Die Zukunft des Lernens braucht neue Räume – sowohl im didaktischen als auch im wörtlichen Sinn. Konkrete Pläne und Vorbilder dafür gibt es bereits ebenso wie eine Idee, welche Rolle KI dabei spielen könnte.

Von Andreas Aichinger

In der Arbeits- und Bildungswelt der Gegenwart ist physische Anwesenheit auf einmal keine Selbstverständlichkeit mehr, virtuelle Begegnungsformen dafür gefühlte Realität. Gleichzeitig fehlen vielfach noch theoretische Grundlagen und zielgerichtete praktikable Anwendungen für Bildung in diesem neuen Rahmen. An der Universität für Weiterbildung Krems kennt man die neue Dimension der Herausforderung. Und kann gleichzeitig auf eine langjährige Beschäftigung mit neuen didaktischen Konzepten und Lernräumen verweisen. Einer, der jetzt der Zukunft neue Räume geben will, ist Tobias Ley, Leiter des Zentrums für Digitalisierung im lebensbegleitenden Lernen. Und zwar im wahrsten Sinn des Wortes.

Neues Zukunftslabor InnoTELL

Bereits 2024 soll am Campus der Universität für Weiterbildung in Krems ein neues „Zukunftslabor für Lehr- und Lerninnovation in der Weiterbildung“ unter dem Namen „InnoTELL“ geschaffen werden. Tobias Ley: „InnoTELL soll den ganzen Innovationsprozess von der kreativen Gestaltung von Lernszenarien bis hin zur Evaluation unterstützen. Das Endziel ist ein wirksames, verständliches und einsetzbares Lernszenario.“ Jedem der drei Prozessschritte – Brainstorming & Reflexion, Experimentieren & Explorieren sowie Testen & Evaluieren – soll dabei jeweils ein spezifischer Raum gewidmet sein. Mehr noch: InnoTELL soll nicht nur eine moderne Testumgebung für Forschung im Bereich Bildungstechnologie und Weiterbildung werden, sondern auch als Inkubator für neue didaktische Methoden fungieren.

Für die Universität für Weiterbildung Krems ist das Zukunftslabor somit ein wichtiger Baustein ihrer strategischen Ausrichtung als Themenführerin im Bereich der Weiterbildung. Daher wird das Labor auch eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung von Lehrangeboten und Lehrenden spielen. Zudem gibt es eine enge Kooperation zwischen Forschenden an der Universität für Weiterbildung Krems und den Dienstleistungszentren, die für die Innovation und Verstetigung der Lehrangebote zuständig sind. „Der Lernraum, die Technologie und die entsprechenden didaktischen Konzepte werden bei InnoTELL zusammenspielen und eine Synthese eingehen“, fasst Tobias Ley zusammen. Nachsatz: „Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr bereits eine erste Version erproben können.“

Learning Analytics als KI-Treibstoff

Im Fokus der Forschungsanstrengungen soll unter anderem auch die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) für Lehr- und Lernpraktiken stehen. Dabei schlägt Tobias Ley auch die Brücke zur lernanalytischen Forschung: „Ein neuer Aspekt ist, dass KI-basierte Lern-Anwendungen heute auf immer mehr natürliche Daten zurückgreifen können. Learning Analytics sind eine wichtige Hilfe, um Lernprozesse durch Daten sichtbar zu machen und Lehrkräften konkrete Informationen etwa zu Verbesserungsmöglichkeiten anbieten zu können.“ Nur durch solche Unterstützungsangebote könnten diese auch tatsächlich neue Lernformen umsetzen. Leys Prognose: „Die Lernangebote werden flexibler und individueller werden, und die Forschung zeigt, dass auch das soziale Lernen einen höheren Stellenwert bekommen muss. Die Herausforderung für die Lernraumgestaltung ist es, solche flexiblen und sozialen Lernräume anzubieten.“

Informelle Lernräume

Katja Ninnemann forscht in Berlin ebenfalls an Fragestellungen, die sich um die Verortung von Lehr- und Lernprozessen drehen. Im Rahmen des Forschungsprojekts NIILS (New Approaches for Inclusive Informal Learning Spaces) kooperiert die Professorin der HTW Berlin mit der Universität für Weiterbildung Krems. Noch bis Juni 2024 will das internationale Projektteam der Frage nachgehen, wie informelle und nicht-konventionelle Lernräume im Hochschulbereich genutzt werden. Und zwar mit dem Ziel, Lernumgebungen zu fördern, die das Lernen und Wohlbefinden von Studierenden unterstützen. Dabei warnt Ninnemann allerdings vor einer bloß vordergründigen Orientierung an technischen Raumfaktoren wie Licht, Belüftung oder Akustik. Gesellschaftliche Veränderungen und der Trend zum lebensbegleitenden Lernen hätten nämlich dazu geführt, dass die Anforderungen und Empfindungen der Studierenden dafür zu heterogen seien. Ninnemann: „Was das Thema Didaktik und die Verortung von Lehr- und Lernprozessen angeht, ist unheimlich viel in Bewegung gekommen. Und zwar nicht zuletzt durch technologische Transformationsprozesse, durch die Pandemie und umfangreiche Erfahrungen durch E-Learning.“

Tobias Ley

„Die Forschung zeigt, dass auch das soziale Lernen einen höheren Stellenwert bekommen muss. Die Herausforderung für die Lernraumgestaltung ist es, solche flexiblen und sozialen Lernräume anzubieten.“

