Was lebensbegleitendes Lernen mit Bildungsgerechtigkeit zu tun hat und wie die Validierung von Kenntnissen der sozialen Durchlässigkeit hilft und die Wettbewerbsfähigkeit stärkt, erörtern die Vizerektoren der Universität für Weiterbildung Krems, Stefan Oppl und Daniel Varro.
Von Roman Tronner
upgrade: Die europäische Hochschullandschaft erlebt viele Entwicklungen – auch die Universität für Weiterbildung Krems. Wie sieht der typische Studierende einer Weiterbildungsuniversität gegenwärtig aus, was motiviert ihn zu studieren?
Stefan Oppl: Der typische Weiterbildungsstudierende hat sich über die Jahre kaum verändert: berufserfahren, mit einem spezifischen oder persönlichen Qualifikationsbedarf. Meist nach einem Erststudium und umfassender Berufspraxis geht es um gezielte akademische Weiterbildung. Die Motive sind vielfältig: das berufliche, auch finanzielle Weiterkommen im Sinne einer Weiterqualifikation. Verstärkt sehen wir auch den Wunsch nicht nur nach Höher-, sondern generell nach Qualifizierung, auch in neue berufliche Perspektiven. Für alle bieten wir Formate, die sich gut mit Beruf und Alltag vereinbaren lassen.
Daniel Varro: In der Frage des Studierendenprofils spiegelt die Universität gesellschaftliche Entwicklungen und Transformationsprozesse wider. Je dynamischer diese Prozesse, desto wichtiger wird die gezielte Kompetenzerweiterung für den beruflichen Aufstieg – sei es aktuell im Bereich KI oder zuvor bei Digitalisierung und IT. Früher reichte oft eine Ausbildung für die gesamte Karriere, heute ist lebensbegleitendes Lernen unerlässlich, und zwar in allen beruflichen Sparten. Unsere Universität schafft genau für diese Anforderungen punktuelle, passgenaue Weiterbildungsmöglichkeiten – für beruflichen Aufstieg und persönliche Entwicklung.
Die UG-Novelle im Jahr 2021 schränkt den Zugang zu Masterstudien der Weiterbildung für berufserfahrene Personen ohne Bachelorabschluss stark ein. Wie bewerten Sie die Situation, welche Möglichkeiten sehen Sie zukünftig?
Oppl: Die Novelle hat nicht nur Einschränkungen gebracht, sondern auch große Potenziale eröffnet. Der Weiterbildungsbereich wurde Bologna-kompatibel ausgestaltet, Abschlüsse von Weiterbildungsstudien sind gleichwertig mit ordentlichen Studien – ein hochschulisches Asset, das die Durchlässigkeit zwischen Studien deutlich erhöht. Ein Schwerpunkt war der Weiterbildungsbachelor: Hier haben wir tragfähige Modelle entwickelt, die direkt anschlussfähig sind. Es fehlt jedoch die Möglichkeit, jene zu erreichen, die keinen vollständigen Bachelor absolvieren können – etwa aus finanziellen oder zeitlichen Gründen –, und ihnen dennoch wieder den Zugang zu Masterstudien der Weiterbildung zu ermöglichen. Dafür braucht es Weiterentwicklung des gesetzlichen Rahmens, insbesondere bei der Anerkennung bereits erworbener beruflicher Kompetenzen für die Zulassung. Die Universität für Weiterbildung Krems ist in Österreich führend bei Validierungsprozessen und begleitet sie wissenschaftlich. Wenn wir diese Erfahrungen auch für die Zulassung nutzen dürften, könnten wir ein Modell schaffen, das soziale Durchlässigkeit und wissenschaftliche Qualität gleichermaßen sichert.
Varro: Gleichzuhaltende Qualifikation beschäftigt uns intensiv, denn sie ist auch eine soziale Frage: Viele Menschen ohne Studium oder Matura haben umfangreiche berufliche Erfahrung gesammelt, Steuern gezahlt und das System mitgetragen. Wenn sie nun vom Zugang ausgeschlossen sind, entsteht eine soziale gläserne Decke. Unsere Gesellschaft sollte jedem, der genug Praxis und Kompetenz mitbringt, die Chance geben, den nächsten Schritt zu gehen – unter objektiver und qualitätsgesicherter Validierung der Vorerfahrungen.
Eine weitere Entwicklung: Das verstärkte Aufkommen von Micro-Credentials. Wie wird die Strategie in der Lehre sein?
