Lebensbegleitendes Lernen sieht der Draghi-Bericht in Zukunft für die Wettbewerbsfähigkeit Europas als essenziell. Die Universitäten haben eine Schlüsselstellung. Geldengpässe, zu wenig Spitzenforschung und das Hinterherhinken Europas bei KI erschweren die Aufgabe.

Von Jeannine Hierländer

 

Österreich findet nicht zurück zum Wachstum. Und die hiesige Spitzenpolitik hat das offenbar in geradezu bestürzender Bescheidenheit akzeptiert. Dieser Eindruck entsteht, wenn man dem österreichischen Bundeskanzler zuhört: Die Inflation auf zwei Prozent (von derzeit 3,6) senken, das Wachstum auf ein Prozent erhöhen. Diese Formel hat Kanzler Christian Stocker (ÖVP) ausgegeben – mehr traut er sich offenbar nicht zu erhoffen.

Etwas besser sieht es in der Eurozone aus, dennoch hinkt Europa hinter anderen Weltregionen hinterher. Wie kann die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken? Umfassende Vorschläge dazu macht der „Draghi-Bericht“ an die EU-Kommission, der einen Blick in Europas Zukunft wirft. Universitäre Weiterbildung spielt in der Analyse „The Future of European Competitiveness – A Competitiveness Strategy for Europe“ eine zentrale Rolle. Humankapital und Innovation müssten gestärkt werden, damit Europa in Zukunft ein zentraler Player auf der ökonomischen Weltbühne sein kann, heißt es darin.

Entscheidend für Europas Wettbewerbsfähigkeit sei, das Konzept des „lebenslangen Lernens“ umzusetzen. Universitäten sollen nicht nur junge Studierende ausbilden, sondern sich stärker für berufstätige Erwachsene und Quereinsteiger öffnen. Weiterbildung an den Hochschulen sieht der Draghi-Bericht als Schlüssel, um Fachkräfte in Zeiten des technologischen Wandels – Stichwort: KI und Digitalisierung – stets auf dem neuesten Stand zu halten. Hochschulen sollen künftig gleichberechtigt Forschung, Erstausbildung und Weiterbildung betreiben. Ziel sei eine „Europäische Weiterbildungs-Union“, ähnlich dem Bologna-Prozess für Studienabschlüsse. 

 

Mehr Raum für Berufstätige

Wie das in der Praxis aussehen kann, umreißt Barbara Brenner, Dekanin an der Universität für Weiterbildung Krems. „Man muss die relevanten Themen schnell aufgreifen und zeitnah in studierbare Formate bringen.“ Etwa – wie die Universität für Weiterbildung Krems – mit Zertifikatsprogrammen, die sich Schlüsselthemen widmen und die erweiter- und verschränkbar sind. So könne man Berufs­tätigen jene relevanten Updates geben, die sie benötigen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Idealfall sei, dass die berufsbegleitenden Studierenden diese Inhalte umgehend in ihren Unternehmen umsetzen können. „Das muss sehr zielgruppenspezifisch erfolgen, transdisziplinär und auf Augenhöhe mit der Praxis“, sagt Brenner. 

Aber können Universitäten das überhaupt leisten? Klar sei, dass, um die Ziele aus dem Draghi-Bericht zu erreichen, „sehr viel mehr Finanzierung notwendig wäre“, sagt Thomas Estermann von der European University Association, dem größten Verband europäischer Universitäten und Fachhochschulen. „Den Universitäten wurden innerhalb der vergangenen zehn Jahre verstärkt neue Aufgaben gestellt“, sagt Estermann. „Die Finanzierung hat damit aber nicht Schritt gehalten.“ Und auch der aktuelle Entwurf der EU-Kommission zur Hochschulfinanzierung verspreche bei Wei­tem nicht jenes Ausmaß an Finanzierung, das der Draghi-Bericht fordert. 

Estermann plädiert daher dafür, dass die europäischen Universitäten unabhängiger von der öffentlichen Hand werden und sich überlegen, wie sie ihre Finanzierung besser und breiter gestalten können. Im nächsten Schritt müssten sie dann die notwendigen Aktivitäten setzen, um zusätzliche private Finanzierungen zu lukrieren. Universitäten, so fordert er, sollten verstärkt auf Kooperation setzen, anstatt auf mehr Wettbewerb. „Das kann Kosten sparen, nicht jeder muss alles neu erfinden.“ So können Hochschulen beispielsweise Programme gemeinsam nutzen. „Die Idee dahinter ist, dass die Qualität gesteigert wird.“ 

Thomas Estermann

„Universitäten sollten verstärkt auf Kooperation setzen, anstatt auf mehr Wettbewerb.“

Thomas Estermann

USA bei Finanzierung vorne

Etwas anders sieht das Daniel Gros, Direktor des Institute for European Policymaking an der Universität Bocconi. Er spricht sich für mehr Wettbewerb aus, gerade, um die Qualität der europäischen Universitäten zu heben. Leider habe Europa auf dem Gebiet der Spitzenuniversitäten nur sehr wenige Vertreter – etwa ein Dutzend unter den besten 100. „Was wir in Europa versäumt haben, ist, Institutionen aufzubauen, die global wirklich an der Spitze stehen.“ Ein Grund sei Neid, den die europäischen Länder einander entgegenbrächten. „Es gibt immer die Angst, dass eine Universität alles Geld einsammelt.“

Den Versuch gab es: 2008 wurde das heutige European Institute of Innovation and Technology gegründet, das die Zusammenarbeit von Hochschulen, Forschung und Innovation stärken sollte. Es entwickelte sich aber in Richtung einer Förder- und Vernetzungsplattform – weit entfernt davon, mit internationalen Top-­Universitäten wie MIT, Oxford oder ETH Zürich zu konkurrieren. „Wir haben in Europa einen sehr guten Mittelbau an Universitäten, der ist auch sehr nützlich. Aber uns fehlt die Spitze“, sagt Gros.

