17.09.2020

Portrait der Sammlung Mailer / Strauss Archiv

Wer war Franz Mailer?

Franz Mailer (1920–2010), der die heute an der Universität für Weiterbildung Krems untergebrachte Musiksammlung angelegt hat, war ein profunder Kenner und Liebhaber der Musik, Geschichte und Lebensumstände der gesamten Strauss-Dynastie sowie der Musiklandschaft des 19. Jahrhunderts. Er schrieb u. a. Biographien über Johann Strauss Sohn (1825–1899) und Josef Strauss (1827–1870), beschäftigte sich ebenso mit Oscar Straus (1870–1954), verfasste Werkverzeichnisse, unzählige Editionen und ließ die österreichische und süddeutsche Bevölkerung via Radio an seiner Passion teilhaben. Für die Wiener Philharmoniker wirkte er an den Programmen der weltberühmten Neujahrskonzerte unter den Dirigaten von Carlos Kleiber, Riccardo Muti oder Nikolaus Harnoncourt mit. Seine Tätigkeit als Präsident der Johann-Strauss-Gesellschaft Wien sowie als Herausgeber der „Briefe und Dokumente“ von Johann Strauss (siehe Literatur) hat zu seinen Lebzeiten Politik und Musikgesellschaften zu einer Reihe an Ehrungen veranlasst.


Günter Stummvoll, Eva-Maria Bauer, Musik: WJSO

Inhalt der Sammlung Mailer / Strauss Archiv

Bevor Franz Mailer im Jahr 2010 in Waidhofen an der Ybbs (NÖ) verstarb, sollte sein umfangreiches Archiv als Vorlass an eine Einrichtung gelangen, die sein gesammeltes Material nicht nur aufbewahrt, sondern auch imstande ist, die aktive Nutzung sicherzustellen. Mailers Sammlung bestand ursprünglich aus fünf Bereichen. Zwei davon, das Notenarchiv und das Archiv zur Strauss-Dynastie, gelangten 2008 an die Universität für Weiterbildung Krems, wo sie in einer archivalisch geeigneten, separaten Räumlichkeit innerhalb der Universitätsbibliothek untergebracht wurden.

Heute umfasst die als „Sammlung Mailer / Strauss Archiv der Universität für Weiterbildung Krems“ (kurz: SaMSA) bekannte Sammlung Materialien zur Musikgeschichte von 1844–1920 im Umfang von 51 Aktenordnern sowie speziell nach Personen sortiert weitere 30 Ordner an Material zur Familiengeschichte.

Das Musikmaterial von Johann Strauss (Vater) umfasst neun Kartons sowie drei Ordner mit korrespondierendem Archivmaterial über die Werke (Presseberichte, Beschreibungen, Titelblätter, etc.). Von Johann Strauss (Sohn) sind 29 Kartons Musikalien und 25 Ordner korrespondierendes Archiv vorhanden. Der Bestand von Josef Strauss umfasst die meisten Musikalien (37 Kartons, das sind sämtliche Werke mit Opus-Zahl in zumindest einer Fassung und der Großteil der Werke ohne Opus-Zahl) und zwölf weitere Ordner mit Werksbeschreibungen. Von Eduard Strauss sind fünf Kartons Musik und vier Ordner musikalisches Archiv vorhanden, außerdem noch drei Ordner über Eduard II. Darüber hinaus umfasst das Musikarchiv noch zwei Kartons mit der Musik Joseph Lanners, einen mit Musik Philipp Fahrbachs (senior und junior) sowie einen Karton, der Musik von Ralph Benatzky enthält.

Die Archivalien werden von Gesamtausgaben, einigen weiteren Notenbeständen sowie Ausgaben der Fackel (komplett), der Österreichischen Musikzeitschrift und einem Konvolut aus Sekundärliteratur und Periodika komplettiert.


Bedeutung der Sammlung Mailer / Strauss Archiv

Die Sammlung Mailer dient vielen Orchestern als Quelle für Noten- und Informationsmaterial. Welche Bedeutung ihr bei der Erforschung der Tanz- und Unterhaltungsmusik Wiens im 19. Jahrhunderts zukommt, welche Chancen und Möglichkeiten sie der Forschung der Familie Strauss und der Musik ihrer Sprösslinge bietet, kann in drei Punkten erklärt werden:

Erstens, mit besonderem Fokus auf Josef Strauss (1827–1870): Die SaMSA zeigt ein in den gedruckten Opera vollständiges Bild des Schaffens von Josef Strauss, wobei gleichzeitig eine hohe Varianz an Fassungen seiner Werke vorhanden ist. Auch gelang es Franz Mailer, viele Werke bzw. Fassungen zu erwerben, die sich heute nur mehr in nicht-öffentlichen Archiven befinden, die (noch) keine öffentlich zugänglichen, digitalen Kataloge anbieten (ORF-Notenarchiv, Archiv des Wiener Konzerthauses, etc.) und damit schwer auffindbar sind bzw. die andernorts in Österreich gar nicht verfügbar sind. Innerhalb des Projekts „Josef Strauss 2020“ werden alle in der SaMSA vorhandenen Werke in allen Fassungen über den Online-Bibliothekskatalog der Donau-Universität Krems transparent durchsuchbar gemacht.