Tobias Ley

Fokus Lernraum-Organisation

Dennoch sieht Ninnemann so etwas wie einen roten Faden: „Wir haben festgestellt, dass es übergeordnete Kriterien wie Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Lernumgebungen gibt, um Studierende in ihren Lernprozessen zu unterstützen und sie an eine Hochschule zu binden.“ Wie Studierende vor allem miteinander interagieren und kommunizieren können, nimmt Einfluss auf die soziale Integration und in der Folge das Wohlbefinden – Faktoren, die im Zusammenhang mit Drop-Out-Quoten stehen. Ninnemanns NIILS-Learning bisher: „Die Quintessenz unserer Befragungen im Rahmen des Projekts war, dass eine infrastrukturelle Verbesserung von informellen und formellen Lernumgebungen keineswegs unbedingt die Schaffung neuer Orte verlangt, sondern vielmehr eine bessere Organisation, Kommunikation und Sichtbarmachung bereits vorhandener Lernräume.“ Nachsatz: „Das Credo meiner Forschungsergebnisse ist, dass Lernraumgestaltung eigentlich einen stärkeren Fokus auf Lernraumorganisation braucht.“

Onlife Spaces & Modellräume

Mit den sogenannten „Onlife“ Learning Spaces hat Ninnemann zudem eine Terminologie des italienischen Philosophen Luciano Floridi aufgegriffen, die der verschwimmenden Grenze zwischen physischen und virtuellen Räumen Rechnung trägt: „Wir müssen beide Sphären zusammenführen. Wir sehen bei Lern- und Arbeitsumgebungen, dass Technologien immer kleinteiliger in physische Räume eingewebt werden, sei es durch Devices oder durch vernetzte Objekte.“

Professional Noticing

Die Verbindung von Theorie und Lehr- und Lern-Praxis ist auch eines der wissenschaftlichen Ziele von Isabell Grundschober. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Leiterin am Zentrum für angewandte Forschung und Innovation für lebensbegleitendes Lernen hat Grundschober vor kurzem einen Workshop veranstaltet, der beispielhaft zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Im Fokus des Angebots für Lehrende standen nämlich neue Lern- und Lehrmethoden im Bereich Entrepreneurship, die wiederum vor dem Hintergrund des aktuellen EU-Forschungsprojekts Promise zu sehen sind. Dazu Grundschober, gleichzeitig Projektverantwortliche: „Im Projekt geht es um Professional Noticing als einen Ansatz, der die Aus- und Weiterbildung von Entrepreneurs bereichern kann. Wir wollen Studierende und angehende Entrepreneurs dabei unterstützen, die wichtigen Aspekte in ihrem Arbeitskontext besser wahrzunehmen und zu bemerken.“ Grundschober, ganz grundsätzlich: „Es gibt heutzutage einen viel breiteren Lernbegriff, viel mehr Möglichkeiten und wenigstens theoretisch einen viel breiteren Zugang zu Lernangeboten. Man lernt zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Freizeit.“ Gerade die von einer „sehr lehrendenzentrierten Didaktik“ geprägten Hochschulen stünden daher vor der Herausforderung, sich entsprechend zu positionieren.

Individualität dank „HyFlex“ & KI

Dafür sollen zukunftsorientierte und technologiegestützte Lehrformen entwickelt werden, so Grundschober. Einer der vielversprechenden Ansätze ist dabei das sogenannte HyFlex-Modell, das „hybrid und flexibel“ meint und eine Sonderform des hybriden Unterrichts darstellt. Isabell Grundschober: „Bei HyFlex-Kursangeboten können die Studierenden selbst entscheiden, wann und in welchem Modus – in physischer Präsenz, in virtueller Präsenz oder mittels asynchron-zeitversetzter Online-Kommunikation – sie teilnehmen wollen.“ Grundschober hat sich unter anderem anhand der postgradualen medizinischen Weiterbildung mit der Eignung von HyFlex beschäftigt: „Wir haben festgestellt, dass die Zielgruppe diese asynchronen und hybriden Varianten begrüßt. Aber es ist sicherlich vor allem am Anfang auch eine Herausforderung für die Lehrenden, das in sinnvollen didaktischen Arrangements umzusetzen.“ Umgekehrt würden HyFlex-Modelle besonders Studierenden entgegenkommen, die Vollzeit arbeiten oder eine Familie haben. „Flexible Lern-Lehr-Formate wie HyFlex werden zunehmend Standard werden“, erwartet Grundschober daher. Tobias Ley wiederum spannt den Bogen zurück zur möglichen Rolle der KI: „Meine Zukunftsvision ist, dass Lehrkräfte durch einen geschickten Einsatz der KI eine stärker personalisierte und individuellere Lernunterstützung geben und so flexibleres Lernen ermöglichen können.“

Katja Ninnemann

„Das Credo meiner Forschungsergebnisse ist, dass Lernraumgestaltung eigentlich einen stärkeren Fokus auf Lernraumorganisation braucht und nicht unbedingt neue Orte.“

Katja Ninnemann


TOBIAS LEY
Univ.-Prof. Dr. Tobias Ley ist Professor für Weiterbildungsprozesse in digital gestützten Lehr- und Lernräumen und Leiter des Zentrum für Digitalisierung im lebensbegleitenden Lernen der Universität für Weiterbildung Krems.

KATJA NINNEMANN
Prof. Dr. Katja Ninnemann hat an der TU Wien über Innovationsprozesse bei der Lernraumgestaltung an Hochschulen promoviert. Die Expertin für Gestaltungspraktiken und Gestaltungsprozesse hybrider Lern- und Arbeitsumgebungen ist seit 2020 Professorin für Digitalisierung und Workspace Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin).

ISABELL GRUNDSCHOBER
Isabell Grundschober, BEd, BSc, MA ist Co-Zentrumsleiterin am Zentrum für angewandte Forschung und Innovation für lebensbegleitendes Lernen der Universität für Weiterbildung Krems. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt sie sich mit Forschung und Entwicklung im Bereich Instructional Design in der Aus- und Weiterbildung von Erwachsenen.

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