Oppl: Die Nachfrage nach Micro-Credentials ist punktuell spürbar, vor allem dort, wo Unternehmen gezielt Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden fördern. Am freien Markt ist das Format noch wenig etabliert – hier braucht es Bewusstseinsbildung. Ein spannendes Entwicklungsfeld ist die Frage, wie wir als Universität einen Rahmen schaffen können, in dem über längere Zeit gesammelte Micro-Credentials zu einem akademischen Abschluss führen. Ein qualitätsgesichertes, aber flexibel gestaltbares Studium auf Basis nachgewiesener Kompetenzen wäre ein innovativer Schritt – und mit dem bestehenden rechtlichen Rahmen bereits ansatzweise umsetzbar. Daran arbeiten wir aktiv weiter.
Varro: Universitäre Ausbildung gilt in Österreich als die „hochwertigste“ – doch das klassische Schema Bachelor, Master, PhD bildet die Realität nicht vollständig ab. Es gibt einen wachsenden Bedarf an kurzen, spezialisierten und qualitativ hochwertigen Weiterbildungsprogrammen. Der Bachelor als Einstiegsschwelle hält viele ab, weil sie mit einem mehrjährigen Studium verbunden ist. Andere Anbieter haben diese Lücke erkannt – Universitäten müssen ihr ebenfalls begegnen, wenn sie gesellschaftlich wirksam sein wollen. Die Universität für Weiterbildung Krems ist prädestiniert dafür, solche Programme auf akademischem Niveau anzubieten, mit forschungsgeleiteter Lehre und klarer Spezialisierung. Das ist ein wichtiger Schritt, um den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden und neue Zielgruppen zu erreichen.

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„Wir bieten fokussierte Studien programme zu relevanten Themen – nicht zu solchen, die in wenigen Monaten wieder verschwinden. Genau hier positio nieren wir uns.“
Stefan Oppl
Die Universität für Weiterbildung Krems ist führend im Bereich der universitären Weiterbildung. Was macht für Sie dort im Vergleich zu anderen Bildungseinrichtungen ein Studium besonders?
Oppl: Wissenschaftliche Weiterbildung orientiert sich stark an den Bedürfnissen der Studierenden – sowohl inhaltlich als auch im Studienformat. Inhaltlich geht es um die Kontextualisierung im jeweiligen Berufsfeld, den hohen Anwendungsbezug und einen transdisziplinären Zugang, bei dem wissenschaftliches und praktisches Wissen integrativ zusammengeführt werden. Unsere Studierenden bringen wertvolle Expertise mit, die wir in Forschung und Lehre nutzen – das macht den besonderen Charakter dieser Studienprogramme aus. Methodisch und theoriegeleitet heben sie sich klar von nichtakademischen Angeboten ab. Gleichzeitig gestalten wir unsere Lehrformate als vereinbar mit beruflichen und privaten Verpflichtungen – im besten Fall wirken sie sogar synergetisch.
Spätestens mit der Covid-19-Pandemie hat die digitale Transformation an Fahrt aufgenommen. Wohin geht die digitale Reise der Universität, welche Rolle wird Lehre in physischer Präsenz zukünftig einnehmen?
Oppl: Physische Präsenz bleibt wichtig – aber nur, wenn sie echten Mehrwert bietet. Präsenz muss didaktisch oder sozial begründet sein, etwa durch Austausch, Praxisarbeit oder transdisziplinäre Zusammenarbeit. Unsere Studierenden profitieren stark voneinander, dieser Lernprozess lässt sich nicht digital ersetzen. Reine Frontalvorträge rechtfertigen keine Anreise – das funktioniert zu Hause oft besser und bedarfsgerechter. Präsenzformate müssen daher kontextualisiert und interaktiv gestaltet sein. Insgesamt geht es nicht um „mehr digital oder mehr physisch“, sondern um inhaltsgeleitete Entscheidungen. Wo digitale Formate sinnvoll sind, setzen wir sie gezielt ein – wo Präsenz didaktisch notwendig ist, bleibt sie zentraler Bestandteil unserer Studienangebote.
Omnipräsent ist das Thema KI insbesondere auch in Zusammenhang mit Large Language Models (LLM). Sie selbst sind Bildungsforscher. Wie ist Ihr Zugang und welchen Weg geht die Universität?
