Ein Gefängnis ist oftmals keine Besserungsanstalt. Aber mit geeigneten Orientierungsangeboten muss es im Strafvollzug gelingen, einer Radikalisierung junger Menschen vorzubeugen. Das EU-Projekt SERENY erforscht geeignete Maßnahmen für die Reintegration.

Von Astrid Kuffner

Die Jugend als Lebensphase dauert heute im Vergleich zu vorigen Generationen länger. Als Jugendliche bezeichnet Manfred Zentner vom Zentrum für Migration, Integration und Sicherheit Menschen zwischen acht oder neun und 30 oder sogar 35 Jahren. Er beschäftigt sich schon lang mit der Identitätskonstruktion, also wie Heranwachsende für sich die Fragen „Wer bin ich?“, „Was macht mich aus?“ und „Wo finde ich meinen Platz in der Gesellschaft?“ beantworten. Für jugendliche Straftäter_innen ist dieser Prozess aufgrund der Regeln in Haftanstalten, der Stigmatisierung und der Abschottung von der Gesellschaft erschwert.

Der Jugendforscher koordiniert den österreichischen Beitrag zum Projekt „Strengthening Approaches to the Prevention of Youth Radicalisation in Prison“ (kurz SERENY) im Auftrag der Generaldirektion Justiz der EU-Kommission. Dazu kooperieren die Universitäten in Krems, Palermo, Neapel und Barcelona (mit Fachgebieten von Sozial- bis Rechtswissenschaften), die albanische Volksanwaltschaft und das slowenische Friedensinstitut MIROVNI. Sie beschäftigen sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Frage, wie man der Radikalisierung im Gefängnis – egal in welche Richtung – bei jungen Menschen vorbeugen kann. „Wir wollen die Prävention verbessern und befragen dazu u. a. inhaftierte Jugendliche und Betreuungspersonal im Gefängnis, wo, wie und von wem in Haft radikalisiert wird“, so der Projektleiter. Mit dem Österreichischen Institut für internationale Politik (OIIP) besteht am Department seit vielen Jahren eine Kooperation in der Lehre. Nun wird erstmals auch gemeinsam geforscht: Extremismusforscherin Daniela Pisoiu ist mit an Bord.

Auch Radikalisierung bietet Zugehörigkeit

Radikalisierung bedeutet letztlich, die Gesellschaft mit der Brechstange verändern zu wollen durch gesetzesfreie Räume, Parallelstrukturen, die Abkehr von Grundsätzen des Zusammenlebens. Während der Fokus in Österreich politmedial auf Islamismus liegt, bleibt in Italien die Mafia ein typisches Schreckensbild. Alle Radikalismen, ob rechts, links oder islamistisch, geben Versprechen ab: dass junge Menschen dazugehören können, dass Ungerechtigkeit beseitigt wird und ein System installiert wird, in dem es ihnen und den ihren gut gehen wird.

Für den ehemaligen Lehrer hat sich bewährt, Jugendliche als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Lebenswelt ernst zu nehmen und ins Gespräch zu kommen, warum sie bestimmte Dinge tun. „Bei der Selbstverortung wird die Erwachsenenkultur oft abgelehnt oder Alternativen werden gesucht. Viele Handlungen, die gesetzt werden, sind ein Ruf nach Orientierung“, so Zentner. Das sagen die Jugendlichen einem aber nicht so, „also müssen Forschende Daten erheben, bewerten, deuten und die Jugendlichen in die Interpretation der Ergebnisse wieder einbinden, damit sie richtigstellen können“, beschreibt er auch seinen Ansatz für SERENY.

Das Projektteam will bis Oktober 2023 wichtige Hebel identifiziert haben und Unterstützungsmaßnahmen für die in der Justiz tätigen Personen entwickeln. Als ersten Schritt führen die beteiligten Universitäten in 12 europäischen Ländern eine Policy-Analyse über geltende Grundsätze der Prävention junger Menschen in Haft durch, um Models of Good Practice herauszufiltern. Die Analyse fließt anschließend in die Befragungen ein, Herzstück des Engagements der Universität für Weiterbildung Krems und des OIIP. Es sollen Leitfaden-Interviews mit jungen Insass_innen in den teilnehmenden Ländern geführt werden, über Erlebnisse und Erfahrungen mit Radikalisierung im Gefängnis. Eine Fragebogen-Erhebung für Justizwacheorgane und weiteres Personal, das mit den jungen Inhaftierten zu tun hat, ist geplant. Hier sollen Wahrnehmungen beschrieben werden, wie Radikalisierung passiert und wo Intervention möglich wäre. Abschließend werden Gruppendiskussionen angesetzt, um quer durch den Strafvollzug herauszuarbeiten, was für Prävention gebraucht wird.

Prävention in überfüllten Haftanstalten klingt zunächst utopisch. Klar ist, dass es auch strukturelle Änderungen braucht: „Ich glaube, dass man Radikalisierung vorbeugen kann. Wenn man Menschen unter 25 Jahren in der Haft alternative Wege aufzeigt, Möglichkeiten zur Orientierung bietet und ihnen hilft, einen Weg einzuschlagen, der nach der Entlassung weiter unterstützt wird“, so der Jugendforscher. Die heimische Justizwache hat er bei vergangenen Schulungen stets als unterstützend erlebt. An der internationalen Forschungskooperation schätzt er, dass unterschiedliches Erfahrungswissen und verschiedene Interpretationen respektiert werden: „Für uns ist die Vielfalt der Zugänge innerhalb der europäischen Forschungslandschaft und der Praxis im Strafvollzug wesentlich. Wir lernen sehr viel vom interdisziplinären Ansatz und bauen Kooperationen für die Zukunft auf.“


MANFRED ZENTNER
Mag. Mag. Manfred Zentner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Migration und Globalisierung der Universität für Weiterbildung Krems. Der frühere Lehrer forscht zum Schwerpunkt Jugend und Migration. Seine Dissertation untersucht die Rolle außerschulischer Aktivitäten für die Integration von Migrant_innen.

LINKS

Weitere Artikel dieser Ausgabe

Zum Anfang der Seite