Gros erforscht, inwieweit der Zufluss von Wagniskapital mit dem internationalen Ansehen von Universitäten korreliert. „Es gibt eine sehr starke Konzentration an der Spitze“, sagt der Forscher. Die besten zehn internationalen Universitäten sammelten zehnmal so viel Beteiligungskapital ein wie die zehn am unteren Ende der Tabelle. Und: „Jene Universitäten, die am meisten Kapital einsammeln, sind auch jene, die international die besten Rankings erreichen“, sagt Gros. Sein Fazit: „Die neuen erfolgreichen Unternehmen entstehen dort, wo Spitzenforschung betrieben wird.“ Denn es mag zwar sein, dass an vielen Universitäten gute Ideen entwickelt werden. Allerdings genüge es, dass die Ideen an einer Universität nur geringfügig besser seien, um einen ganzen Markt zu erobern: “The winner takes it all.

Oft scheitert der Weg an die Spitze auch an der Bürokratie. So sei es beispielsweise in Deutschland nicht möglich, eine_n For-scher_in aus den USA abzuwerben, indem man ein lukratives Angebot mache, sagt Gros. Denn die Besoldungstabellen sähen nur einen gewissen Spielraum nach oben vor. „Das reicht aber bei weitem nicht, um die Allerbesten zu gewinnen“, sagt Gros.

Daniel Gros

„Wir haben in Europa einen sehr guten Mittelbau an Universitäten, der ist auch sehr nützlich. Aber uns fehlt die Spitze.“

Daniel Gros

Mehr Ressourcen für KI-Ausbildung

Jürgen Janger, der am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) zu Wettbewerbsfähigkeit sowie Innovations- und Bildungsökonomie forscht, zieht den Vergleich zu den USA: Hinsichtlich Finanzierung und Organisation gebe es „große Wettbewerbsdefizite, die dazu führen, dass die besten Forscher_innen und Studierenden lieber an die internationalen Top-Universitäten gehen“. Die technischen Universitäten in Österreich seien klein und finanziell nicht gut ausgestattet, sagt Janger. „Es gibt aber viel empirische Evidenz, dass gerade MINT-Fächer stark zu Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Strukturwandel beitragen.“

Forciert werden sollten seiner Ansicht nach etwa Ausbildungen im Bereich Künstliche Intelligenz. „Dorthin sollte man Ressourcen lenken.“ Universitäten betreiben nicht nur Forschung und Lehre, sondern patentieren auch zahlreiche Er­findungen. So können ETH Zürich, EPFL Lausanne und Imperial College London dreimal so viel relativ zur Größe ausgeben wie die TU Wien – „etwa für neue Stellen in Schlüsseltechnologiebereichen, bessere Betreuungsverhältnisse oder mehr Doktorand_innen, die dann in die Industrie wechseln können“, heißt es in seiner Studie zur Leistung Österreichs im Bereich von Schlüsseltechnologien.

Ausbaufähig sei in Österreich allerdings auch das vorgelagerte Bildungssystem, so Janger. „Der Lehrplan an den österreichischen Schulen ist vorsintflutlich“, sagt der Ökonom. In einer Studie aus dem Jahr 2024 analysiert er, dass an einem Wiener Gymnasium nicht einmal zwei Prozent Informatik in der Oberstufe zehn Prozent Latein gegenüberstehen. „Schüler_innen erwerben drei Jahre vor der Matura zum letzten Mal formale Informatikkenntnisse“, heißt es darin. Der Anteil von Sprachen insgesamt – ein Bereich, der massiv von KI betroffen sei – betrage 39 Prozent, der von Mathematik und Naturwissenschaften nur 24 Prozent.

Thomas Estermann von der European University Association warnt allerdings davor, alles nur noch unter dem Blickwinkel der Wettbewerbsfähigkeit zu betrachten. Die Hochschulen seien für Lehre, Aus- und Weiterbildung zuständig, betreiben Grundlagenforschung und Innovation und leisten darüber hinaus wichtige Beiträge für Gesellschaft und Kultur. „Man muss schon anerkennen, welch breites Profil die Universitäten haben“, sagt Estermann.


THOMAS ESTERMANN 

Mag. Thomas Estermann ist Direktor für Gover- nance, Finanzierung und öffentliche Politikentwicklung bei der European University Association. Der Jurist ist aktiv in verschiedenen europäischen und natio- nalen Ausschüssen, Expert_innengruppen und Beiräten tätig. 

 

DANIEL GROS

Dr. Daniel Gros ist Direktor des Institute for European Policymaking an der Universität Bocconi. Bis 2020 leitete der Wirtschaftswissenschaftler die Denkfabrik Centre for European Policy Studies (CEPS). Sein Forschungsschwerpunkt ist EU-Wirtschaftspolitik. 

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