Oppl: Man sollte nicht allen Versprechen rund um KI glauben. Sinnvoll unterstützen können die großen Sprachmodelle etwa beim Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis, bei der Reflexion und beim Transfer beruflicher Erfahrung in wissenschaftliche Konzepte. Unsere Studierenden bringen viel Praxis mit und wollen sich akademisch weiterentwickeln – hier kann KI helfen. Gleichzeitig ist es unser Bildungsauftrag, sie im Umgang mit diesen Werkzeugen zu qualifizieren und ihre kritische Reflexionskompetenz zu stärken. KI muss integraler Bestandteil unserer Curricula sein – nicht als Ersatz, sondern als Unterstützung im kreativen, kollaborativen Prozess.
Wichtiges strategisches Element der Universität ist ihre Ausrichtung an gesellschaftlichen Herausforderungen. Wie greift Lehre diese auf, wie schnell muss eine Universität in ihrem Studienangebot auf Änderungen reagieren können?
Oppl: Aktuelle Trends aufzugreifen gehört zu unserer DNA. Gleichzeitig ist unser Anspruch, nicht jedem Hype hinterherzulaufen, sondern fundierte Inhalte mit längerer Halbwertszeit zu vermitteln. Unsere Curricula sollen an aktuellen Entwicklungen anknüpfen, aber konzeptuell verankert sein. Wir bieten fokussierte Studienprogramme zu relevanten Themen – nicht zu solchen, die in wenigen Monaten wieder verschwinden. Genau hier positionieren wir uns.

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„Gleichzuhaltende Qualifikation beschäftigt uns intensiv, denn sie ist auch eine soziale Frage.“
Daniel Varro
Herr Vizerektor Varro, Stoßrichtung in den vergangenen Jahren war die Ausweitung des Bundesanteils am Universitätsbudget. Mit der aktuellen Leistungsvereinbarungsperiode bis 2027 konnte eine deutliche Budgetsteigerung erzielt werden. Werden Sie weiterhin an einer Ausweitung des Bundesanteils festhalten?
Varro: Der Politik ist bewusst, wie zentral wissenschaftliche Weiterbildung für die Gesellschaft ist. Daraus ergibt sich auch der Auftrag, den Bundesanteil weiter auszubauen. Das ermöglicht uns international wettbewerbsfähig zu bleiben und neue Wege gehen. Die Universität für Weiterbildung Krems hat den Auftrag, wissenschaftlich fundierte Weiterbildung am Puls der Zeit durchzuführen. Der Beweis für unseren Erfolg ist, wenn Menschen bereit sind, in ein Studium zu investieren, weil sie den persönlichen Mehrwert erkennen, etwa beruflichen Aufstieg. Mit fast 50 Prozent aller universitären Weiterbildungsstudierenden in Österreich zeigen wir auch Wirkung. Wir hoffen, dass dies auch von der Politik gesehen wird.
Weiterbildung wird politisch breit betont – auch auf EU-Ebene – im Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig ist universitäre Weiterbildung kostenpflichtig, anders als grundständige Studien. Gibt
es hier künftig Entwicklungsspielraum?
Varro: Sie sprechen ein zentrales Thema an: Bildungsgerechtigkeit. Bei aller juristischen Vorsicht: Ist es fair, über Jahre Steuern zu zahlen und so die Grundausbildung anderer zu finanzieren, später aber für ein Weiterbildungsstudium selbst tief in die Tasche greifen zu müssen? Gerade bei persönlichen Belastungen wie Pflege oder familiären Verpflichtungen wird das schnell zur sozialen Frage. Wenn wir soziale Durchlässigkeit ernst meinen, müssen wir solche Hürden hinterfragen. Ein Modell wie ein Bildungskonto, das man im Laufe des Lebens flexibel einlösen kann – auch später für Weiterbildung –, erscheint mir persönlich deutlich gerechter.
Sie sind Universitätsprofessor für Steuerrecht und nachhaltige Steuerpolitik. Welche gesellschaftlichen und insbesondere steuerlichen Rahmenbedingungen würden Sie sich für Weiterbildung wünschen?
Varro: Ausbildungskosten im Rahmen eines Weiterbildungsstudienprogramms sind grundsätzlich absetzbar. Doch es gibt zwei wesentliche Einschränkungen: Erstens braucht es eine ausreichend hohe steuerliche Bemessungsgrundlage – wer wenig verdient, profitiert kaum. Das widerspricht der Idee sozialer Durchlässigkeit. Zweitens muss die Weiterbildung in direktem Bezug zur aktuellen Tätigkeit stehen. Die Absetzbarkeit einer echten Umqualifizierung bzw. von Umschulungskosten – etwa von der Technikerin zur Journalistin – ist steuerlich deutlich schwieriger. Mit den Einschränkungen schließen wir teilweise Menschen aus, die in anderen Bereichen viel beitragen könnten. Die meisten entscheiden sich sehr rational für ein Studium – sie rechnen, ob es für sie und ihre Familie Sinn ergibt. Und wenn es für sie Sinn ergibt, dann meist auch für die Gesellschaft. Diese Potenziale sollten wir nicht abschneiden, sondern fördern.
