele Berufsbilder werden sich verändern. Welche Botschaft hat da eine öffentliche Universität für Weiterbildung?

Faulhammer: Wir sehen das Thema KI äußerst chancenreich und positiv. Und ja, KI wird Berufsbilder verändern, dabei ist es mir aber wichtig zu betonen, dass KI per se nicht Menschen ersetzen wird, sondern viel mehr werden Menschen, die mit KI umgehen können, jene Menschen ersetzen, die nicht mit KI umgehen können. Was wir als Universität daher jedenfalls tun müssen, ist Menschen mit notwendigem Wissen und Fähigkeiten auszustatten, damit sie in einer digitalen Welt mit der künstlichen Intelligenz umgehen und arbeiten können. Universitäten, insbesondere universitäre Weiterbildung, muss Menschen für ein neues Zeitalter qualifizieren. Auch dadurch muss Bildung stärker als Weiterbildung gedacht werden und das Thema KI aktiv gestaltet werden.

Peter Parycek

„Wir leben in einer Umbruchzeit und wir dürfen miterleben, dass wir von einer Epoche in eine andere übergehen. Um künstliche Intelligenz in Anwendung zu bringen, braucht es ein Mehr an Bildung und Weiterbildung.“

Peter Parycek

Wie kann künstliche Intelligenz am besten in die Lehre integriert werden?

Parycek: Zunächst: Künstliche Intelligenz, wie wir sie gerade erleben, ist ein Expert_innensystem par excellence, denn intelligent im klassischen Sinne ist sie eigentlich nicht. Daher braucht es Expertise, um das Ergebnis der KI bewerten können. Daraus folgt ein Mehrbedarf an Bildung und Weiterbildung, um KI sinnhaft in Anwendung zu bringen. Zur Integration in die Lehre: KI wird unterschiedliche Ausprägungen haben und sich domänenspezifisch entwickeln. Der beste Weg ist es daher, mit Studierenden gemeinsam zu erarbeiten, wie sie diese KI-basierten Werkzeuge in ihre Arbeitsprozesse integrieren können und damit auch leistungsfähiger werden. So kann KI beispielsweise zur persönlichen Assistenz werden. Ein weiterer Aspekt sind die Fähigkeiten von KI in der Analyse, Stichwort Learning Analytics. KI kann dabei unterstützen, Kompetenzen, Schwächen und Stärken leichter festzustellen und damit die Lehre noch besser und personalisierter durchzuführen.

Anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums der Universität vor drei Jahren meinten Sie, Herr Faulhammer, 2050 werde Weiterbildung eine Schlüsselrolle und eine nicht wegzudenkende Stütze prosperierender Gesellschaften spielen. Welche Rolle wird die Universität Krems idealerweise darin spielen?

Faulhammer: Damals habe ich gesagt, als Universität für Weiterbildung Krems wollen wir die Themenführerschaft in der wissenschaftlichen Weiterbildung ausbauen und das ist der Universität aufgrund der vielzähligen Aktivitäten und Initiativen durchaus gelungen. Erwähnen möchte ich insbesondere unser Engagement auf europäischer Ebene zur Errichtung einer europäischen Universitätsallianz für wissenschaftliche Weiterbildung, um die weltweite Sichtbarkeit und Bedeutung zu unterstreichen, ganz im Sinne des von den EU Staats- und Regierungschefs in Porto 2021 formuliertem Zieles, dass sich bis 2030 60 Prozent der Erwachsenen jährlich weiterbilden. Wir wollen weiterhin starke Impulse setzen, damit die Universität der Zukunft nicht länger vordergründig als eine „Alma Mater“ wahrgenommen wird, sondern sich zur „Alma Socia“ wandelt, einer Gefährtin, die Menschen ihr ganzes Leben mit entsprechenden Qualifizierungsmöglichkeiten begleitet.

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