Zweitens zeigt das Archiv – nicht nur im Notenmaterial, sondern vor allem auch in den supplementären Quellen – einen umfassenden Bestand der Musik einer ganzen Musikerdynastie, mit zumindest vier komponierenden Mitgliedern inklusive Umfeld. Franz Mailer begann ein umfassendes Portrait einer Musikerfamilie zu zeichnen, die aufgrund ihrer unternehmerisch-musikalischen Tätigkeit im 19. Jahrhundert von musikwissenschaftlicher Bedeutung ist. Doch dieses Portrait harrt noch seiner Vervollständigung.

Drittens ermöglicht diese Sammlung eine Beschäftigung mit musikwissenschaftlichen Fragestellungen, die in ihrer Komplexität aufgrund der Quellenlage bisher noch nicht zu beantworten waren. Offene Fragestellungen beziehen sich auf musiktheoretische und musikanalytische Diskurse und die Vermittlung eines konkreten Bildes auch vieler musikalischer Gattungen im 19. Jahrhundert und deren Entwicklung innerhalb von annähernd zehn Dekaden.

Die Sammlung wird aktiv beforscht, betreut und auch erweitert. So soll das kulturelle Erbe, das Franz Mailer hinterlassen hat, nicht nur für die Zukunft gesichert, sondern auch am Leben erhalten werden (etwa in Form von Neueditionen). Jüngste Neuzugänge der Sammlung umfassen etwa weitere Materialen über Josef Strauss sowie ein erstes Konvolut zu Johann Michael Haydn, der ebenfalls einen Forschungsschwerpunkt am Zentrum für Angewandte Musikforschung darstellt.

Für eine detaillierte Beschreibung der Sammlung und Tiefenerschließung der Werke von Josef Strauss siehe: „Die Relevanz der Sammlung Mailer in der (Josef-) Strauss-Forschung“, in: Associationen. Josef Strauss (1827–1870), Wien: Hollitzer 2020, S. 39–64.


Artikel: Günter Stummvoll, 16.09.2020

Bisher durchgeführte Projekte und Kooperationen der Sammlung Mailer / Strauss Archiv 2008–2020

Notenanfragen/Orchesterkooperationen

  • Bournemouth Symphony Orchestra
  • Haydn-Orchester Eisenstadt
  • Johann Strauss Ensemble (Bruckner Orchester Linz)
  • Kammerorchester Waidhofen/Ybbs
  • Orchestre du Mulhouse
  • Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
  • Wiener Johann Strauss Orchester
  • Wiener Philharmoniker
  • Wiener Residenz Orchester
  • Diverse Ensembles im Zuge des Be Philharmonic-Wettbewerbs („Strauß Music Contest“)
  • Ludwig Ritter von Köchel Gesellschaft Krems
  • Landestheater Niederbayern
  • Stadttheater Baden

Wissenschaftliche Projekte

  • Vorträge an Symposien, u. a. Symposium „Tanz-Signale“, Tagung „Operette und die feinen Unterschiede“, Konferenz „War of Media – Media of War. Johann Strauss als Symbol für Österreich in der Besatzungszeit“, Wiener Vorlesung 2011
  • Unterstützung in der Erarbeitung von Biographien der Strauss-Dynastie
  • Zurverfügungstellung der Sammlung für die Erstellung von Werkverzeichnissen (zuletzt: Josef Strauss) und Editionen
  • Thematisch-Bibliographischer Katalog der Werke von Johann Strauss (Sohn), Musiksammlung der Wienbibliothek im Rathaus, Wiener Institut für Strauss-Forschung, Archiv der Wiener Philharmoniker, Deutsche Johann Strauss Gesellschaft, u. a.
  • Sammelband „Associationen. Josef Strauss 1827–1870“ (in Kooperation mit dem Wiener Institut für Strauss-Forschung)
  • Einreichung des Antrags zur Eintragung des Wiener Walzers in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO, Wiener Johann Strauss Orchester, Expertise: Eva Maria Stöckler/Harald Huber, November 2017

Künstlerische Projekte

  • „Madame Strauß“, von Susanne Felicitas Wolf, April 2015 im MuTh Wien
  • „Be Philharmonic: Strauß Music Contest“, Jugendprojekt der Wiener Philharmoniker/ORF (Leitung: Christoph Wimer), November 2015–Mai 2016
  • Aufnahmen des Wiener Johann Strauss Orchesters, Alfried Eschwé/Johannes Wildner, Frühjahr/Sommer 2016
  • TV-Dokumentation „150 Jahre Donau-Walzer, Servus-TV/Eric Schulz, Frühjahr 2016–2017
  • Orchester-Matinée mit Johann Strauss & Co, Ludwig Ritter von Köchel Gesellschaft Krems, Juni 2016, Musikpavillon Stadtpark Krems

Weiterführende Literatur (Auswahl)

Aigner, Thomas: „Besetzung, Stärke und Qualität der Straußkapelle“, in: Die Fledermaus 14–17 (2003), S. 281–290.