Die verstärkte Berücksichtigung der Ziele für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) ist eine der Leitstrategien der Universität. Als für die Nachhaltige Entwicklung zuständiger Vizerektor: Welche Akzente möchten Sie da setzen?
Varro: Im Bereich der SDGs ist bereits viel passiert – auch außerhalb der Universitätslandschaft wurde wahrgenommen, dass wir hier starke Akzente setzen. In Lehre und Forschung versuchen wir, die SDGs mitzudenken, wo immer es möglich ist. Es gibt Veranstaltungen, Sensibilisierung und gezielte Reflexion darüber, wo wir uns zusätzlich einbringen können. Auch in der Verwaltung wurden Nachhaltigkeitsaspekte bereits berücksichtigt, etwa bei Handlungsanleitungen oder Druckrichtlinien. Der größte Hebel liegt aber in unserer gesellschaftlichen Wirksamkeit – in der Lehre und Forschung. Dort können wir Studierende für die Herausforderungen sensibilisieren und mit unserer Forschung aktiv zur Verbesserung beitragen.
Welchen Mehrwert hat für Sie die Universität für Weiterbildung Krems in der Landschaft europäischer Anbieter tertiärer Bildung?
Oppl: Als öffentliche Universität, die sich ausschließlich der Weiterbildung widmet, nehmen wir eine besondere Position ein. Andere Hochschulen bieten Weiterbildung meist ergänzend zu ihren grundständigen Studien an – bei uns ist sie der Kernauftrag. Gleichzeitig gibt es die berufliche Bildung, die praxisnah ist, aber keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt. Genau im Schnittbereich zwischen beruflicher Qualifikation und akademischer Weiterbildung liegt unser Potenzial. Hier verbinden wir Praxisbezug mit Methoden- und Reflexionskompetenz – und ermöglichen theoriegeleitete Entscheidungen. Das ist auch unser gesetzlicher Auftrag: wissenschaftliche Weiterbildung nicht nur anzubieten, sondern weiterzuentwickeln. In diesem Schnittfeld entsteht echter Bedarf – und den wollen wir gezielt adressieren.
Varro: Unser Alleinstellungsmerkmal ist, uns als öffentliche Universität sich gesamthaft dem Thema der Weiterbildung gewidmet zu haben. Das hat Wirkung gezeigt: Zahlreiche Institutionen bieten mittlerweile Weiterbildung an. Unser Anspruch ist es, Studienprogramme zu gestalten, die so relevant und qualitativ hochwertig sind, dass andere sich daran orientieren – und Studierende wissen, die Universität Krems ist führend bei universitärerer Weiterbildung. Wir fokussieren uns stark auf berufserfahrene Studierende. Wir stellen Module zusammen, die exakt auf aktuelle berufliche Anforderungen abgestimmt sind. Wenn wir diese Innovationskraft und Flexibilität beibehalten, behaupten wir unsere Position langfristig – als Themenführerin der universitären Weiterbildung.
STEFAN OPPL
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Stefan Oppl, MBA ist Vizerektor für Lehre und Studierende. Er wurde am 28. Februar 2025 einstimmig vom Universitätsrat zum Vizerektor ab 1. August 2025 gewählt. Oppl wurde 2019 zum Uni- versitätsprofessor für technologiegestütztes Lernen an der Universität für Weiterbildung Krems berufen und leitet das Department für Weiter- bildungsforschung und Bildungstechnologien.
DANIEL VARRO
Univ.-Prof. Mag. Mag. Dr. Daniel Varro, LL.M. ist Vizerektor für Finanzen und Nachhaltige Entwicklung an der Universität für Weiter- bildung Krems. Er wurde am 28. Februar 2025 einstimmig vom Uni- versitätsrat zum Vize- rektor ab 1. August 2025 gewählt. Varro wurde 2022 zum Universitäts- professor für Steuerrecht und nachhaltige Steuer- politik am Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universität für Weiterbildung Krems bestellt.
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