Aigner, Thomas: „Frau Johann Strauss – die lästige Witwe?“, in: Neues Leben 39 (2012), S. 67–75.

Bailey, Leigh: „Die Verbrennung des Straussschen Notenarchivs“, in: Neues Leben 53 (2016/3), S. 48–54.

Brusatti, Otto und Isabella Sommer: Josef Strauss 1827–1870. Delirien und Sphärenklänge, Wien: Holzhausen, 2003.

Dahlhaus, Carl: „Über die ‚mittlere Musik‘ des 19. Jahrhunderts“, in: Das Triviale in Literatur, Musik und bildender Kunst, hg. von Helga de la Motte-Haber, Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 1972, S. 131–147.

Dörner, Wolfgang: Josef Strauss. Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis, Wien u.a.: Böhlau, 2020 [in Druck].

Fink, André: „Wieso und wozu Strukturanalyse bei Johann Strauss, dargestellt am Beispiel des Walzers. Op. 325 „Geschichten aus dem Wienerwald“?“, in: Straussiana 1999. Studien zu Leben, Werk und Wirkung von Johann Strauss (Sohn), hg. von Monika Fink und Walter Pass, Band 3, Tutzing: Schneider 2003, S. 43–60.

Höslinger, Clemens: „Konzertbetrieb und musikalische Unterhaltung im 19. Jahrhundert“, in: Die Fledermaus 14–17 (2003), S. 23–28.

Keldany-Mohr, Irmgard: „Unterhaltungsmusik“ als soziokulturelles Phänomen des 19. Jahrhunderts. Untersuchung über den Einfluss der musikalischen Öffentlichkeit auf die Herausbildung eines neuen Musiktypes, Regensburg: Gustav Bosse, 1977.

Linke, Norbert: „Zur Mutmaßung, Johann Strauss haben Melodien von Josef Strauss übernommen: Notiz zum musikalischen Nachlass Josef Strauss“, in: Neues Leben 55 (2017/2), S. 25–29.

Magnes, Ursula, im Gespräch mit Prof. Franz Mailer: „Ich wollte für Strauß immer den Erfolg, unabhängig von der Wissenschaft“, http://kammerorchester.waidhofen.at/solisten/interview.html, 18.06.2008.

Mailer, Franz (Hg.): Johann Strauss (Sohn). Leben und Werk in Briefen und Dokumenten, 10 Bde. Tutzing: Schneider, 1983–2007.

Mailer, Franz: Joseph Strauß. Kommentiertes Werkverzeichnis, Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang, 2002.

Rausch, Alexander: Art. „Mailer, Franz“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_M/Mailer_Franz.xml, 18.05.2020.

Reichenauer, Helmut: „Walzerklang und Revolution – Zum kulturpolitischen Stellenwert der Wiener Tanzmusik im Vormärz“, in: Neues Leben 38 (2011), S. 20–31.

Saary, Margareta: „Zur Vermarktung von E- und U-Musik im 19. Jahrhundert“ in: Die Fledermaus 14–17 (2003), S. 105–116.

Spohr, Mathias (Hg.): Geschichte und Medien der „gehobenen Unterhaltungsmusik“, Zürich: Chronos, 1999.

Spohr, Mathias: „Gibt es musikalische Merkmale zur Unterscheidung von E- und U-Musik?“, in: Die Fledermaus 14–17 (2003), S. 51–68.

Stöckler, Eva Maria: „Anna Strauss und die Töchter Anna und Therese“, in: Neues Leben 39 (2012), S. 75–82.

Vanecek, Erich: „‚Walzer bezeichnet man hier als Werke!‘ (Frédéric Chopin, 1831)“, in: Die Fledermaus 14–17 (2003), S. 81–96.

Wakamiya, Yumi: „Ein verschollenes Potpourri von Josef Strauss: ‚Romeo und Julie‘ von Charles Gounod“, übers. von Rudolf Maeder. In: Neues Leben 51 (2016/1), S. 36–38.

Weinmann, Alexander: Verzeichnis sämtlicher Werke von Josef und Eduard Strauss, Wien: Ludwig Krenn, 1967.

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